Auf­stand und Revol­te im Iran

Den Wider­stand gegen das Regime stärken“

 

Am 16. Sep­tem­ber 2022 starb im Iran Mah­sa-Jina Ami­ni. Ihr gewalt­sa­mer Tod lös­te lan­des­wei­te Pro­tes­te gegen das Mul­lah-Regime aus. Auf­fäl­lig war die gro­ße Betei­li­gung von Frau­en an die­ser Bewe­gung. Über die aktu­el­le Lage sprach Avan­ti² mit einem im deut­schen Exil leben­den ira­ni­schen Genossen.*

„Freiheit für politische Gefangene im Iran“ – Demo in Paris, 19. November 2022. (Foto: Martin Noda Hans Lucas.)

Frei­heit für poli­ti­sche Gefan­ge­ne im Iran“ – Demo in Paris, 19. Novem­ber 2022. 
(Foto: Mar­tin Noda Hans Lucas.)

Die Bewe­gung hat das Mul­lah-Regime zwar her­aus­ge­for­dert, aber nicht zum Sturz gebracht. Wie ist die gegen­wär­ti­ge Situation?
Die aktu­el­le Lage mag so erschei­nen, als sei­en die Auf­stän­de zurück­ge­schla­gen. In Wirk­lich­keit ist es aber nicht so. Die Bewe­gung wur­de am Anfang vor allem von Frau­en getra­gen, aber mit der zuneh­men­den Bru­ta­li­tät des Staa­tes wur­de ihr Anteil an den Auf­stän­den immer klei­ner. An den Uni­ver­si­tä­ten und in den Schu­len war die weib­li­che Betei­li­gung an den Pro­tes­ten immer noch groß im Ver­gleich zum Anteil der Frau­en, die auf den Stra­ßen kämpften.

Die­se Auf­stän­de ab dem 16. Sep­tem­ber 2022, die mehr als 120 Tage dau­er­ten, waren eine Wei­ter­ent­wick­lung der Auf­stän­de vom Win­ter 2017 und Win­ter 2019. Die gesam­ten revo­lu­tio­nä­ren Auf­stän­de seit 2017 sind nur die Spit­ze eines Eis­bergs. Der Eis­berg der Revo­lu­ti­on bewegt sich seit Jah­ren. Ent­we­der er lan­det am Strand des Sozia­lis­mus oder er ver­sinkt in der Bar­ba­rei des Faschis­mus. Die rechts­ra­di­ka­le „Oppo­si­ti­on“ träumt von der faschis­ti­schen Barbarei.

War die Bewe­gung spon­tan oder organisiert?
Die Bewe­gung war kom­plett spon­tan, aber sie kam nicht über­ra­schend. Die ira­ni­sche Gesell­schaft kocht seit Jahren.

Die kata­stro­pha­le wirt­schaft­li­che Lage einer­seits, ande­rer­seits die Legi­ti­ma­ti­ons­kri­se des Regimes und die Erschüt­te­rung sei­ner Vor­herr­schaft führ­ten zu die­sen spon­ta­nen Aufständen.

Die rech­te und bür­ger­li­che Oppo­si­ti­on im Exil for­dert mehr Sank­tio­nen, die eine wei­te­re Ver­schär­fung der Wirtschaskrise zur Fol­ge hät­ten. Mit ande­ren Wor­ten: das lang­sa­me, aber mas­sen­haf­te Mas­sa­krie­ren von mehr als 70 Mil­lio­nen Menschen.

Wäh­rend der letz­ten Jahr­zehn­te ent­stan­den teil­wei­se ille­ga­le oder halb lega­le Orga­ni­sa­tio­nen, die bei den Pro­tes­ten ver­such­ten, die­se Auf­stän­de zu einer Revo­lu­ti­on zu machen.

Das Mul­lah-Regime bekämpf­te die Bewe­gung mit Gewalt und Todes­ur­tei­len. Hat es damit Erfolg?
Nein, das Regime hat sei­ne Legi­ti­ma­ti­on in der Gesell­schaft kom­plett ver­lo­ren. Die Ermor­dung der kämp­fen­den Men­schen auf der Stra­ße oder die Hin­rich­tun­gen in den Gefäng­nis­sen kön­nen nicht als Erfolg des Regimes ver­stan­den wer­den. Der Eis­berg, von dem ich gespro­chen habe, ist nicht ein­fach zu bewegen.

