Die Kul­tur zurückholen …

Ein Gespräch mit dem Musi­ker Bernd Köhler

 

Im Herbst 2021 ist end­lich Halt LOS erschie­nen. Das vom Autor selbst vor­züg­lich gestal­te­te Buch trägt den Unter­ti­tel „DER ZWEITE ANLAUF, Tex­te, Lie­der und Geschich­ten 1990 – 2020“. Ein vom Publi­kum gefei­er­ter Kon­zert­abend zur Vor­stel­lung die­ses lesens­wer­ten Ban­des fand am 12. Okto­ber 2021 im Mann­hei­mer Capi­tol statt. Für uns Grün­de genug, um erneut mit Bernd Köh­ler zu sprechen.*

Konzert mit Bernd Köhler und Band im Mannheimer Capitol, 12. Oktober 2021. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Kon­zert mit Bernd Köh­ler und Band im Mann­hei­mer Capi­tol, 12. Okto­ber 2021. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Gleich auf den aller­ers­ten Sei­ten von Halt LOS, im Pro­log, ver­gleichst Du Dei­nen ers­ten Besuch beim kämp­fe­ri­schen Betriebs­rat von Als­tom im Som­mer 2003 über­ra­schen­der­wei­se mit einem „Blitz­schlag …, der einen durch­fährt, wenn man eine ver­lo­ren geglaub­te Lie­be wie­der­ge­fun­den hat.“ Ist das nicht sehr nost­al­gisch verklärt?
HA, HA [lacht] und NEIN! Das ist ganz und gar nicht ver­klärt oder über­zo­gen. Das Erleb­nis damals hat­te schon etwas Grund­le­gen­des und Über­wäl­ti­gen­des, sonst hät­te die­se beson­de­re Liai­son ja auch nicht 15 Jah­re gehal­ten. Da wur­de etwas an gegen­sei­ti­ger Sinn­ge­bung aus- und ein­ge­löst, was ich mir immer gewünscht und teil­wei­se ja auch schon frü­her erlebt hat­te. Zum Bei­spiel beim Voith-Streik in Hei­den­heim, als ich mit den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen sin­gend durch den bestreik­ten Betrieb zog oder bei der har­ten Aus­ein­an­der­set­zung um den klei­nen Radio­her­stel­ler Pro- gram­ma auf der Schwä­bi­schen Alb, wo ein Teil der Beleg­schaft eigent­lich nur gewerk­schaft­li­che Struk­tu­ren im Betrieb woll­te und in eine erbit­ter­te Aus­ein­an­der­set­zung mit hun­der­ten Bereit­schafts­po­li­zis­ten hin­ein­ge­zo­gen wur­de. Am Strei­ken­de haben wir dann zusam­men die Sin­gle „Weit dro­ben im Land” ein­ge­sun­gen oder beim Kampf um das Stahl­werk in Hat­tin­gen den „Stahl­wer­ker­song”.

Das Beson­de­re bei dem Enga­ge­ment für und mit den Alstomer*innen war aber, dass die­ser Betrieb sozu­sa­gen vor der Haus­tür lag. Vis á vis. Das mach­te den dau­er­haf­ten und oft spon­ta­nen Kon­takt ja erst mög­lich, der den Chor zu dem, ich nen­ne es mal so, musi­ka­li­schen Ein­satz­kom­man­do wer­den ließ, das alle Betei­lig­ten so auch woll­ten. Ich habe im Chor öfters mal gesagt, dass mich die­ser Kon­takt wie­der vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Eine Erfah­rung die ich jedem sozi­al enga­gier­ten Künst­ler, jeder Künst­le­rin wünsche.

Im Kon­zert zum Erschei­nen von Halt LOS hast Du nicht nur an die­se immer­hin bis 2017 andau­ern­de Bezie­hung erin­nert, son­dern es stan­den ja vie­le ande­re Lie­der auf dem Pro­gramm. Nicht alle, aber doch die meis­ten sind in den Jah­ren nach 1990 ent­stan­den. Bei dem Abend im Capi­tol gelang Dir gemein­sam mit der Band ewo² und tol­len Gastmusiker*innen etwas ganz Beson­de­res. Dei­ne Musik und Dei­ne Tex­te klan­gen kei­nes­wegs ver­staubt, son­dern ganz im Gegen­teil sehr aktu­ell, leben­dig und berüh­rend. Wel­che Erklä­rung fin­dest Du dafür?
Das war so, weil die The­men, um die es in den Songs geht, zeit­los sind. Das gilt für „Uns­re Chan­ce - Résis­tance” oder „Kei­ne Wahl”, eigent­lich betriebs­po­li­ti­sche Aller­welts-Weis­hei­ten, die aber trotz­dem immer wie­der mal auf den Punkt gebracht wer­den müs­sen, genau­so wie „Dicker Hund”, ein Lied über das eige­ne Zutun. Die Fra­ge, ob man in ent­schei­den­den Momen­ten „den Arsch” hoch­be­kommt oder nicht. Oder „Spürst du”, ein Song, der sich auf eine Situa­ti­on bezieht, in der du das Gefühl hast, die Welt wür­de still­ste­hen, so ein­schnei­dend ist das gera­de Erleb­te. Sol­che The­men sind und blei­ben zeit­los wie auch die Form, die­se The­men in Lie­der zu packen und mit der Gitar­re vor­zu­tra­gen. Wenn du dann noch Musiker*innen um dich hast, die dich nicht nur beglei­ten, son­dern stüt­zen, ergän­zen oder dia­lo­gisch kon­ter­ka­rie­ren, dann kann so ein beson­de­rer Abend wie am 12. Okto­ber entstehen.

