Betriebs­rats­ar­beit - Bes­ser mit Stra­te­gie (Teil I)

U. D.

Am 21. Mai 2022 fand das Früh­jahrs-Semi­nar der ISO Rhein-Neckar zu Betriebs­rats- und Gewerk­schafts­ar­beit statt (wir berich­te­ten in Avan­ti² von Juni 2022). Das Ein­lei­tungs­re­fe­rat setz­te sich mit den Rah­men­be­din­gun­gen und Erfor­der­nis­sen von Betriebs­rats­ar­beit aus­ein­an­der. Der im Fol­gen­den ver­öf­fent­lich­te Teil I behan­delt den gesell­schaft­li­chen Rahmen.

Protest bei ICL-Giulini in Ludwigshafen, 19. Januar 2015. (Foto: Avanti²)

Pro­test bei ICL-Giu­li­ni in Lud­wigs­ha­fen, 19. Janu­ar 2015. (Foto: Avanti²)

Der Betriebs­rat ist im deut­schen Betriebs­ver­fas­sungs­ge­setz das wich­tigs­te Ver­tre­tungs­or­gan der Beleg­schaft. Sei­ne Rech­te sind umfang­rei­cher als die der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung, der Jugend- und Aus­zu­bil­den­den­ver­tre­tung und des Wirt­schafts­aus­schus­ses; von den gewerk­schaft­li­chen Ver­trau­ens­leu­ten ganz zu schweigen.

Aller­dings sind die­se Rech­te so begrenzt, dass sie die allei­ni­ge Ent­schei­dungs­macht der Fir­men­lei­tung in zen­tra­len Unter­neh­mens­fra­gen nicht wirk­lich einschränken.

Den­noch kann ein Betriebs­rat – sofern er klas­sen­po­li­tisch stra­te­gisch und tak­tisch klug han­delt – das inner­be­trieb­li­che Kräf­te­ver­hält­nis zu Guns­ten der Beschäf­tig­ten ver­än­dern. Nicht zuletzt des­we­gen ist es wich­tig und rich­tig, im Betriebs­rat aktiv zu sein. Dabei soll­te jedoch eines nicht ver­ges­sen wer­den: Betriebs­rats­ar­beit ist nur ein – wenn auch wich­ti­ger – Teil des poli­ti­schen und gewerk­schaft­li­chen Han­delns im Betrieb.

Bevor auf die Betriebs­rats­ar­beit selbst ein­ge­gan­gen wird, sol­len ihre Rah­men­be­din­gun­gen skiz­ziert werden.

Gesell­schaft­li­che Rahmenbedingungen
Das Kom­mu­nis­ti­sche Mani­fest von Karl Marx und Fried­rich Engels beginnt mit dem Satz: „Die Geschich­te aller bis­he­ri­gen Gesell­schaft ist die Geschich­te von Klas­sen­kämp­fen.“ Und nur eini­ge Sät­ze wei­ter steht: „Die gan­ze Gesell­schaft spal­tet sich mehr und mehr in zwei gro­ße feind­li­che Lager, in zwei gro­ße, ein­an­der direkt gegen­über­ste­hen­de Klas­sen: Bour­geoi­sie und Proletariat.“

Fast noch dras­ti­scher beschrieb es War­ren Buf­fet, einer der reichs­ten Men­schen der Welt: „Es herrscht Klas­sen­krieg, rich­tig, aber es ist mei­ne Klas­se, die Klas­se der Rei­chen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“

Gegen­sätz­li­che Klasseninteressen
Der Gegen­satz unter­schied­li­cher Klas­sen­in­ter­es­sen ist trotz aller Ver­schleie­rungs­ver­su­che nach wie vor kenn­zeich­nend für die heu­ti­ge Gesell­schaft. Alle Men­schen, ob arm ob reich, ob Lohn­ab­hän­gi­ge oder Kapi­ta­lis­ten leben in der­sel­ben glo­ba­li­sier­ten, kapi­ta­lis­ti­schen Welt. Aber sie sind sehr unter­schied­lich von die­sem Wirt­schafts­sys­tem betrof­fen. Wäh­rend eini­ge Weni­ge ult­ra­reich sind und ins Welt­all flie­gen, lei­det die über­gro­ße Mehr- heit unter stei­gen­den Prei­sen für Woh­nung, Gesund­heits­ver­sor­gung, Bil­dung, Lebens­mit­tel und Energie.

Die zen­tra­le Trieb­fe­der die­ses Sys­tems ist nicht die Befrie­di­gung mensch­li­cher Bedürf­nis­se, son­dern die Erzie­lung des größt­mög­li­chen Pro­fits. Die­ses Sys­tem lebt von der rück­sicht­lo­sen Aus­beu­tung von Men­schen und Natur sowie der Ver­schwen­dung vor­han­de­ner Res­sour­cen. Es kennt nicht inter­na­tio­na­le Soli­da­ri­tät, son­dern nur die poli­ti­sche, mili­tä­ri­sche und wirt­schaft­li­che Macht des Stär­ke­ren. Es ist wesent­li­che Ursa­che für die dro­hen­de öko­lo­gi­sche Kata­stro­phe. Es führt zu einem per­ma­nen­ten Kampf um Roh­stof­fe und Absatz­märk­te und erzeugt so eine stän­di­ge Kriegsgefahr.

Poli­ti­sche Organisation
Zwi­schen die­ser gesell­schaft­li­chen Rea­li­tät und dem betrieb­li­chen All­tag besteht ein direk­ter, wenn auch nicht offen wahr­nehm­ba­rer Zusam­men­hang: Die „Orga­ni­sa­ti­on“ die­ser Gesell- schaft – Wirt­schafts­sys­tem, Geset­ze, Recht­spre­chung, herr­schen­de Poli­tik, Steu­ern, Sozi­al­ver­si­che­rung, Bil­dungs­sy­tem, Gesund­heits­ver­sor­gung usw. – ist im Kern nicht für die arbei­ten­den Klas­sen gemacht, son­dern dient in ers­ter Linie der Siche­rung und Meh­rung des Reich­tums weniger.

Wie wir leben und arbei­ten wird also nicht nur im Betrieb ent­schie­den. Daher las­sen sich mit Betriebs­rats- und Gewerk­schafts­ar­beit im Betrieb das Klas­sen­be­wusst­sein der Beleg­schaf­ten erhö­hen und die gewerk­schaft­li­che Orga­ni­sa­ti­on stär- ken. Aber dies allei­ne reicht nicht aus, um die beschrie­be­nen gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se zu ver­än­dern. Dazu braucht es die poli­ti­sche, über­be­trieb­li­che und letzt­end­lich auch inter­na­tio­na­le Organisierung.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Juli/August 2022
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