Rekordprofite statt Reallohnerhöhung?
H. N.
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) fordert für die rund 160.000 Tarifbeschäftigten bei der Deutschen Post AG eine Tarifsteigerung um 15 Prozent.
Die Laufzeit des Tarifvertrags soll zwölf Monate betragen. Zudem sollen die Ausbildungsvergütungen sowie die Entgelte der dual Studierenden in jedem Ausbildungsjahr monatlich um 200 Euro erhöht werden.
Die Spitze der Deutschen Post AG lehnt die bei Lichte betrachtet eher bescheidenen Gewerkschaftsforderungen als unbezahlbar ab.
Das ist eine freche Provokation. Durch die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen der Deutschen Post AG konnte der Konzern 2022 einen sagenhaften Gewinn von 8,4 Milliarden Euro erzielen. Das ist das bisher beste Ergebnis für die Deutsche Post AG. Auch der Unternehmensbereich Post & Paket Deutschland steht finanziell blendend da.
In der letzten Tarifrunde hat es gerade mal mickrige 2 % Lohnerhöhung gegeben. 88 Prozent der Kolleginnen und Kollegen sind in den Entgeltgruppen 1 - 3 eingruppiert, das bedeutet im Schnitt etwa 1.700 € netto im Monat. Weihnachtsgeld gibt es erst ab dem 2. Jahr in Festeinstellung. Es ist keine Frage, dass der bisherige Reallohnverlust der Beschäftigten durch die Rekordinflation des letzten Jahres noch massiv gesteigert worden ist.
Erfolge erstreiken
Die Gewerkschaft reagiert auf die Blockade des Managements mit einer Welle von Warnstreiks.
Den Angaben von ver.di zufolge haben sich vom 26. bis zum 28. Januar 2023 bundesweit rund 42.000 Beschäftigte in ausgewählten Paket- und Briefzentren sowie in der Paket-, Brief- und Verbundzustellung an ganztägigen Arbeitsniederlegungen beteiligt. Bereits in der Woche davor hätten bundesweit insgesamt rund 30.000 Kolleginnen und Kollegen an ganztägigen Warnstreiks teilgenommen.
Auch in Mannheim organisierte ver.di jeweils eine Arbeitsniederlegung am 26. Januar im Briefzentrum und am 27. Januar 2023 bei der Zustellung.
Der zuständige Gewerkschaftssekretär Imre Uysal sagte danach: „Wir werten den gestrigen und heutigen Streiktag als vollen Erfolg. Beide Tage zusammengenommen sind rund 600 Beschäftigte unserem Streikaufruf gefolgt“. Durch die kurzfristig organisierte Streikdemo von 350 Kolleginnen und Kollegen habe ver.di zudem die Mannheimer Bevölkerung auf die Forderung nach 15 % mehr Lohn aufmerksam machen können.
Die Gewerkschaft fordert nun ein „verhandlungsfähiges Angebot“ beim nächsten Verhandlungstermin am 8. und 9. Februar 2023. Es ist zu erwarten, dass es dann zu weiteren Aktionen kommen wird.
Zweifelsohne verdienen die Warnstreiks uneingeschränkte gewerkschaftliche und gesellschaftliche Solidarität. Aber sie sollten auch Anlass sein, einige kritische Fragen zu stellen und möglichst breit zu diskutieren.
Zusammenhänge erkennen
Der Tarifkonflikt bei der Post ist in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Er hat insbesondere Auswirkungen auf die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst. Die Überwindung des tarif- politischen Klein-Kleins nicht nur, aber insbesondere bei ver.di ist eine zentrale Herausforderung für eine erfolgreiche Strategie.
Sich dieser Frage zu stellen, heißt auch, das notorische Vermeiden von „Erzwingungsstreiks“ durch die DGB-Gewerkschaften zu problematisieren. Letzteres ist zum einen ein Resultat des noch durch den ersten Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts und früheren Nazi-Juristen Nipperdey in Deutschland sehr stark eingeschränkten Streikrechts. Zum anderen ist es eine Folge der politischen und organisatorischen Schwächung der DGB-Gewerkschaften aufgrund ihrer Anpassung an den Kapitalismus.
Es gilt zudem, die Diskussion über Forderungsinhalte zu beleben. Prozentforderungen führen im Unterschied zu Festgeldforderungen zu einem immer weiteren Auseinanderdriften der Entgeltgruppen und damit zu einer Schwächung der Solidarität.
Angesichts der anhaltenden Preistreiberei kann ein Blick über den deutschen Tellerrand nicht schaden. Piloten zum Beispiel machen das. Sie fliegen ja bekanntlich auch in ganz weit entfernte Länder − wie Belgien oder Luxemburg. Wahrscheinlich sind sie deshalb im letzten Jahr auf die kluge Idee gekommen, den dort geltenden automatischen Inflationsausgleich auch von der Lufthansa zu fordern. Warum sollten andere Gewerkschaften solche Anregungen weiter ignorieren?
Aktuell ist jedoch die Unterstützung für die Warnstreiks bei der Deutschen Post AG angesagt. Solidarität ist notwendig und machbar!