U. D.
Am 21. Mai 2022 fand das Frühjahrs-Seminar der ISO Rhein-Neckar zu Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit statt (wir berichteten in Avanti² von Juni 2022). Das Einleitungsreferat setzte sich mit den Rahmenbedingungen und Erfordernissen von Betriebsratsarbeit auseinander. Der im Folgenden veröffentlichte Teil I behandelt den gesellschaftlichen Rahmen.
Der Betriebsrat ist im deutschen Betriebsverfassungsgesetz das wichtigste Vertretungsorgan der Belegschaft. Seine Rechte sind umfangreicher als die der Schwerbehindertenvertretung, der Jugend- und Auszubildendenvertretung und des Wirtschaftsausschusses; von den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten ganz zu schweigen.
Allerdings sind diese Rechte so begrenzt, dass sie die alleinige Entscheidungsmacht der Firmenleitung in zentralen Unternehmensfragen nicht wirklich einschränken.
Dennoch kann ein Betriebsrat – sofern er klassenpolitisch strategisch und taktisch klug handelt – das innerbetriebliche Kräfteverhältnis zu Gunsten der Beschäftigten verändern. Nicht zuletzt deswegen ist es wichtig und richtig, im Betriebsrat aktiv zu sein. Dabei sollte jedoch eines nicht vergessen werden: Betriebsratsarbeit ist nur ein – wenn auch wichtiger – Teil des politischen und gewerkschaftlichen Handelns im Betrieb.
Bevor auf die Betriebsratsarbeit selbst eingegangen wird, sollen ihre Rahmenbedingungen skizziert werden.
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels beginnt mit dem Satz: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Und nur einige Sätze weiter steht: „Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.“
Fast noch drastischer beschrieb es Warren Buffet, einer der reichsten Menschen der Welt: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“
Gegensätzliche Klasseninteressen
Der Gegensatz unterschiedlicher Klasseninteressen ist trotz aller Verschleierungsversuche nach wie vor kennzeichnend für die heutige Gesellschaft. Alle Menschen, ob arm ob reich, ob Lohnabhängige oder Kapitalisten leben in derselben globalisierten, kapitalistischen Welt. Aber sie sind sehr unterschiedlich von diesem Wirtschaftssystem betroffen. Während einige Wenige ultrareich sind und ins Weltall fliegen, leidet die übergroße Mehr- heit unter steigenden Preisen für Wohnung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Lebensmittel und Energie.
Die zentrale Triebfeder dieses Systems ist nicht die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern die Erzielung des größtmöglichen Profits. Dieses System lebt von der rücksichtlosen Ausbeutung von Menschen und Natur sowie der Verschwendung vorhandener Ressourcen. Es kennt nicht internationale Solidarität, sondern nur die politische, militärische und wirtschaftliche Macht des Stärkeren. Es ist wesentliche Ursache für die drohende ökologische Katastrophe. Es führt zu einem permanenten Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte und erzeugt so eine ständige Kriegsgefahr.
Politische Organisation
Zwischen dieser gesellschaftlichen Realität und dem betrieblichen Alltag besteht ein direkter, wenn auch nicht offen wahrnehmbarer Zusammenhang: Die „Organisation“ dieser Gesell- schaft – Wirtschaftssystem, Gesetze, Rechtsprechung, herrschende Politik, Steuern, Sozialversicherung, Bildungssytem, Gesundheitsversorgung usw. – ist im Kern nicht für die arbeitenden Klassen gemacht, sondern dient in erster Linie der Sicherung und Mehrung des Reichtums weniger.
Wie wir leben und arbeiten wird also nicht nur im Betrieb entschieden. Daher lassen sich mit Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit im Betrieb das Klassenbewusstsein der Belegschaften erhöhen und die gewerkschaftliche Organisation stär- ken. Aber dies alleine reicht nicht aus, um die beschriebenen gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Dazu braucht es die politische, überbetriebliche und letztendlich auch internationale Organisierung.