Öffentlicher Dienst
Helmut Born
Die beiden bisherigen wichtigen Tarifrunden in der Chemie- und der Metall- und Elektroindustrie haben mit unbefriedigenden Abschlüssen geendet. Die jeweiligen Prozentabschlüsse liegen weit unterhalb der Inflationsrate und haben zu lange Laufzeiten.
Hinzu kommen zwar steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen über insgesamt 3.000 €. Aber diese in Kollaboration mit der Bundesregierung von den Gewerkschaftsspitzen bewusst ausgehandelten Zahlungen dienten dazu, die Tarifrunden ganz im Sinne der „konzertierten Aktion“ ruhig über die Bühne zu bringen. Das ist mit aktiver Unterstützung der Vorstände von IG BCE und IG Metall ohne Zweifel auch gelungen.
Forderungen von ver.di
Im Gegensatz zu den Industriegewerkschaften scheint ver.di zu versuchen, einen anderen Weg einzuschlagen. Allein die Forderungen sprechen schon eine andere Sprache.
Zu der Anfang 2023 anstehenden Tarifrunde im Öffentlichen Dienst wurde ein umfangreiches Forderungspaket beschlossen, das zumindest den Anspruch hat, die Lohnverluste durch die Preisentwicklung auszugleichen.
Die Forderungen lauten im Einzelnen:
· 10,5 % mindestens 500 €
· 200 € für Azubis
· Unbefristete Übernahme aller Azubis nach der Ausbildung
· Laufzeit des Tarifvertrages 12 Monate.
Bei einer in diesem Jahr zu erwartenden Preissteigerungsrate von 8 - 9 %, könnten diese Forderungen dazu dienen, die Einkommensverluste die 2022 entstanden sind, eher auszugleichen als in der Industrie. Vor allem die Forderung nach einer Mindesterhöhung von 500 € gibt den unteren bis mittleren Besoldungsgruppen die Möglichkeit dazu.
Tarifrunde kein Selbstläufer
Dass diese Tarifrunde dennoch unter den jetzigen Bedingungen kein Selbstläufer wird, ist leicht auszurechnen.
Auch wenn ver.di im kommunalen Bereich viele Möglichkeiten hat, wirkungsvolle Streiks durchzuführen, werden die Abschlüsse der Industriegewerkschaften von der Bundesregierung, den kommunalen „Arbeitgebern“ und den Medien als Vorbild angepriesen werden. Zudem wird sicherlich erneut das Klagelied über die Schulden der Öffentlichen Haushalte angestimmt und die Aufforderung an die Gewerkschaften zum Maßhalten lautstark ertönen.
All dies spielt in der innergewerkschaftlichen Debatte eine große Rolle. Die Ablehnung der von der Bundesregierung favorisierten Einmalzahlungen über 3.000 € ist sehr deutlich. Sowohl bei den aktiven Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern wie auch bei den Mitgliedern des Bundesvorstandes gibt es eindeutige Stellungnahmen. Ob diese Ablehnung durchgehalten wird, bleibt allerdings offen.
Abkehr vom Tarifritual?
So oder so scheint der Bundesvorstand sich auf eine harte und langanhaltende Auseinandersetzung vorzubereiten. Zum ersten Mal seit den 1990er Jahren kann es wieder zu Urabstimmungen und unbefristeten Streiks kommen. Dies wäre eine Abkehr von dem in den letzten Jahren verfolgten Ritual, dass drei Verhandlungsrunden vereinbart sind und nach der 3. Runde dann auch ein Ergebnis präsentiert wird. Dies wäre dann Ende März 2023 der Fall.
Sollte aber es dieses Mal anders werden, wird es im April 2023 Urabstimmungen und anschließend unbefristete Streiks geben. Dass es bis dahin ein weiter Weg unter den aktuellen Bedingungen ist, kann leicht an den fünf Fingern abgezählt werden. Es bedarf dazu vor allem einer wirklich breiten Mobilisierung der Beschäftigten und des Willens der ver.di-Führung sich für ein Ergebnis einzusetzen, das deutlich besser als die Abschlüsse der Industriegewerkschaften ist.
Das erfordert vor allem die Bereitschaft der Mitglieder, sich nicht nur aktiv zu beteiligen, sondern auch die ver.di-Führung unter Druck zu setzen, um sie von einem lauen Kompromiss abzuhalten.
Gemeinsam streiten!
Anfang Januar 2023 beginnt zudem die Tarifrunde bei der Deutschen Post/DHL. Hier hat die zuständige Tarifkommission eine Forderung nach einer Lohnerhöhung von 15 % aufgestellt. Diese wird nicht am Verhandlungstisch durchgesetzt werden können. Wäre es hier nicht angebracht, die beiden Tarifrunden zusammen zu führen? Dies würde sicherlich den Druck auf alle Gegenseiten erhöhen, wenn Briefe und Pakete nicht zugestellt, Mülltonnen nicht geleert und Straßenbahnen und Busse in den Depots blieben. Damit würde ein weiteres Ritual bei ver.di beendet, nämlich dass jeder Bereich seine Tarifrunde alleine bestreitet.