Gegen den Klassenkampf von oben
K. W.
Die diesjährige DGB-Kundgebung am 1. Mai in Weinheim wurde von der dortigen Ortsgruppe der Gewerkschaft IGBCE organisiert und musikalisch vom Duo Michelle Walker & Daniele Aprile umrahmt.
Zu Beginn erinnerte der Vorsitzende der Ortsgruppe, Helmut Schmitt, an die nach wie vor große Bedeutung des 1. Mai. Er ist seit über 130 Jahren weltweit ein Tag der Solidarität und des Widerstands gegen Ausbeutung und Unterdrückung.
Angesichts der sich zuspitzenden Krisen des kapitalistischen Wirtschaftssystems durch Kriege, hohe Inflation, Rezession, wachsende Armut, Zerstörung der Umwelt und des Klimas wird, so Schmitt, die gewerkschaftliche Gegenwehr immer wichtiger. Diese Gegenwehr ist aber, von Ausnahmen wie etwa den Streiks der GDL abgesehen, viel zu wenig sichtbar. Deshalb ist es auch nicht gelungen, die Preistreiberei durch ausreichende Einkommenserhöhungen auszugleichen.
Streikrecht schützen
Die Beschäftigten und die Gewerkschaf-ten sehen sich Schmitt zufolge einem immer schärferen Klassenkampf von oben ausgesetzt. Geschäftsleitungen versuchten verstärkt, die Anliegen der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften mit Unterstützung der Medien und der Politik zu diskreditieren. Das beste Beispiel hierfür ist der erst vor kurzem beendete Arbeitskampf bei der Bahn, bei dem die GDL trotz übelster Hetze erfolgreich eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich durchsetzen konnte.
Die zur Bekämpfung solcher Streiks erhobene Forderung, das bereits eingeschränkte Streikrecht in Deutschland weiter zu schwächen zeigt Schmitt zufolge, dass die Rechte der abhängig Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften massiv bedroht sind.
Dies gilt auch für die Rechte der Betriebsräte, die immer häufiger von hemmungslosen Geschäftsführungen außer Kraft gesetzt werden. Dabei werden laut Schmitt oft Methoden angewendet, welche nicht nur das Betriebsverfassungsgesetz, sondern auch die Grund- und Menschenrechte mit Füssen treten.
Als besonders extremen Fall stellte er das jahrelange Betriebsrats-Mobbing bei ProMinent, dem Heidelberger Unternehmen des BDA-Präsidenten Rainer Dulger, heraus. Schmitt wies darauf hin, dass das Netzwerk gegen BR-Mobbing den wegen dieses Skandals verfassten Offenen Protestbriefs Günter Wallraffs bundesweit verbreitet und unterstützt hat.
Arbeitszeitverkürzung fordern
Der Vorsitzende der IGBCE Ortsgruppe Weinheim betonte, dass die durch die Ge- werkschaftsbewegung über Jahrzehnte hin- weg erkämpften Errungenschaften akut bedroht werden. Die Kapitalseite, ihr Repräsentant Rainer Dulger und ihre Lobby- isten in der Politik propagieren permanent die Erhöhung des Renteneintrittsalters, die Verlängerung der Wochenarbeitszeit und täglicher Höchstarbeitszeiten eben- so wie das Senken der Altersrente.
Die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich ist Schmitt zufolge eine der wichtigsten Forderungen sowohl gegen den zunehmenden Stress am Arbeitsplatz als auch gegen Personalabbau als Folge der „Transformation“ der Wirtschaft und der Energieerzeugung. Arbeitszeitverkürzung, so der Gewerkschafter, ist nur durch eine kämpferische Gewerk- schaftsstrategie durchsetzbar.
Gegenwehr stärken
Maximilian Heßlein, Wirtschafts- und So- zialpfarrer im Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) mit Sitz in Mannheim, erinnerte in seiner Rede ebenfalls an die lange Tradition des 1. Mai. An diesem Tag sieht er alle aufgerufen, für gute Arbeit, für eine gerechte Gesellschaft und für den Frieden aufzustehen.
Das Beispiel der beabsichtigten Schließung der Mannheimer Galeria-Kaufhof-Filiale zeigt ihm zufolge die Notwendigkeit auf, gemeinsam im Sinne des Gemeinwohls aktiver zu werden. Zum dritten Mal ist das Unternehmen in Insolvenz gegangen, und das Ende von vielen weiteren Niederlassungen des Warenhaus-Konzern ist angekündigt worden.
Auch im Fall von Mannheim liegt das an den überhöhten Mieten, die der Eigentümer der Immobilie – die Signa-Holding des Kaufhof-Eigners Benko − verlange. Skrupellos missachtet der Kaufhof-Eigentümer, so der Industriepfarrer, seine soziale Verantwortung und nimmt sogar einen längeren Leerstand des Gebäudes in Kauf, möglicherweise, um damit Steuern zu sparen.
Heßlein bezeichnete Vorgehensweisen wie diese als „Systemversagen“. Er forderte, dass der Gesetzgeber dem klare Grenzen setzen müsse.
Zweifelsohne, so die Botschaft der 1. Mai-Kundgebung in Weinheim, stehen die Gewerkschaften und die darin Aktiven vor enormen Herausforderungen. Wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren, ist in einer solchen Lage kein guter Rat. Vielmehr gilt der alte Satz: „Nur wer sich wehrt, lebt nicht verkehrt!“