Fragen an Seebrücke Mannheim*
Über die immer weiter vorangetriebenen Einschränkungen des Asylrechts diskutieren wir seit Jahrzehnten. In den letzten Wochen wurden nochmals massive Verschärfungen beschlossen: die sogenannte GEAS-Reform der EU sowie die Einführung der Bezahlkarte in Deutschland. Die Seebrücke Mannheim erklärt uns diese Maßnahmen und ihre Kritik daran.
Die Organisation Pro Asyl bezeichnet die „GEAS-Reform“ als einen historischen Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa. Könnt Ihr uns die Reform kurz erläutern und ihre Auswirkungen auf Flüchtende beschreiben?
Die Reform bestimmt verpflichtende Grenzverfahren unter Haftbedingungen, sogar für Kinder, und setzt niedrigere Standards für sogenannte „sichere Drittstaaten“. Außerdem sieht sie zusätzliche Verschärfungen im Falle von „Krisen“ vor und stellt somit eine massive Verschlechterung des bisherigen EU-Asylrechts dar. Durch diese Grenzverfahren soll die Identifikation der Flüchtenden bereits an der EU-Außengrenze erfolgen, wobei sie in Lagern an der Grenze untergebracht werden. Diese Lager sollen sich auf EU-Territorium befinden, die Geflüchteten gelten jedoch offiziell als „nicht eingereist“. Hauptaugenmerk des Verfahrens liegt darauf, ob ein Asylantrag als unzulässig abgewiesen werden kann, beispielsweise, wenn die Person, die Schutz sucht, über einen vermeintlich „sicheren“ Drittstaat in die EU geflohen ist. So kann zum Beispiel ein Geflüchteter aus Syrien in die Türkei zurückgeschickt werden, wenn er sich dort während seiner Flucht aufgehalten hat.
Wenden wir den Blick einmal nach Deutschland: Hier wird derzeit die Bezahlkarte eingeführt. Auf Eurer bundesweiten Website bezeichnet ihr die Bezahlkarte als staatliches Diskriminierungsinstrument. Was meint ihr damit?
Die Bezahlkarte führt dazu, dass Geflüchtete nicht „nur“ diskriminiert, sondern auch entmündigt werden, indem sie selbst nicht entscheiden können, wofür und wo sie ihr Geld ausgeben. Wahrscheinlich wird die Karte in Supermärkten akzeptiert, aber was ist, wenn sie günstige Waren auf dem Flohmarkt oder Briefmarken auf der Post kaufen möchten? Wie sollen sie Geld an ihre Rechtsanwälte überweisen können? Bestimmte Branchen oder Geschäfte können ausgeschlossen werden und der Ausschluss bestimmter Waren kann programmiert werden. Technisch sind auch weitere individuelle Beschränkungen oder Sanktionen möglich. Bei der Nutzung einer Bezahlkarte wird außerdem der Sozialleistungsbezug sichtbar, was zu einer weiteren Stigmatisierung führen kann.
Wie hängen die verschärfte Abschottung auf EU-Ebene und die Einführung der Bezahlkarte in Deutschland zusammen?
Die Einführung der Bezahlkarte dient der Abschreckung. Sie soll den sogenannten „Pull-Faktor“ verhindern, also das Anlocken von Schutzsuchenden, für den es jedoch keine Beweise gibt. Die politisch Verantwortlichen wollen zeigen, dass sie Maßnahmen gegen die Einreise geflüchteter Menschen ergreifen. Die Bezahlkarte ist Teil einer politischen Strategie, um in einer angespannten Gesellschaft Stimmungen zu erzeugen, indem sie zweifelhafte Signale an Teile der Bevölkerung sendet. Die Umsetzung wird voraussichtlich zu Unmut und Frustration im Alltag der geflüchteten Menschen führen und ihre Integration langfristig behindern. Das ist keine rationale, konstruktive Asylpolitik.
Was braucht es Eurer Meinung nach jetzt vonseiten der Zivilbevölkerung?
Wir brauchen Solidarität und Druck auf die Kommunen und Länder. Denn es ist noch unklar, wie diese die Verwendung der Karte handhaben werden, und welche Entscheidungen sie den Kommunen überlassen. Sie könnten liberale Regelungen treffen, zum Beispiel die Kommunen per Erlass verpflichten, die Auszahlung des gesamten Betrags in Geldform zu ermöglichen. Unser Ziel ist es, dass keine Bezahlkarten eingesetzt oder, wo sie bereits in Verwendung sind, abgeschafft werden.
* [Die Fragen stellte N. B.]