Was nun?
O.T.
Maßgebliche prokapitalistische Kreise haben nach dem Scheitern der „Jamaica“-Verhandlungen eine weitere GroKo propagiert und durchgesetzt. Hier nun Fortsetzung und Schluss des Artikels aus Avanti² von März 2018.
Bildung
Das Kindergeld und der Kinderzuschlag sollen steigen. Der Bund will Länder und Kommunen beim Ausbau und der Qualitätssteigerung der Kinderbetreuung (Kitas u.a.) mit 3,5 Mrd. Euro unterstützen. Nach Einschätzung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ist die dafür zur Verfügung gestellte Summe zu gering. Das Familienministerium hatte bislang 10 Mrd. Euro veranschlagt. Für den Ausbau der Betreuung in den Grundschulen sind 2 Mrd. Euro vorgesehen, für den sogenannten Digitalpakt Schule 3,5 Mrd. Euro
Für die Einstellung von mehr Lehrerinnen und Lehrern ist nichts vorgesehen.
Arbeit
Die sachgrundlose Befristung bleibt, wenn auch eingeschränkt auf 18 statt bisher 24 Monate und auf 2,5 Prozent der Belegschaft von Firmen, die mehr als 75 Beschäftigte zählen. Statt einer dreimaligen soll nur noch eine einmalige Verlängerung möglich sein.
Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung soll um 0,3 Prozentpunkte gesenkt werden. Kommentar des Paritätischen Wohlfahrstverbandes: „Die geplante Senkung ist so groß, dass der Bundesagentur für Arbeit neue Sparzwänge auferlegt werden. Damit wird der Ausbau der Weiterbildung konterkariert.”
Für 150.000 Langzeitarbeitslose will die Bundesregierung einen Zuschuss geben, damit sie in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung kommen. Es gibt aber 900.000 Langzeitarbeitslose. Prekäre Beschäftigung wird nicht eingedämmt.
Rentenpolitik
Das jetzige Rentenniveau und der Beitragssatz sollen bis 2025 festgeschrieben werden. Das bedeutet eine Absicherung der Rentensenkungen der letzten 15 Jahre. Nach 2025 soll das Rentenniveau dann weiter deutlich sinken.
Neu ist die sogenannte Grundrente für langjährige Geringverdiener: Wenn sie 35 Jahre lang Beiträge bezahlt haben und trotzdem nicht über die Grundsicherung hinauskommen, sollen sie einen Aufschlag von 10 Prozent des Grundsicherungsniveaus bekommen. Das ist aber eine Fürsorgeleistung, denn es wird ihnen anderes Einkommen und Vermögen angerechnet, mit Ausnahme der Häuser und Wohnungen, in denen sie wohnen. Die Betroffenen werden es sich dreimal überlegen, ob sie sich auf diese Weise enteignen lassen.
Seehofer hat eine Ausweitung der Mütterrente um ein drittes Jahr durchgesetzt. Bislang wird sie aus der Rentenversicherung gezahlt. Die Mütterrente betrifft 2,8 Millionen Frauen.
In der Finanzplanung der GroKo-Projekte ist nichts für die Renten-Maßnahmen vorgesehen. Sollten diese Maßnahmen dann vollständig aus Beitragsmitteln bezahlt werden, würden die sogenannten versicherungsfremden Leistungen wieder, wie schon in den 1990er Jahren, in Richtung 30 Mrd. Euro gehen. Ein paar Verbesserungen, die sich teilweise als vergiftet erweisen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schwächung der gesetzlichen Rentenversicherung weiterbetrieben und der zunehmenden Altersarmut nichts entgegengesetzt wird.
Sozialer Wohnungsbau
Ab 2020/2021 sollen 2 Mrd. Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt werden. Nötig wären nach Berechnungen des Mieterbundes jährlich 3 Mrd. Euro.
Sicherheit
Die Sicherheitsbehörden, dazu gehören der „Verfassungsschutz” und die Polizei, sollen 15.000 Stellen mehr bekommen, je 7.500 beim Bund und bei den Ländern. Die Videoüberwachung wird ausgebaut.
Militärpolitik
Die Waffenexporte gehen weiter, sogar Altaufträge an aktuelle Kriegsparteien wie Saudi-Arabien, das Krieg im Jemen führt, werden abgearbeitet. Der Bundeswehreinsatz in Mali und Afghanistan wird weitergeführt, die „Mission” im Nord-Irak wird als erfolgreich bezeichnet, obwohl sich der Krieg dort zu einem regionalen Stellvertreterkrieg ausgeweitet hat.
