Helmut Dahmer
Nach dem Zweiten Weltkrieg richteten sich verschiedene Menschenrechtsdeklarationen – darunter auch die des Grundgesetzes (GG) von 1949 – gegen die Diskriminierung und Verfolgung von Menschen, die von verängstigten Mehrheiten unter dem Einfluss von Demagogen als „gefährliche Fremde“ ausgegrenzt wurden. Das betraf zum einen Menschen, die von Territorien
außerhalb der kapitalistischen Zentren Europa und Nordamerika in diese verschleppt worden oder in sie eingewandert waren, zum andern überlebende Opfer des deutschen NS-Menschenfresser-Staats (Juden und Angehörige der Sinti und Roma).
Der Versuch schlägt fehl, auf die Magie der Sprache setzend, diese von fatalen Stereotypen zu reinigen. Wer den Rassismus unserer Landsleute durch Tilgung eines Worts im Menschenrechts- katalog des Grundgesetzes bekämpfen will, also darauf hofft, dass sie auf diese Weise ihren „Rassismus verlernen“, verwechselt – wie Don Quichotte – Windmühlen mit Riesen.
Der Artikel 3 (3) führt nicht weniger als zehn Persönlichkeits-Merkmale auf, die (vor Proklamation des GG) allzu vielen Menschen (und den drei Gewalten) Anlass zu „Benachteiligungen“ gaben; er appelliert an diese Mehrheit (und die staatlichen Instanzen), ihrer Benachteiligungstendenz (in Anbetracht des Gleichberechtigungsgebots) künftig nicht mehr freien Lauf zu lassen.
Sprachtabus ziehen keine Einstellungsänderungen nach sich. Das Verpönte sucht und findet stets wieder neue Ausdrucksmöglichkeiten. Wer nicht mehr „Heil Hitler“ schreit, schreibt nun 88; und wer „die Juden“ hasst, bringt, wie der NSU, Muslime um. Statt den Artikel 3 (3) des GG bald zu erweitern, bald zu kürzen, bietet sich eine einfache und umfassende Umformulierung an, etwa: „Niemand darf wegen seiner Aussehens, seiner Kleidung, seines Geschlechts, seiner körperlichen Verfassung, seiner sexuellen, politischen und religiösen Orientierung benachteiligt werden.“