BR-Mob­bing mit den juris­ti­schen Mit­teln des deut­schen Faschismus?

 

Auf der 11. Bun­des­kon­fe­renz „Betriebs­rä­te im Visier“ wur­de der fol­gen­de Auf­ruf an die Spit­zen des DGB und der Ein­zel­ge­werk­schaf­ten ein­stim­mig ver­ab­schie­det. Wir doku­men­tie­ren im Fol­gen­den die­sen Appell und bit­ten um akti­ve Unterstützung.

Kon­takt: solidaritaet@gegen-br-mobbing.de, wei­te­re Infos: www.gegen-br-mobbing.de und www.work-watch.de.


Offe­ner Brief an die Vor­sit­zen­den der Ein­zel­ge­werk­schaf­ten und des DGB 
„Nie wie­der ist jetzt!“: Fort­wir­ken des faschis­ti­schen Arbeits­un­rechts been­den!

Konferenz „BR im Visier“ in Mannheim, 12. Oktober 2024. (Foto: Helmut Roos.)

Kon­fe­renz „BR im Visier“ in Mann­heim, 12. Okto­ber 2024. (Foto: Hel­mut Roos.)

Sind Betriebs­rats-Mob­bing und Gewerk­schafts­be­kämp­fung mitt­ler­wei­le all­täg­lich im deut­schen Rechts­staat? Es fällt schwer, die­se Fra­ge mit Nein zu beant­wor­ten. Selbst im Hei­del­ber­ger Unter­neh­men des BDA-Prä­si­den­ten Dul­ger konn­te der gewerk­schaft­lich orga­ni­sier­te Betriebs­rat zer­schla­gen werden.

Die Durch­set­zung eines „Rechts des Stär­ke­ren“ und die damit ver­bun­de­ne ille­ga­le Bekämp­fung von betrieb­li­chen und gewerk­schaft­li­chen Inter­es­sen­ver­tre­tun­gen ist ein extrem beun­ru­hi­gen­des Phä­no­men. Die Täter wer­den meist weder recht­lich ver­folgt noch belangt.

Sie kön­nen viel­mehr das Mit­tel der „Ver­dachts­kün­di­gung“ gegen Betriebs­rä­te und gewerk­schaft­lich Akti­ve skru­pel­los anwen­den, obwohl es ele­men­ta­ren Rechts­grund­sät­zen wider­spricht. Denn die gemobb­ten und gekün­dig­ten Opfer müs­sen ihre Unschuld beweisen!

Die­ser Skan­dal beruht vor allem auf dem Nach­wir­ken des faschis­ti­schen Arbeits­un­rechts bis heute.

Nach der Errich­tung der faschis­ti­schen Dik­ta­tur 1933 wur­den Gewerk­schaf­ten und Betriebs­rä­te ver­bo­ten. Das bis­he­ri­ge Arbeits­recht wur­de 1934 mit dem „Gesetz zur Ord­nung der natio­na­len Arbeit“ kon­se­quent in Unrecht umge­wan­delt. Die dort fest­ge­schrie­be­ne Ver­pflich­tung der „Betriebs­ge­folg­schaft“ zur „Treue“ gegen­über dem „Betriebs­füh­rer“ war schwer­wie­gend. Angeb­li­che Ver­stö­ße gegen die Treue­pflicht konn­ten seit­her mit „Ver­dachts­kün­di­gun­gen“ geahn­det werden.

Im Nach­kriegs­deutsch­land pass­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) unter maß­geb­li­cher Betei­li­gung von bereits in der Nazi­dik­ta­tur täti­gen Juris­ten wie dem 1. BAG-Prä­si­den­ten Nip­per­dey wesent­li­che Ele­men­te des faschis­ti­schen Arbeits­un­rechts „demo­kra­tisch“ an. Das hat­te ins­be­son­de­re die mas­si­ve Ein­schrän­kung des Streik­rechts zur Fol­ge, das Ver­bot poli­ti­scher Betä­ti­gung im Betrieb, die „Treue­pflicht“ gegen­über dem „Arbeit- geber“, die „Betriebs­ge­mein­schaft“, die „ver­trau­ens­vol­le Zusam­men­ar­beit“ und nicht zuletzt die „Ver­dachts­kün­di­gun­gen“.