Die Stra­te­gie des Regimes ist sehr wider­sprüch­lich. Einer­seits ging es gegen die Pro­tes­tie­ren­den und Gefan­ge­nen mit här­tes­ter Bru­ta­li­tät vor, ande­rer­seits sprach es stän­dig von einer „dis­kur­si­ven“ Lösung und hat in den letz­ten Tagen meh­re­re poli- tische Gefan­ge­ne ent­las­sen, um zu zei­gen, dass die Lage sich beru­higt habe.

Hat der Auf­stand die ira­ni­sche Gesell­schaft verändert?
Ja, die Gesell­schaft hat sich sehr radi­kal ver­än­dert. Es gibt immer mehr Frau­en ohne Hijab auf offe­ner Stra­ße. Es gibt immer mehr Men­schen, die auf unter­schied­li­che Art und Wei­se indi­vi­du­el­len Wider­stand leis­ten und die Ord­nung und Legi­ti­ma­ti­on des Staa­tes in den Städ­ten, in den Behör­den, an den Uni­ver­si­tä­ten und in den „sozia­len Medi­en“ in Fra­ge stellen.

Gibt es einen Auf­schwung der gewerk­schaft­li­chen Orga­ni­sie­rung und der poli­ti­schen Lin­ken?
Ja, vor kur­zem wur­de eine Erklä­rung von unter­schied­li­chen Gewerk­schaf­ten und poli­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen im Iran ver­öf­fent­licht. Die­se wen­den sich scharf gegen eine „Ver­än­de­rung von oben“ gegen den Wil­len der Unter­drück­ten sowie gegen jeden Ver­such eines Put­sches oder Regime-Wech­sels und rufen zu brei­ter iran­wei­ter Soli­da­ri­tät auf. Das belegt den Auf­schwung der gewerk­schaft­li­chen und lin­ken Organisationen.

Was sind die nächs­ten Schrit­te des Widerstands?
Es ist ganz klar gewor­den, dass das isla­mi­sche Regime im Iran ohne brei­te lan­des­wei­te radi­ka­le und mili­tan­te Kämp­fe mit gleich­zei­ti­gem Streik und bewaff­ne­tem Wider­stand nicht geschla­gen wer­den kann.

Die Akti­vis­ten und Akti­vis­tin­nen in den lin­ken Spek­tren sind dabei, die Gesell­schaft auf eine radi­ka­le Revo­lu­ti­on vor­zu­be­rei­ten, die die­ses Mal zum Sturz des Regimes führt. In den kur­di­schen Gebie­ten haben sich in meh­re­ren Städ­ten revo­lu­tio­nä­re, sozia­lis­ti­sche Unter­grund­or­ga­ni­sa­tio­nen und ille­ga­le Räte gebil­det, die sogar in den „sozia­len Medi­en“ eine gro­ße Auf­merk­sam­keit bekom­men haben.

Was kön­nen wir von Deutsch­land aus tun?
Das ist schwie­rig zu beant­wor­ten. Die inter­na­tio­na­le Soli­da­ri­tät mit der Arbei­ter­klas­se durch lin­ke und sozia­lis­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen und durch die Arbei­ter­klas­se ande­rer Län­der ist sehr häu­fig gefragt. Man kann mit den kom­mu­nis­ti­schen und revo­lu­tio­nä­ren Grup­pen, Par­tei­en und Aktivist*innen in Kon­takt tre­ten, die die lin­ken und revo­lu­tio­nä­ren Pro­tes­te gegen das Regime und gegen die Mon­ar­chis­ten unter­stüt­zen. Man kann mit direk­ten Spen­den an poli­ti­sche Gefan­ge­ne, an Arbeiter*innen und ande­re den Wider­stand gegen das Regime stärken.

* [Die Fra­gen stell­te R. G.]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar März 2023
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