Real­lohn­sen­kung und Abwertung

Der Tarif­ab­schluss im Öffent­li­chen Dienst

N. B.

Die­sen Herbst fan­den die Tarif­ver­hand­lun­gen im Öffent­li­chen Dienst der Län­der statt. Nach dem Applaus der letz­ten Jah­re waren die Hoff­nun­gen auf eine hand­fes­te Auf­wer­tung der Beru­fe ins­be­son­de­re im Gesund­heits- und Bil­dungs­be­reich groß. Sie wur­den bit­ter enttäuscht.

Warnstreik-Kundgebung in Heidelberg, 25. November 2021. (Foto: N. B.)

Warn­streik-Kund­ge­bung in Hei­del­berg, 25. Novem­ber 2021. (Foto: N. B.)

Im Zen­trum der For­de­run­gen der DGB-Gewerk­schaf­ten ver.di, GEW, GdP und IG Bau stand eine Lohn- und Gehalts­er­hö­hung um 5 %. Für die Beschäf­tig­ten des Gesund­heits­we­sens im Öffent­li­chen Dienst der Län­der woll­te man eine Gehalts­er­hö­hung von 300 Euro monatlich.

Die GEW for­der­te zudem eine Par­al­lel­ta­bel­le, in der Ange­stell­te und Beam­tin­nen gleich ein­ge­stuft wer­den − was auf­grund des Sta­tus­un­ter­schieds immer noch einen mas­si­ven, aber doch gerin­ge­ren Gehalts­un­ter­schied bedeu­ten wür­de. Die vie­len befris­te­ten Beschäf­ti­gun­gen, die jedes Jahr Arbeits­lo­sig­keit über die Som­mer­fe­ri­en bedeu­ten, soll­ten ein­ge­dämmt werden.

Real­lohn­sen­kung mit einem Jahr Leerlauf
Als die „Arbeit­ge­ber“ jeg­li­ches Ange­bot ver­wei­ger­ten, rie­fen GEW und ver.di im Novem­ber zu Warn­streiks auf. In vie­len Städ­ten folg­ten Beschäf­tig­te dem Auf­ruf. Bei den Ver­hand­lun­gen Ende Novem­ber kam es dann zu einer Einigung.

In den ers­ten 14 Mona­ten des Tarif­ver­trags gibt es nichts bis auf eine steu­er- und abga­ben­freie Son­der­zah­lung von 1.300 Euro. Ab dem 1. Dezem­ber 2022 gibt es eine Gehalts­er­hö­hung von 2,8 %. Ja genau, ab Dezem­ber 2022, nicht 2021! Hier hat sich nie­mand ver­le­sen und es ist kein Tipp­feh­ler. Bei spür­bar stei­gen­den Ener­gie- und Miet­prei­sen und einer Infla­ti­on von offi­zi­ell 5,2 % in 2021 bedeu­tet das eine Real­lohn­sen­kung. Dabei gibt es kei­nen Grund davon aus­zu­ge­hen, dass die Infla­ti­on nun pau­sie­ren wer­de, bis die Beschäf­tig­ten mit ihrer Lohn- und Gehalts­stei­ge­rung in einem Jahr end­lich ihren Real­lohn­ver­lust etwas ver­rin­gern können.

Ein paar weni­ge klei­ne Errun­gen­schaf­ten gab es immer­hin, wie eine Auf­sto­ckung der Zula­gen im Gesund­heits­we­sen für vie­le dort Beschäf­tig­te um 200 Euro und mehr oder eine monat­li­che Erhö­hung der Aus­zu­bil­den­den­ver­gü­tung von 50 bzw. 70 Euro für Azu­bis in die­sem Bereich.

Die For­de­rung der GEW nach struk­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen durch eine Par­al­lel­ta­bel­le wur­de jedoch gänz­lich fal­len gelassen.

Abwer­tung des Öffent­li­chen Dienstes
Die­se Abwer­tung des Öffent­li­chen Diens­tes ist fatal. Wenn auf das Klat­schen kei­ne Ver­bes­se­rung der Arbeits­be­din­gun­gen folgt, wer­den die Beru­fe ins­be­son­de­re im Gesund­heits­be­reich immer unat­trak­ti­ver. Gesund­heit und Bil­dung könn­ten tol­le, erfül­len­de Arbeits­ge­bie­te sein. Doch die mise­ra­blen Arbeits­be­din­gun­gen erlau­ben den dort Arbei­ten­den nicht, in ihrem Beruf gesund zu blei­ben. Die Pfle­ge von Kran­ken lei­det dar­un­ter eben­so wie die best­mög­li­che För­de­rung von Schü­le­rin­nen. Des­we­gen gilt die am Streik­tag in Hei­del­berg geru­fe­ne Paro­le: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns den Job versaut.“

Wenn der „Job“ immer mehr „ver­saut“ wird durch Tarif­ver­ein­ba­run­gen wie die­se, ver­schärft das die ohne­hin schon mas­si­ve bis dra­ma­ti­sche Per­so­nal­not im Gesund­heits- und Bil­dungs­be­reich. Gesund­heit und Bil­dung als Waren wer­den dann immer mehr zum Luxusgut.

Feh­len­de Durchsetzungskraft?
Die Gewerk­schafts­ap­pa­ra­te mei­nen, kei­ne Alter­na­ti­ve gehabt zu haben: Ihre Mobi­li­sie­rungs­fä­hig­keit sei nicht stark genug. Die mög­li­che mobi­li­sie­ren­de Wir­kung des Streiks beach­ten sie dabei nicht. An den weni­gen Streik­ta­gen kamen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen wie­der mit­ein­an­der in Kon­takt, was ja seit Beginn der Pan­de­mie kaum mög­lich gewe­sen war. Die Streiks hät­ten sehr wohl als Aus­gangs­punkt anstatt als End­punkt einer Tarif­aus­ein­an­der­set­zung genutzt wer­den kön­nen. Der Frust und die Wut unter den Strei­ken­den waren groß genug für eine Fort­set­zung und ver­stärk­te Mobilisierung.

Doch eine Gewerk­schaft, die nicht wil­lens ist, einen Tarif­ab­schluss im Sin­ne der Beschäf­tig­ten zu erkämp­fen, ent­fal­tet auch kei­ne wirk­sa­me Gegen­macht zu den gut orga­ni­sier­ten und ent­schlos­se­nen „Arbeit­ge­bern“.

Von unten und solidarisch!
Mehr denn je zeigt sich: Wir müs­sen unse­re Gewerk­schaf­ten von unten ver­än­dern und kön­nen uns nicht auf ihre Appa­ra­te ver­las­sen. Tarif­run­den wie die des Öffent­li­chen Diens­tes ber­gen eine Schwie­rig­keit, die wir als die Chan­ce nut­zen müs­sen, die sie ist: Sie sind bereichs- und gewerk­schafts­über­grei­fend. Wir müs­sen wie­der ler­nen, gemein­sam soli­da­risch zu kämpfen.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Janu­ar 2022
Tagged , , , , , . Bookmark the permalink.