Das BAG hält bis heu­te an die­ser unse­li­gen Tra­di­ti­on nicht nur fest, es hat sogar sei­ne Recht­spre­chung durch die Mög­lich­keit einer „grund­lo­sen frist­lo­sen Ver­dachts­kün­di­gung“ verschärft.

Nach Auf­fas­sung von Jurist:innen stellt die Ver­dachts­kün­di­gung einen Ver­stoß gegen das Grund­ge­setz dar – kon­kret gegen Art. 12 Abs. 1 (Recht auf freie Wahl des Arbeits­plat­zes) und Art. 20 Abs. 3 (Bin­dung der Recht­spre­chung an Gesetz und Recht). Sie kann zudem aus­schließ­lich durch das Been­di­gungs­in­ter­es­se des „Arbeit­ge­bers“ ohne tat­säch­li­che Rechts­grund­la­ge aus­ge­spro­chen werden.

Statt­des­sen ist die Über­tra­gung des Grund­sat­zes „im Zwei­fel für den Ange­klag­ten“ auf das Arbeits­recht unter Bezug­nah­me auf Art. 6 Abs. 2 (Recht auf ein fai­res Ver­fah­ren) der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on erfor­der­lich. Dort heißt es: „Jede Per­son, die einer Straf­tat ange­klagt ist, gilt bis zum gesetz­li­chen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“

Neben dem gesetz­li­chen Ver­bot der Ver­dachts­kün­di­gung ist auch der § 9 Abs. 1 Satz 2 Kün­di­gungs­schutz­ge­setz zu strei­chen. Dort wer­den näm­lich dem Unter­neh­mer bei Fest­stel­lung der Unwirk­sam­keit einer Kün­di­gung noch sehr viel wei­ter­rei­chen­de Mög­lich­kei­ten zur Auf­lö­sung eines Arbeits­ver­hält­nis­ses als nur in Ver­dachts­fäl­len geboten.

Die mit Ver­dachts­kün­di­gun­gen ein­her­ge­hen­den schwe­ren Ver­stö­ße gegen Grund- und Men­schen­rech­te haben fata­le Fol­gen: gesund­heit­lich zer­stör­te Men­schen, schwer geschä­dig­te Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, rui­nier­te beruf­li­che Exis­ten­zen und nicht zuletzt ein­ge­schüch­ter­te Belegschaften.
Die För­de­rung star­ker demo­kra­ti­scher Gegen­macht in Betrie­ben und der Gesell­schaft ist jedoch eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung, um Betriebs­rats- und Gewerk­schafts­be­kämp­fung sowie den Vor­marsch der Rech­ten stop­pen zu können.

Nie wie­der ist jetzt!“ gilt daher beson­ders für die Arbeits­welt. Denn gera­de dort, wo faschis­ti­sches Unrecht nach wie vor „Recht“ ist, wird Wider­stand zur Pflicht!

Es ist auch des­halb höchs­te Zeit, das skan­da­lö­se Fort­wir­ken des faschis­ti­schen Arbeits­un­rechts in Deutsch­land zu been­den und kon­kret die „Ver­dachts­kün­di­gung“ zu ver­bie­ten. Es ist die urei­gens­te Auf­ga­be des DGB und der Ein­zel­ge­werk­schaf­ten dies bei Poli­tik und Jus­tiz kon­se­quent einzufordern.

Erst­un­ter­zeich­ner: Gün­ter Wall­raff, Horst Schmit­t­hen­ner, 11. Bun­des­kon­fe­renz gegen BR-Mob­bing u. a.

Mann­heim, den 12.10.2024


Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Dezem­ber 2024
Tagged , , , , , , , . Bookmark the permalink.