H. N.
Am 10. Juli 2007 besetzten die KollegInnen der Fahrradfabrik Bike Systems in Nordhausen (Thüringen) ihren Betrieb. Zwar hatte sich die Belegschaft mit der Entscheidung des neuen Eigners Lone Star, das Werk an genau diesem Tag komplett zu schließen, schon weitgehend abgefunden. Als das Management dann aber den 135 KollegInnen mitteilte, dass die Firma ihnen nicht mal mehr Abfindungen und ausstehende Löhne und Gehälter bezahlen wollte, brachte der berühmte Tropfen das Fass zum Überlaufen.
Die Belegschaft, die bis dahin keine Kampftradition aufweisen konnte, leistete nun Widerstand. Die KollegInnen bauten auf dem Werksgelände ein großes Zelt und Feuerkörbe auf. Sie hielten am Werkstor Wache und begannen offiziell eine 115 Tage andauernde Betriebsversammlung.
Produktion in Eigenregie
Die ArbeiterInnen gingen noch einen entscheidenden Schritt weiter. Sie nahmen mit Unterstützung vor allem der FAU für eine Woche die Fahrrad-Produktion wieder auf. Rund 1.800 „Strike Bikes“ bauten sie in Eigenregie. Die Belegschaft zeigte damit, dass sie keine Kapitalisten brauchte, um ihre Produkte herzustellen. Sie machte zudem mit ihrer großartigen Aktion deutlich, welche Zerstörung von Wissen und Ressourcen eine Betriebsschließung darstellt.
Abgesandte der Belegschaft reisten in alle Himmelsrichtungen. Medienberichte machten eine größere Öffentlichkeit auf das gallische Dorf in Nordhausen aufmerksam. Schnell entwickelte sich eine Solidaritätsbewegung mit „Strike Bike“. Auch in Mannheim fasste sie Fuß.
Mitglieder des Alstom-Betriebsrates organisierten die Fahrt einer Käfertäler Delegation nach Nordhausen. An ihr beteiligte sich gemeinsam mit KollegInnen aus der Produktion vor allem der Alstom-Chor mit Bernd Köhler. In einem gemieteten Bus ging es frühmorgens vom Alstom-Werk auf die lange Strecke nach Nordhausen.
Nach ihrer Ankunft im „Strike Bike“-Werk und der Begrüßung stand für die MannheimerInnen ein unvergessliches Programm an: Besichtigung der „Strike Bike“-Fertigung, Solidaritätskonzert des Alstom-Chors mit Bernd Köhler in der Produktionshalle, Übergabe einer Soli-Spende an die BesetzerInnen, viele Gespräche und sogar gemeinsamer Tanz.
Die Gewerkschaften organisierten damals – von lokalen Ausnahmen abgesehen – keine Solidarität und keinen politischen Druck, um die Finanzierung der Produktion und des Absatzes der „Strike Bikes“ zu sichern. Was – außer Trägheit und Anpassung an die Logik das Kapitalismus – hat die Herstellung und den Verkauf zehntausender Fahrräder aus Nordhausen verhindert? Hätte mit einer solchen Kampagne nicht Millionen von Gewerkschaftsmitgliedern deutlich gemacht werden können, dass es möglich ist, Arbeitsplätze statt Betriebsschließungen zu finanzieren?
Was bleibt?
Der unter anderem mit Mannheimer Material angereicherte Dokumentar-Film „Strike Bike – Eine Belegschaft wird rebellisch“ gibt auch heute noch einen guten Eindruck von dem Mut der ArbeiterInnen von Bike Systems. Sie kommen in dem Film selbst zu Wort. Sie berichten über die Betriebsbesetzung. Sie erzählen, wie die Idee entstand, die Produktion wieder aufzunehmen, und warum dies „nur“ eine Woche lang möglich war.
Was am Ende bleibt, ist der Beweis, dass Selbstverwaltung der Produktion funktionieren kann. Auch wenn das vom Alstom-Betriebsrat als Betriebsrats-Fahrrad bestellte rote „Strike Bike“ leider nie in Käfertal angekommen sein soll.
Realkapitalistischer Nachsatz: Ende 2007 versuchten fünf unentwegte Belegschaftsangehörige nach der Abwicklung von Bike Systems einen Neustart als selbstverwalteter Betrieb. 2009 konnten sie über 2.500 Fahrräder verkaufen. Aber im November 2010 musste die Strike Bike GmbH Insolvenz anmelden. Ohne finanzielle und politische Solidarität haben solche Projekte im Kapitalismus keine Chance.
Tipp: DVD-Bestellung
Die DVD Strike Bike – Eine Belegschaft wird rebellisch könnt ihr zum Preis von 12,80 € je Stk. inkl. Porto und Verpackung über die Homepage des Neuen ISP Verlages bestellen.
Film in Youtube
www.youtube.com/watch?v=_Jd27Ajyq2c