K. H.
Am 26. Juli 2019 hatte sich die ISO Rhein-Neckar im Rahmen ihres monatlichen Infoabends in Mannheim mit diesem Thema befasst. Inhaltliche Grundlage war Winfried Wolfs Buch Mit dem Elektroauto in die Sackgasse - Warum E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt. Hier die Fortsetzung des Artikels, dessen erster Teil in der letzten Ausgabe von Avanti² erschienen ist.*
Warum keine klimaförderliche *Verkehrspolitik?
Deutschland ist als Autoland massiv bestimmt durch die Interessen der Autohersteller, deren Handeln ausschließlich profitorientiert ist. Fast die gesamte Verkehrsinfrastruktur ist auf den individuellen Kraftfahrzeugverkehr ausgerichtet. Über viele Jahrzehnte wurde der Schienenverkehr radikal eingeschränkt. Dadurch wurden immer mehr Menschen in die Abhängigkeit vom Auto getrieben. Vor allem die Zerstörung der Industriebasis im Osten des Landes nach der „Wende“, aber auch die Entwicklung im Westen hat viele zu Zwangspendlern gemacht. Sie sind auf die umweltschädliche Subvention der „Entfernungspauschale“, die jährlich ca. 5 Milliarden Euro kostet, angewiesen.
Insgesamt werden jährlich etwa 24 Milliarden Euro für umweltschädliche Subventionen ausgegeben. Um nur die Wichtigsten zu nennen: über zehn Milliarden für die Steuer- befreiung des Kerosins im gewerblichen Luftverkehr und die Mehrwertsteuerbefreiung internationaler Flüge (Bezugsjahr: 2010), über sieben Milliarden für die Energiesteuervergünstigung des Dieselkraftstoffs.
Dies alles hilft vor allem der Autoindustrie, um den Absatz ihrer Autos und die Profite zu steigern. Der Slogan der Konzerne und ihrer Lobbyisten in der Politik - „Freie Fahrt für freie Bürger“ - wurde in den vergangenen Jahren von vielen verinnerlicht und soll jetzt im Rahmen der E-Mobilität fortgeführt werden. Bezeichnend ist die Reaktion von Bundesverkehrsminister Scheuer auf den Vorschlag, ein allgemeines Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen einzuführen. Diese Idee einer von der Regierung eingesetzten Expertenkommission zur Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen bezeichnete Scheuer als „gegen jeden Menschenverstand“ gerichtet. Der mündige Bürger dürfe nicht ständig gegängelt werden. Das Tempolimit wurde dann folgerichtig auch nicht verwirklicht.
Die Autoindustrie als *„Heilige Kuh“ der Politik
Selbst der Dieselskandal, an dem fast alle deutschen Hersteller beteiligt waren, hat an der Unantastbarkeit der Autokonzerne nichts geändert. Eine wirkliche Verkehrswende weg von der Straße und somit eine spürbare Verminderung der Ursachen der Klimakatastrophe ist nicht gewollt. Sie würde nämlich einen massiven Ausbau des Schienenverkehrs und der Radwege erfordern.
Das Totschlagargument heißt „Arbeitsplätze“. Der angeblichen Sicherung der Arbeitsplätze wird auch die Klimapolitik untergeordnet.
Schon jetzt ist die Autobranche ein Sektor des Kapitals, in dem die Produktion sehr rationell organisiert ist. Die Produktivität, der Ersatz von lebendiger Arbeit durch „tote Arbeit“, durch Maschinen und Roboter, wird auch in naher Zukunft nochmals massiv gesteigert werden. Im Zuge von „Digitalisierung“ und „Elektro-Mobilität“ wird die Fertigungstiefe in den Produktionshallen der Autokonzerne noch weiter schrumpfen. Die Beschäftigungsrate wird einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernest & Young zufolge um 50 % sinken. Viele Unternehmen, insbesondere Zulieferer, haben bereits einen Arbeitsplatzabbau angekündigt. Die Sicherung der Arbeitsplätze steht der Profitlogik der Konzerne diametral entgegen. Die Behauptung, es ginge um die Arbeitsplätze, ist reine Demagogie.
Statt E-Autos - Konversion der Autoindustrie
Zur Sicherung der Arbeitsplätze ist die Konversion der Autoindustrie auf nachhaltige, umweltverträgliche Produkte und Dienstleistungen erforderlich. Im Umweltbereich sind in den letzten drei Jahrzehnten zwei Millionen neue Arbeitsplätze entstanden. Im Bereich der Eisenbahn und des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) wurden dagegen in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als 200.000 Arbeitsplätze abgebaut. Diese müssten auf alle Fälle wieder- aufgebaut werden, wenn wir eine gute Bahn und einen besseren ÖPNV haben wollen.
Eine neue Verkehrspolitik durchsetzen
Gesamtgesellschaftliche Ansprüche an eine sinnvolle und klima- freundliche Verkehrspolitik, die nachhaltig und umweltverträglich ist, müssen definiert und diskutiert werden. Verschiedene Länder in Europa wie die Schweiz, Dänemark und die Niederlande zeigen mit ihrer Verkehrspolitik, was heute schon möglich ist. Die Förderung des Elektroautos ist das Gegenteil davon.
Die fortschreitende Klimakatastrophe zwingt uns dazu, uns dieser Auseinandersetzung zu stellen. Die Bewegung Fridays for Future allein kann die Klimapolitik nicht verändern. Dafür braucht es die gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kapital, insbesondere die Auseinandersetzung in den Betrieben. Leider haben die Gewerkschaften, von ver.di abgesehen, sich bislang mehr als Hüter der Autogesellschaft verstanden, die im E-Auto die Zukunft sehen. Dabei ist es gerade Aufgabe der Gewerkschaften, der Propaganda der Autokonzerne und ihrer Lobbyisten in der Politik entgegenzutreten.
Neben der Konversion (dem Umbau) der Autoindustrie ist es vor allem der Kampf für eine massive Arbeitszeitverkürzung mit vollem Personal- und Lohnausgleich, die die drohende Arbeitslosigkeit und den sozialen Abstieg vieler KollegInnen verhindern kann. Die Verteidigung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen durch Verkürzung der Arbeitszeit ist untrennbarer Bestandteil einer Verkehrswende im Rahmen des Kampfes gegen die Klimakatastrophe.
Die Fridays for Future-Bewegung zeigt, dass ein großer Teil der Jugend nicht mehr länger die bisherige Politik akzeptiert, die zur heutigen Situation geführt hat. Sie kämpft für die Zukunft, für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, für eine bessere Welt. Dabei müssen wir sie unterstützen.
Eine bessere Welt erfordert aber eine grundlegende Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Einer Gesellschaft, in der nicht mehr der Profit, sondern die demokratisch organisierte Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse wie Ernährung, Bildung, Wohnen, Kultur, Arbeit, Gesundheit, Pflege, Mobilität und Infrastruktur sowie der Schutz der Natur im Zentrum stehen.
*[Siehe Avanti² Nr. 61 von September 2019.]