Min­dest­lohn 12 Euro: Oder doch etwas mehr?

 

U. D.

Laut Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Arbeit und Sozia­les wür­den rund 10 Mil­lio­nen Men­schen von einem Min­dest­lohn von 12 Euro pro­fi­tie­ren. Das bedeu­tet, rund 30 % der „Kern­er­werbs­tä­ti­gen“ erhal­ten mit weni­ger als 12 Euro in der Stun­de einen Armuts­lohn. Dies ist ein Skan­dal und wirft zugleich ein grel­les Licht auf die rea­len sozia­len Verhältnisse.

Demo gegen Agenda 2010 in Mannheim, 20. Oktober 2010. (Foto: B. Straube.)

Demo gegen Agen­da 2010 in Mann­heim, 20. Okto­ber 2010. (Foto: B. Straube.)

Der Pari­tä­ti­sche Armuts­be­richt 2020 gibt für Deutsch­land die erschre­cken­de Zahl von 13,9 Mio. Armen an. Armut beginnt dabei nicht erst mit Obdach­lo­sig­keit und Hun­ger, son­dern wenn Men­schen über so wenig Geld ver­fü­gen, dass sie „von der Lebens­wei­se aus­ge­schlos­sen sind, die in dem Mit­glied­staat, in dem sie leben, als Mini­mum annehm­bar ist“ (Bericht der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on von 1983). Das ist dann der Fall, wenn sie über weni­ger als 60 Pro­zent des mitt­le­ren Net­to­ein­kom­mens ver­fü­gen. Dar­aus hat der Bericht Armuts­schwel­len abge­lei­tet. Zum Bei­spiel für Allein­ste­hen­de 1074 Euro, für Paa­re ohne Kin­der 1611 Euro, für Paa­re mit zwei Kin­dern unter 14 Jah­ren 2256 Euro.

Nied­rig­löh­ne erzeu­gen Armut
2019 gab es rund 34,3 Mio. „Kern­er­werbs­tä­ti­ge“, die abhän­gig beschäf­tigt waren. Davon 7,3 Mio. in einem aty­pi­schen Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis. Die Mehr­heit davon arbei­tet für Brut­to­mo­nats- löh­ne unter­halb der Armuts­schwel­le. Aber auch vie­le Beschäf­tig­te mit Voll­zeit­ver­trä­gen sind von Armuts­löh­nen betrof­fen. Zum Bei­spiel im Fri­sör­ge­wer­be, in der Gas­tro­no­mie, in der Logis­tik oder in der Gebäudereinigung.

Armut betrifft also nicht nur Arbeits­lo­se und Kran­ke. Im Gegen­teil, ca. 33 % der Armen sind erwerbs­tä­tig, ca. 30 % in Ren­te. Allein 2018 bezo­gen rund 1,1 Mio. lohn­ar­bei­ten­de Men­schen Hartz-IV-Leis­tun­gen. Schließ­lich füh­ren nied­ri­ge Löh­ne zu nied­ri­gen Sozi­al­leis­tun­gen bei Krank­heit und Arbeits­lo­sig­keit und zu einer nied­ri­gen Rente.

Neo­li­be­ra­lis­mus ver­schärft Armut
Die neo­li­be­ra­le Dere­gu­lie­rung hat zu Geset­zes­än­de­run­gen geführt, die Umstruk­tu­rie­run­gen und Auf­spal­tun­gen von Unter­neh- men ver­ein­facht haben. Gleich­zei­tig haben sie einen umfang­rei­chen Dienst­leis­tungs- und Nied­rig­lohn­sek­tor ermöglicht.

Die unter der SPD/­Grü­nen-Regie­rung ver­ab­schie­de­ten Hartz-Geset­ze zwan­gen Men­schen mas­siv in Nied­rig­lohn­jobs und ermög­lich­ten mit­tels Auf­sto­ckung Löh­ne unter­halb des Exis­tenz­mi­ni- mums. Erst dies mach­te die Aus­la­ge­rung von Diens­ten wie z. B. Küche, Logis­tik, Instand­hal­tung und Pfor­te mög­lich und profitabel.

Die­se Ent­wick­lung hat nicht nur die Kon­zen­tra­ti­on von Reich­tum und Macht, son­dern auch das Armuts­ri­si­ko der abhän­gig Beschäf­tig­ten ver­grö­ßert. Mit „Trans­fer­zah­lun­gen“ wie ALG I, ALG II, Grund­ren­te oder Min­dest­lohn wird ver­sucht, das sozi­al­po­li­ti­sche Pul­ver­fass unter Kon­trol­le zu halten.

Statt 12 Euro in Stu­fen - 15 Euro sofort
Ange­sichts der aktu­el­len Preis-Stei­ge­rung bei Mie­ten, Ener­gie und Nah­rung sind die oben genann­ten Armuts­schwel­len und ein Min­dest­lohn von 12 Euro zu nied­rig. Wer allein­ste­hend und kin­der­los ist, erhält mit einem Min­dest­lohn von 12 Euro bei einer 40-Stun­den­wo­che 2088 Euro Brut­to und 1485 Euro Net­to. Nach 45 Arbeits­jah­ren ohne Krank­heit und Arbeits­lo­sig­keit bestün­de ledig­lich ein Anspruch auf eine Brut­to­ren­te von ca. 930 Euro.

Um mit der Ren­te die vom Pari­tä­ti­schen ange­nom­me­ne Armuts­schwel­le zu errei­chen, bräuch­te es eine Brut­to­ren­te von 1215 Euro. Die­se wäre erst mit einem Stun­den­lohn von 15,70 Euro erreich­bar. Des­we­gen ist als ers­ter Schritt eine sofor­ti­ge Anhe­bung des Min­dest­lohns auf 15 Euro notwendig.

Unse­re Antwort
Kapi­ta­lis­mus ist unso­zi­al und unge­recht. Dar­an ändert auch ein gesetz­li­cher Min­dest­lohn nichts. Wir kämp­fen den­noch für einen Min­dest­lohn, weil er für Mil­lio­nen Men­schen eine unmit­tel­ba­re Ver­bes­se­rung ihrer Lebens­la­ge bedeu­ten kann.

Damit der Min­dest­lohn tat­säch­lich aus der Armuts­fal­le führt, muss er mit ergän­zen­den Rege­lun­gen ver­bun­den werden:
• Die Zah­lung des Min­dest­lohns muss durch Betriebs­rä­te – sofern vor­han­den - oder durch gewerk­schaft­li­che Komi­tees über prüft werden.
• Der Min­dest­lohn darf weder mit Mehr­ar­beit noch mit ande­ren Leis­tun­gen ver­rech­net werden.
• Miet­kos­ten sowie Nah­rungs- und Ener­gie­prei­se müs­sen gede­ckelt werden.
• Der Min­dest­lohn wird ent­spre­chend der Preis­stei­ge­rung auto­ma­tisch erhöht.

Es ret­tet uns kein höh’res Wesen …“ – die­se Text­stel­le aus dem Lied „Die Inter­na­tio­na­le“ ver­mit­telt eine zen­tra­le Klas­sen­kampf­erfah­rung. Die­se gilt es wie­der zu bele­ben. Ver­trau­en wir des­halb nur auf unse­re eige­ne Kraft.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Novem­ber 2021
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