Eine wichtige Neuerscheinung zum legendären Metallerstreik von 1963
W. A.
Bisher war einer der härtesten Arbeitskämpfe der westdeutschen Nachkriegsgeschichte selbst in der IG Metall weitgehend vergessen. Das könnte sich jetzt ändern.
Werfen wir aber zunächst einen kurzen Blick zurück. Die IG Metall forderte 1963 8 % Prozent mehr Lohn. Die Kapitalseite lehnte dies aber vehement ab.
Am 18. April 1963 fand deshalb die Urabstimmung über einen Streik in den Tarifgebieten Nordbaden/Nordwürttemberg und Südwürttemberg/Hohenzollern statt. 87,2 Prozent der 210.000 Gewerkschaftsmitglieder stimmten für den Ausstand. 120.000 Metallarbeiter und Metallarbeiterinnen legten danach im Streikgebiet die Arbeit nieder.
Darauf reagierte der von großen Konzernen wie Daimler dominierte Verband der Metallindustrie Baden-Württemberg am 1. Mai 1963 „um Null Uhr“ mit der Massenaussperrung von weiteren rund 250.000 Beschäftigten.
Zwei Wochen lang standen in der tarifgebundenen Metall- und Elektroindustrie des Südwestens fast alle Räder still.
Die Einigung kam durch Vermittlung des Bundeswirtschaftsministers Erhard (CDU) zustande: 5 % mehr Lohn ab 01.04.1963, weitere 2 % ab 01.04.1964.
In der Urabstimmung am 09. und 10. Mai 1963 erklärten sich rund 73 % für die Annahme dieses Kompromisses. Damit war eine in vielerlei Hinsicht bedeutende Auseinandersetzung beendet.
Beeindruckendes Bilder- und Lesebuch
Ein sehr beeindruckendes „Bilder- und Lesebuch zu Streik und Aussperrung 1963 in Mannheim“ ist nun im November 2019 erschienen. Endlich möchte man hinzufügen, denn es hätte schon vor Jahren veröffentlicht werden sollen.
Eine um den Historiker Horst Steffens versammelte Gruppe von fünf Autoren (Udo Achten, Torsten Bewernitz, Rainer Fattmann, Hans-Joachim Hirsch, Walter Spannagel) und einer Autorin (Rabea Limbach) hat eine bemerkenswerte Arbeit vollbracht.
Auf 280 Seiten und in neunzehn Kapiteln nähern sie sich dem spannenden Thema auf vielfältige Weise an.
Vier Abschnitte mit etwa siebzig zeitgenössischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Düsseldorfer Fotografen Anton (Toni) Tripp geben dem Band eine ganz besondere Dimension.
Die Bedeutung dieser Fotos als „Ausdruck der Geschichte(n) eines Arbeitskampfs“ werden ebenso reflektiert, wie die unterschiedlichsten Aspekte vor und während dieses historisch bedeutsamen Arbeitskampfes.
Die Entwicklung der IG Metall zur „Lokomotive der Tarifauseinandersetzungen im Wirtschaftswunder“, die „Rekonstruktion der [Mannheimer] Arbeiterbewegung nach 1945“, die „Bedeutung der Mannheimer Metallindustrie“ und die Einschätzung der Machtverhältnisse vor dem realen Kräftemessen erleichtern das Verständnis der dann im Frühjahr 1963 stattfinden Ereignisse.
Diese nur vordergründig reine Lohnrunde für mehr Entgelt („Wir fordern 8 %“) hatte in Wirklichkeit eine enorme (klassen-) politische Bedeutung. Dies beleuchten etwa die Texte zum Charakter des Streiks, zur Rolle der Aussperrung durch die Kapitalisten oder zum geforderten Lohnstopp.
Weitere Schlaglichter auf die gegensätzlichen Interessen werfen die Ausführungen über die Rolle der Kontrahenten Hanns Martin Schleyer (Vorsitzender des Verbandes der Metallindustrie Baden-Württemberg und ehemaliger SS-Unterscharführer) und Willi Bleicher (Bezirksleiter der IG Metall und ehemaliger kommunistischer KZ-Häftling).
Die Ungeduld der Mannheimer Arbeiter
Die „Ungeduld der gewerkschaftlichen Basis in Mannheim“, die „überraschend“ (?) aktive Rolle von Frauen und „Gastarbeitern“ im Arbeitskampf und die „Bildungswut“ der besonders engagierten Teile der Gewerkschaften („Metaller lernen ‚französisch‘“) werden in dem Band ebenso untersucht wie die „historische und aktuelle Bedeutung des Metallerstreiks 1963“.
Gespräche mit vier Zeitzeugen (den IG Metallern Erwin Bürckmann, Richard Mohr, Erwin Schaal und Walter Spagerer) sowie ein Gedenken an den damaligen DGB-Kreisvorsitzenden Max Jaeger lassen uns die Vorgänge um den Metallerstreik noch konkreter und besser verstehen.
Eine faszinierende Beilage zu all den interessanten Texten und Bildern, die in dem Band enthalten sind, stellt die digitalisierte Kopie eines Amateurfarbfilms über den 1. Mai 1963 in Mannheim dar. Wir können dadurch noch unmittelbarer an der kämpferischen Atmosphäre dieser bewegten Wochen teilhaben.
Das gesamte Buch ist also sehr anerkennenswert, es bedarf dennoch an der einen oder anderen Stelle eines genaueren Blicks – zum Beispiel auf die Rolle der „linkssozialistischen Betriebsgruppen“.
Gerade vor dem Hintergrund des aktuell schärfer werdenden Klassenkampfs von oben ist sehr zu wünschen, dass sich möglichst viele Aktive mit den Lehren des Metallerstreiks von 1963 befassen.
TECHNOSEUM – Landesmuseum für Technik und Arbeit (Hrsg.), „Dieser Betrieb wird bestreikt“, Bilder-und Lesebuch zu Streik und Aussperrung 1963 in Mannheim, 280 Seiten mit 84 Abb., Reihe Technik + Arbeit, Bd. 15. ISBN 978-3-95505-100-6, EUR 19,90. Gleichzeitig ist eine Sonderedition für die IG Metall Mannheim erschienen.