Wie kommen Epidemien in die Welt?
Michael Kohler
Seit drei Monaten dreht sich alles um die Corona-Pandemie. Seltsam dünn ist aber die Auseinandersetzung mit deren Ursachen. Vor allem ist wenig zu hören über das Entstehen des Virus und die Übertragung auf Menschen. Dabei geht es hier um die Frage aller Fragen: Wie können künftig solche Pandemien verhindert werden?
Die WHO hat die aktuelle Flut der Berichterstattung als „Infodemie“ bezeichnet. In der Tat trägt sie zunehmend Züge einer Desinformation, die von den Verursachern und den Nutznießern der Pandemie ablenkt.
Industrielle Tierausbeutung
Im Hintergrund der Pandemie steht die industrielle Tierausbeutung. Sie wird von besonders mächtigen Konzernen der Agrar-, Chemie-, Pharma- und Nahrungsmittelbranche gefördert. In diesen Sparten werden meist überdurchschnittliche Profite und Wachstumsraten erzielt. Wirtschaftsminister Altmaier nennt sie „Champions“. Sie werden wegen ihrer hohen Gewinne – nicht nur von der deutschen Regierung – besonders unterstützt und geschützt.
Die industrielle Massentierhaltung fördert die Entstehung neuer Zoonosen (Infektionskrankheiten), die sich zu Pandemien entwickeln können. Der Virologe Christian Drosten wies bereits im April 2018 darauf hin. Er sagte, dass Massentierhaltung ein Brutreaktor für die Entstehung neuer Keime ist und bei uns die Grippewellen durch die industrielle Schweinehaltung angetrieben werden.
Zu Herkunft von COVID-19 führte er aus: „Das Virus verbreitet sich dort, wo Tiere gezüchtet werden. Und Händler gehen an solche Orte [wie den Markt in Wuhan].“
In den letzten 30 Jahren ist die Anzahl außergewöhnlicher Krankheitsausbrüche durch Zoonosen stark angestiegen. Rund zwei Drittel aller Infektionskrankheiten, die erstmals bei einem Menschen diagnostiziert werden, stammen ursprünglich von Tieren.
Zerstörung von Ökosystemen
Dennis Carroll, ehemaliger Leiter des US-Pandemie-Frühwarnsystems PREDICT, wird von Medien inzwischen als „der Mann“ bezeichnet, „der die Pandemie kommen sah“. Carroll hat eine sehr klare Meinung davon, wie die Viren auf Menschen überspringen: „Die wichtigste Ursache für das Übergreifen von Viren liegt in der Transformation von Ökosystemen durch eine Änderung der Landnutzung. Deren wichtigster Faktor ist wiederum die Rinderhaltung und -produktion. Hinzu kommt die Herstellung von Nahrungsmitteln für diese Rinder […]. Wenn wir unseren Proteinbedarf weiter auf die bisherige Weise decken – und hier spielt Rindfleisch eine große Rolle – wird die Gefahr des Virenübergreifens rasant wachsen.“
Es hängt von drei Faktoren ab, wie gefährlich ein Virus ist. 1. Wie infektiös er ist und wie schnell er sich ausbreitet, 2. wie lange seine Inkubationszeit ist, und 3. wie schwer die von ihm ausgelöste Erkrankung und die Mortalität ist.
Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist hoch infektiös. Es ist aber wissenschaftlich noch nicht genau erforscht. Der schlimmste Fall ist ein hoch infektiöses Virus mit einer langen Latenz – das ist der Zeitraum von der Ansteckung bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Angesteckte infektiös wird – und einer hohen Sterblichkeit. Eine solche Kombination ist nicht unwahrscheinlich. Unter den Bedingungen der Massentierhaltung und der Zerstörung natürlicher Lebensräume im Dienst der Agrarindustrie kann sich jederzeit ein Erreger entwickeln, der alle drei dieser Gefahrenmerkmale aufweist. Die Opferzahlen einer dadurch ausgelösten Pandemie könnten unvorstellbar hoch sein.
Pandemien aus Profitgier
Allein die Zahl der Tiere in Massentierhaltung treibt die Entwicklung neuer Krankheitserreger voran. 94 % aller auf der Erde lebenden Säugetiere sind Nutztiere, 95 % davon befinden sich in Massenhaltung.
Nur 6 % der Säugetiere sind sogenannte Wildtiere. Es gibt derzeit etwa 70 Milliarden Nutztiere, über 60 Milliarden werden pro Jahr geschlachtet und verzehrt. Hunderte Millionen Tiere wurden in den letzten Jahren aufgrund immer häufiger auftretender Seuchen getötet.
Die Öffentlichkeit hat sich derart an solche Massentötungen gewöhnt, dass sie kaum noch Aufmerksamkeit erregen. Auch die Verkaufszahlen brechen nicht oder nur vorübergehend ein. Hoffentlich lehrt uns jetzt die Corona-Pandemie, dass jede Massentötung von Tieren ein Vorbote ist für das Massensterben von Menschen.
Der Virologe Rob Wallace, Autor des Buches Big Farms Make Big Flu, formuliert eine düstere These: „Im Namen der Bevölkerung, der sie angeblich dienen, sind Agrarkonzerne und Regierungen willens und dazu in der Lage, das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, zu riskieren.“
Konzernmacht brechen
Die Prävention künftiger Pandemien ist eine sehr komplexe Aufgabe. Es geht um den Aus- und Umbau von Gesundheitssystemen im Sinne des Gemeinwohls, um Impfungen, die Beeinflussung von Ausbreitungswegen und vieles mehr.
Aus den Erfahrungen der Pandemien der letzten Jahrzehnte und aus den Forschungen von Christian Drosten, Dennis Carrol, Rob Wallace und vielen anderen folgt aber auch: Keine Präventionsstrategie wird Aussicht auf Erfolg haben, solange die Massentierhaltung sowie die Macht der Agrarindustrie und der Nahrungsmittelindustrie bestehen bleibt.
Prävention künftiger Pandemien mit sehr vielen Millionen Opfern heißt: Massentierhaltung beenden und die Macht der großen Agrar- und Nahrungsmittelkonzerne brechen.
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