Dem 2-Prozent-Ziel der NATO will die GroKo näher kommen – für Deutschland bedeutet das eine Verdopplung der Militärausgaben! Die EU-Militärunion soll ausgebaut werden, dafür soll eine bewaffnungsfähige Euro-Drohne entwickelt werden. Die US-Atomwaffen, die in Deutschland gelagert sind, will man nicht abschaffen.
Instabilität
Das erzielte Verhandlungsergebnis stößt in der Öffentlichkeit in fast allen Punkten auf Ablehnung. Manchmal geschieht das aus entgegengesetzten Motiven, weil es zu weit oder nicht weit genug geht. Teile der Gefolgschaft von CDU/CSU und SPD werfen der jeweiligen Verhandlungsführung vor, sie hätten sich über den Tisch ziehen lassen – sei es in Sach- oder sei es in Personalfragen.
Das spiegelt jedoch nur die Tatsache wieder, dass es in der CDU/CSU ebenso wie in der SPD Absetzbewegungen von den derzeitigen Führungen gibt. Sie sind Führungen auf Abruf, der Kampf um die Nachfolge hat begonnen. Das führt dazu, dass diese Bundesegierung trotz ihrer großen parlamentarischen Mehrheit politisch relativ instabil ist. Während sich aber in der SPD eine Führungsalternative noch nicht herauskristallisiert, stehen auch in der Union die Zeichen eher auf einem Rechtsruck nach Merkel.
Großkapital
Die Politik der „Untätigkeit” wird vom Großkapital immer weniger akzeptiert. Vor dem Hintergrund, dass die Konjunktur wieder brummt und die Kapitalisten sich darauf einstellen, dass dies noch eine Weile anhält, werden sie aggressiver. Sie beharren noch selbstverständlicher auf „ihrem Recht”, sich das größte Stück vom Kuchen zu nehmen, und sie sind weniger bereit, Kompromisse zu machen.
Nichts anderes drückt auch die Stellungnahme des Deutschen Arbeitgeberverbandes (BDA) aus: „Der Vertrag ist geprägt von rückwärtsgewandter Umverteilung und unverantwortlicher Belastung der jungen Generation.”
Die Politik der GroKo ist die Fortsetzung einer Politik gegen die Interessen der abhängig Beschäftigten. Aber die Kapitalisten wollen mehr. Sie haben begriffen, dass die Gewerkschaftsbewegung aufgrund des Festhaltens ihrer Führungen an einer sozialpartnerschaftlichen Politik und ihrer Anlehnung an die neoliberale SPD politisch und praktisch geschwächt ist.
Gewerkschaften
Jahrelang haben die Gewerkschaftsvorstände auf eine ernsthafte politische Auseinandersetzung und die Stärkung von Gegenmacht – zum Beispiel durch wirksame Streiks – verzichtet. Sie wollten die „Wettbewerbsfähigkeit” der Betriebe nicht gefährden. Das hat dazu geführt, dass die Gewerkschaftsmitglieder heute viel stärker als in der Vergangenheit der Kapitallogik unterworfen sind und kaum mehr solidarische Perspektiven erkennen.
Perspektiven
In den kommenden Auseinandersetzungen können die Gewerkschaften und die Linke nur bestehen, wenn sie alle Kräfte auf wichtige zentrale Punkte konzentrieren. Dazu gehört auch eine klare, solidarische und internationalistische Antwort auf die Fluchtbewegung, eine starke Front gegen weitere Privatisierungsinitiativen, und die Verteidigung demokratischer und gewerkschaftlicher Rechte.
Es ist nicht die Aufgabe der Gewerkschaftsapparate den Koalitionsvertrag und die GroKo hoch zu loben, wie das die meisten Gewerkschaftsführungen schon getan haben. Es ist jetzt die wichtigste Aufgabe der Gewerkschaften, gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und sozialen Bewegungen gegen die unsoziale Politik und gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft vorzugehen.
Nur im gemeinsamen, praktischen Kampf werden die KollegInnen die notwendige Erfahrung sammeln, um weitergehende Perspektiven – für eine andere, für eine demokratische und sozialistische Gesellschaft – zu entwickeln.