Halt LOS und eine Aufnahme von Sven Ehlers. (Foto:Privat)

Halt LOS und eine Auf­nah­me von Sven Ehlers. (Foto:Privat)

… holen wir uns die Kul­tur zurück!“ – so lau­te­te das von Dir for­mu­lier­te Mot­to die­ser denk­wür­di­gen Ver­an­stal­tung in der Neckar­stadt. Jetzt sind wir auf­grund des anhal­ten­den Schei­terns der Pan­de­mie­po­li­tik mit Coro­na 4.0 kon­fron­tiert. Kul­tur wird erneut zurück­ge­drängt. Was macht das mit Dir und ewo²?
Es macht uns von ewo² natür­lich noch ein Stück mehr „Halt LOS”, um beim Buch­ti­tel zu blei­ben. Ein Ensem­ble also, das mit sei­nen inhalt­li­chen wie künst­le­ri­schen Ansprü­chen immer zwi­schen allen Stüh­len saß. Das begann schon mit dem ers­ten Pro­gramm „How­do you­do Mis­ter M@jakowski”, einem mul­ti­me­dia- len Abend­pro­gramm mit Maja­kow­ski-Tex­ten, der außer­ge­wöhn­li­chen Musik von Hans Ref­fert sowie den Film- und Live­mit­schnitt-Ein­spie­lun­gen, die Chris­tia­ne Schmied in die Büh­nen- per­for­mance ein­brach­te. Den Kul­tur­leu­ten war die­ses Pro­gramm um den rus­si­schen Revo­lu­ti­ons­poe­ten zu radi­kal links und den Poli­ti­schen zu anspruchs­voll-künst­le­risch. Das war und blieb unser „Pro­blem”.

Kunst lebt natür­lich vom Auf­tritt, vom Dia­log zwi­schen Publi­kum und Büh­ne oder auch von der kon­kre­ten Auf­tritts-Erfah­rung vor Ort. All das ist zur Zeit nur distan­ziert und modi­fi­ziert erfahr­bar. Was das Drum­her­um mit den Hygie­ne­auf­la­gen an Ener­gie und Zeit in der Vor­be­rei­tung einer künst­le­ri­schen Akti­on weg­frisst hat­te ich mir vor dem Okto­ber-Kon­zert nicht vor­stel­len kön­nen. Kei­ne Ahnung, wo die Rei­se hin­geht, außer, dass sie natür­lich noch eini­ge Zeit so wei­ter­ge­hen wird. Aber, wir haben bewie­sen – unse­re Kul­tur lebt. TROTZ ALLEDEM! [Lacht.]

Ange­sichts die­ser Situa­ti­on und der bedroh­li­chen kri­sen­haf­ten Ent­wick­lun­gen des Kapi­ta­lis­mus drän­gen sich Fra­gen nach den Per­spek­ti­ven auf. Sehr kon­kret: Wel­che Plä­ne hast Du für das neue Jahr? Und eher über­grei­fend: Ist es nicht Zeit für einen drit­ten Anlauf?
Bei einer Zäsur wie der momen­ta­nen, braucht es natür­lich Zeit, um damit umge­hen zu ler­nen. Für mich war die extre­me gesund­heit­li­che Gefahr, die von die­ser Pan­de­mie aus­geht nie eine Fra­ge. Des­halb hat mich die Auf­ge­regt­heit um die Impf­e­rei auch nie son­der­lich berührt. Ich den­ke aber, dass es die Gesell­schaft ver­kraf­ten muss, wenn Leu­te sich par­tout nicht imp­fen las­sen wol­len. Bin also expli­zit gegen eine Impf­pflicht, auch weil die­se wie ein anti­de­mo­kra­ti­scher Bume­rang auf ande­re Art und Wei­se wie­der auf uns zurück­schla­gen wird. Doch dar­um geht es ja schon lan­ge nicht mehr.

Was wir in letz­ter Zeit erle­ben, ist die rasan­te Durch­drin­gung der Anti-Impf-Bewe­gung mit sozi­al­dar­wi­nis­ti­schen wie natio­nal-völ­ki­schen Ideo­lo­gien − zum Bei­spiel in Form einer kom­plet­ten Umdeu­tung von Begrif­fen wie Frei­heit und Revo­lu­ti­on. Ich den­ke, das wird sich in nächs­ter Zeit noch aus­wei­ten und ver­stär­ken, zum Bei­spiel indem auch die Kli­ma­kri­se oder die Migra­ti­on in die­sen all­ge­mei­nen Welt­ver­schwö­rungs-Kanon ein­ge­fügt wird. Ver­gleich­bar der Metho­de der Nazis in den drei­ßi­ger Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts. Damit wer­den wir uns aus­ein­an­der­set­zen müs­sen. Künst­le­risch wie politisch.


*[Die Fra­gen stell­te W. A., Bernd Köh­ler ant­wor­te­te am 19. Dezem­ber 2021.
Es ist übri­gens sehr loh­nens­wert, unter 
www.iso-4-rhein-neckar.de/koe1
www.iso-4-rhein-neckar.de/koe2
www.iso-4-rhein-neckar.de/koe3
die ande­ren Inter­views mit Bernd nachzulesen.
Unter www.iso-4-rhein-neckar.de/koe4 fin­det sich ein Bericht über das oben erwähn­te Konzert.]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Janu­ar 2022
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