H.N.
Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, lobte den Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie: „Er ist modern, er ist zukunftsweisend“. Schauen wir doch einmal genauer hin. Auf den ersten Blick ist dies allerdings angesichts des komplexen Abschlusses nicht so einfach.
Der Tarifvertrag gilt für die deutschlandweit rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie. Seine Laufzeit endet erst am 31. März 2020. Ursprünglich hatte die IG Metall eine Laufzeit von 12 Monaten gefordert. Zwei Jahre herrscht also Ruhe an der „Tariffront“, und es gibt in dieser Zeit keine Gelegenheit, die tarifpolitische Kraft der MetallerInnen in der deutschen Schlüsselbranche zu entfalten.
Entgelterhöhungen
Ab April 2018 erhalten die Beschäftigten 4,3 % mehr Geld plus eine Einmalzahlung von 100 Euro (Auszubildende: 70 Euro) für den Zeitraum von Januar bis März 2018.
Von 2019 an wird außerdem dauerhaft eine neue Lohnkomponente eingeführt - das tarifliche Zusatzgeld. Es entspricht 27,5 % eines durchschnittlichen Monatsentgelts und wird jeweils im Juli ausgezahlt. Beschäftigte mit Kindern, pflegebedürftigen Angehörigen oder in Schichtarbeit können das tarifliche Zusatzgeld in acht zusätzliche freie Tage umwandeln, davon werden zwei finanziert vom Unternehmen.
Ebenfalls im Juli 2019 fallen 400 Euro Festbetrag (für Auszubildende: 200 Euro) als soziale Komponente an. Geht es einem Unternehmen jedoch wirtschaftlich schlecht, kann der Festbetrag verringert, die Auszahlung verschoben oder sogar ganz gestrichen werden.
Ab Juli 2020 gibt es dann jährlich für alle Beschäftigten 12,3 % des Eckentgelts (für Auszubildende: 32 bis 29 % davon). Der Festbetrag wächst dadurch bei künftigen Tariferhöhungen mit.
Flexi-Arbeitszeiten
Alle Vollzeitbeschäftigten haben grundsätzlich ab 2019 das Recht, 6 bis 24 Monate lang ihre Wochenarbeitszeit vorübergehend von 35 auf 28 Stunden zu reduzieren. Die Arbeitszeitverkürzung kann auch länger als zwei Jahre dauern, da sie wiederholt werden darf. Allerdings müssen bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllt werden (Kindesalter, Pflegegrad von Angehörigen, Dauer der Schichtarbeit, Betriebszugehörigkeit).
Ein Unternehmen kann den grundsätzliche Anspruch auf 28 Wochenstunden verweigern. Etwa wenn mehr als zehn Prozent der Beschäftigten ihre Arbeitszeit vorübergehend verkürzen wollen, bereits 18 Prozent in Teilzeit (alt und neu) arbeiten oder wenn die betreffenden KollegInnen über „Schlüsselqualifikationen“ verfügen.
Zudem können die Kapitalisten die Quote der Beschäftigten mit 40 Wochenstunden von 18 auf 30 Prozent erhöhen - zum Beispiel bei betrieblichem „Fachkräftemangel“. In Unternehmen mit vielen hochbezahlten Beschäftigten sind sogar 50 Prozent möglich.
Ferner können Betriebe auch komplett aus dieser Quotenregelung aussteigen und stattdessen ein betriebliches Arbeitszeitvolumens einführen. Es wird berechnet aus der Anzahl der Beschäftigten mal 35,9 Wochenstunden. Ein Unternehmen darf also beliebig viele „40-Stünder“ haben, solange das Arbeitszeitvolumen insgesamt nicht überschritten wird.
Ein Fazit
Die Kapitalisten haben mit einer harten Verhandlungstaktik und juristischen Angriffen auf die IG Metall versucht, deren Kampffähigkeit auszuloten. Erst unter dem Druck der 24-Stunden-Warnstreiks vor dem 6. Februar, die einige Teile des Gewerkschaftsapparats vermeiden wollten, haben sie eingelenkt.
Die IGM-Führung hat die glänzende wirtschaftliche Lage der Metall- und Elektrobranche nicht konsequent zur Durchsetzung der Interessen der Beschäftigten genutzt.
Pro Jahr ergibt der Abschluss eine Erhöhung der Entgelte um etwa 3,5 %. Das deckt lediglich die Teuerungsrate und einen Teil des Produktivitätszuwachses ab. Der faktische Verzicht auf vollen Lohnausgleich bei Verkürzung der Arbeitszeit und die Öffnung der Wochenarbeitszeit nach oben sind völlig falsche Schritte. Unakzeptabel ist außerdem, dass die 35-Stundenwoche für die KollegInnen in Ostdeutschland nach wie vor nicht gilt.
Es ist extrem problematisch, dass die Mehrheit der Gewerkschaftsspitze immer noch keine tauglichen Antworten auf zentrale strategische Herausforderungen gefunden hat. Elektromobilität, Digitalisierung, „Diktatur der Zahlen“, Tarifflucht, Prekarität – das Profil des Kapitalismus wird brutaler – selbst ohne neue Wirtschaftskrise.
Wäre es nicht sehr blauäugig, angesichts dieser Themen auf die Perspektive einer massiven Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich verzichten zu wollen