Offene RSB-Tagung am 29. November 2014 in Mannheim
Im Rahmen dieser Tagung wollen wir uns nicht nur mit Ursachen und Folgen von arbeitsbedingten Erkrankungen auseinandersetzen, sondern auch über Ansätze zur betrieblichen und gewerkschaftlichen Gegenwehr informieren und diskutieren. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!
PL/RE
Im Kapitalismus stören kranke Arbeitskräfte. Sie behindern die Profitmaximierung und damit die Ausbeutung der Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Diese sind so lange nützlich, wie sie zur Produktion von Mehrwert beitragen (wozu auch die Reproduktionsarbeiten in Haushalt und Kindererziehung gehören). Überspitzt lässt sich sagen: Das Gesundheitssystem im Kapitalismus ist nichts anderes als der Reparaturbetrieb für kaputt gegangene Arbeitskraft. Ausnahmen von dieser Regel sind gesellschaftlich gegen das Profitsystem durchgesetzt worden. Passenderweise trägt die Krankschreibung ja auch den offiziellen Namen „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“. Die Reparatur der Ware Arbeitskraft ist für Betriebe einerseits unverzichtbar, weil insbesondere qualifizierte Arbeitskräfte nicht einfach ausgetauscht werden können. Andererseits sind sie im Sinne der kurzfristigen Profitmaximierung aber unproduktive Ausgaben. Der Kapitalismus hat also ein Optimierungsproblem, das nicht so einfach zu lösen ist. Es gibt kein Zentralkomitee der Bourgeoisie, welches die Lösung berechnen und verfügen könnte. Zudem wäre das Optimum in der Regel erst im Nachhinein festzustellen. Zwar gibt es Prävention auch im Kapitalismus, schließlich ist deren Vorteil ja bekannt. Allerdings ist diese Prävention sehr eingeschränkt. Die Schranken liegen zum einen in der Verwertungslogik des Kapitals: Die Gesellschaft wird nach den Profitinteressen und nach den „Gesetzen des Marktes“ gestaltet, nicht nach einem vernünftigen Plan. Eingriffe im Interesse der Bedürfnisse der arbeitenden Menschen, die den Profit schmälern, sind nur gegen erhebliche Widerstände durchsetzbar. Dann gibt es aber noch weitere Hindernisse, welche mit der Verwertungslogik eher indirekt zu tun haben: Für Prävention ist eine betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse kaum möglich, d.h. es lässt sich nicht exakt berechnen, für welchen Aufwand an Prävention welche Einsparungen zu erwarten sind. Zudem sind die ökonomischen Auswirkungen von Präventionsmaßnahmen möglicherweise erst Jahrzehnte später spürbar, was mit kurzfristigen Profiterwartungen nicht verträglich ist. Das Resultat ist, dass es im Kapitalismus vorwiegend Verhaltensprävention gibt, keine Verhältnisprävention. Da Verhalten etwas ist, was jemand (zumindest vordergründig betrachtet) steuern kann, ist der Schritt von da zur Schuldzuweisung an Kranke nicht weit.