Rechts­ruck in Österreich

Scharf­ma­cher Kickl als Kanzler?*

 

Wil­fried Hanser

Bei der Natio­nal­rats­wahl vom 29. Sep­tem­ber 2024 erhielt die rechts­extre­me FPÖ unter dem Scharf­ma­cher Kickl unglaub­li­che 28,8 % der Stim­men und wur­de damit stärks­te Partei.

Befreiung des KZ Mauthausen in Österreich, 6. Mai 1945. (Foto: Gemeinfrei. Bildbearbeitung: Avanti².)

Befrei­ung des KZ Maut­hau­sen in Öster­reich, 6. Mai 1945. (Foto: Gemein­frei. Bild­be­ar­bei­tung: Avanti².)

Kickl hetzt ganz offen, er hofiert die Iden­ti­tä­ren als „inter­es­san­te rech­te NGO“ und „Remi­gra­ti­on“ wur­de von ihm schon lan­ge vor der AfD ganz unge­niert als sein Pro­gramm bezeich­net. Orban in Ungarn ist sein Vorbild.

Im Janu­ar 2025 beauf­trag­te der grü­ne Bun­des­prä­si­dent Van der Bel­len Kickl mit der Regie­rungs­bil­dung. Seit­dem lau­fen Koali­ti­ons­ge­sprä­che zwi­schen FPÖ und ÖVP.

Ist damit die – bür­ger­li­che – Demo­kra­tie in Öster­reich ver­lo­ren? Wird Öster­reich ein zwei­tes Ungarn wie unter Orban? Das ist zu befürch­ten, wenn man nicht die inne­ren und äuße­ren Wider­sprü­che der Situa­ti­on berück­sich­tigt: ÖVP und FPÖ sind sich spin­ne­feind und für die ÖVP steht ihre jahr­zehn­te­lan­ge Macht im Staats- und Beam­ten­ap­pa­rat auf dem Spiel. Die möch­te Kickl am liebs­ten zer­schla­gen, um sei­ne Gefolgs­leu­te zu instal­lie­ren und die Kon­trol­le im Staats­ap­pa­rat zu übernehmen.

Die Koali­ti­ons­ge­sprä­che könn­ten daher – mit gerin­ger Wahr­schein­lich­keit – immer noch schei­tern. Dazu müss­te die ÖVP aber ein Abkom­men mit der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen SPÖ zuwe­ge brin­gen. Eine Bereit­schaft dazu ist nach dem Putsch des Wirt­schafts­flü­gels inner­halb der ÖVP wenig wahrscheinlich.

Wel­ches Pro­gramm von Blau-Schwarz?
Das zu erwar­ten­de Pro­gramm der Blau-Schwar­zen Koali­ti­on rich­tet sich aller­dings direkt gegen die sozia­len und gesell­schaft­li­chen Inter­es­sen des Groß­teils der Wähler:innen bei­der Par­tei­en, ins­be­son­de­re gegen die der über­wie­gen­den Mehr­heit der Wähler:innen der FPÖ, der Lohn­ab­hän­gi­gen. Die­se machen letzt­lich die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung aus.

Auf dem Spiel ste­hen letzt­lich die gesam­ten Reform-Errun­gen­schaf­ten seit der Krei­sky-Ära. Öster­reich steht – ver­gleichs­wei­se zu Deutsch­land – noch rela­tiv gut da. Eine „Agen­da 2010“ wie unter Schrö­der, die Ein­füh­rung von Hartz IV, die Konter-„Reformen“ bei Pen­sio­nen und im Gesund­heits­sys­tem, hat es in Öster­reich noch nicht gege­ben, das öffent­li­che Sozi­al- und Gesund­heits- sys­tem ist noch weit­ge­hend intakt, wenn auch geschwächt.

Auch die Eisen­bah­nen sowie die Öffis fah­ren wesent­lich pünkt­li­cher und decken ein brei­te­res Netz ab, die staat­li­che Ver­wal­tung und Infra­struk­tur funk­tio­nie­ren im inter­na­tio­na­len Ver- gleich noch rela­tiv gut. Und die Grü­nen haben auch ein paar – sehr beschei­de­ne – öko­lo­gi­sche Refor­men erstrit­ten: Das Kli­ma­ti­cket, eine CO2-Abga­be in Ver­bin­dung mit einem Kli­ma­bo­nus, der an alle aus­ge­zahlt wird. Auch wur­den eini­ge Trans­pa­renz- und Anti-Kor­rup­ti­ons­be­stim­mun­gen in die Geset­ze eingebaut.

Wie kann Wider­stand gelingen?
Alles das ist durch die zu erwar­ten­den Angrif­fe und eine Pri­va­ti­sie­rungs­wel­le v. a. im Sozi­al- und Gesund­heits­sys­tem höchst gefähr­det. Gefor­dert sind des­halb die Gewerk­schaf­ten und die Sozi­al­de­mo­kra­tie, die etwas erstark­te KPÖ und die – aller­dings sehr schwa­che, zer­split­ter­te – Lin­ke. Wider­stand gegen die geplan­ten mas­si­ven Zer­stö­run­gen des Sozi­al­staa­tes und demo­kra­ti­scher Errun­gen­schaf­ten, gegen ras­sis­ti­sche, frau­en­feind­li­che und min­der­hei­ten­feind­li­che Het­ze sowie auto­ri­tä­re Bestre­bun­gen muss jetzt auf­ge­baut werden.

Das intel­li­gen­te und krea­ti­ve Knüp­fen brei­ter Bünd­nis­se und das wie­der­erlern­te Kämp­fen sind der Schlüs­sel, um die­ser his­to­ri­schen Her­aus­for­de­rung und Bedro­hung zu wider­ste­hen. Wird es gelin­gen, Wider­stands­kon­fe­ren­zen auf die Bei­ne zu brin­gen und eine brei­te Abwehr­front zu ent­wi­ckeln? Kann aus einer sol­chen Ver­tei­di­gung von sozia­len und demo­kra­ti­schen Errun­gen­schaf­ten ein neu­er gesell­schaft­li­cher und poli­ti­scher Auf­bruch erwach­sen? Wer­den sich dar­an auch kri­ti­sche Journalist:innen, Wissenschaftler:innen und Künstler:innen beteiligen?

Ohne Über­win­dung der büro­kra­ti­schen Behä­big­keit, die durch die jahr­zehn­te­lan­ge Sozi­al­part­ner­schaft in Öster­reich welt­re­kord­ver­däch­tig ist, und vor allem ohne Über­win­dung der öster­rei­chi­schen Men­ta­li­tät des „Suderns“, des pas­si­ven ohn­mäch­ti- gen Lamen­tie­rens ist die­se Aus­ein­an­der­set­zung nicht zu gewinnen.

Nur durch die Ent­wick­lung einer krea­ti­ven, akti­ven, inter­na­tio­na­lis­ti­schen, selbst­be­wuss­ten Wider­stands­kul­tur, die auch die neo­li­be­ra­le Ideo­lo­gie sprengt, und durch die Ver­bin­dung der unter­schied­li­chen sozia­len, öko­lo­gi­schen, femi­nis­ti­schen, eman­zi­pa­to­ri­schen und anti­ras­sis­ti­schen Bewe­gun­gen kön­nen ver­hee­ren­de Nie­der­la­gen und eine düs­te­re reak­tio­nä­re Zukunft abge­wen­det wer­den. Neh­men wir die Her­aus­for­de­run­gen an!


* [Gekürz­te und redak­tio­nell bear­bei­te­te Ver­si­on des im Netz ver­öf­fent­lich­ten Arti­kels.]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Febru­ar 2025
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