Spannendes Seminar
U. D.
Am 21. September 2019 fand unser Herbstseminar „Solidarität statt Ausbeutung - Wie kann das gelingen?“ im Stadtheim der Naturfreunde Mannheim statt. Zwei grundlegende Fragen standen im Mittelpunkt unseres von den Teilnehmenden sehr positiv bewerteten Treffens: Wie kann politische Demokratie jenseits der Klassengesellschaft organisiert werden? Und: Wie kann ein wirtschaftliches Alternativmodell zum Kapitalismus aussehen?
Alle Macht den Räten…
Ausgehend von dem Text Für Rätedemokratie und Arbeiter-Selbstverwaltung (Thesen des 12. Weltkongresses der IV. Internationale 1985) wurden die Grundprinzipien direkter Demokratie aufgezeigt. Diese Thesen sind in einer Sprache verfasst, die heute auf den ersten Blick unzeitgemäß wirkt. Aber sie fassen sehr präzise die politischen Erfahrungen der revolutionären ArbeiterInnenbewegung mit direkter Demokratie und Selbstverwaltung in den letzten 150 Jahre zusammen.
In einer Klassengesellschaft ist der Staat nicht neutral, sondern steht im Dienst einer herrschenden Klasse. In der bürgerlichen Gesellschaft ist dies die Klasse der KapitalbesitzerInnen. Diese weitgehend unkontrollierte Macht einer kleinen Minderheit muss in einer solidarischen Gesellschaft, die eine glaubwürdige Alternative anbieten will, durch die Schaffung einer direkten Demokratie überwunden werden.
Die Bedeutung der Räte für die Ausübung direkter Demokratie ist nicht hoch genug zu bewerten. Rätedemokratie kann nur dann wirklich existieren, wenn die in ihr geltenden demo- kratischen und sozialen Rechte über die der bürgerlichen Demokratie hinausgehen. Ein direkt-demokratischer Rechtsstaat muss auch die Unabhängigkeit der Gerichte beinhalten, damit die BürgerInnen keiner durch politische Willkür geprägten Justiz ausgeliefert sind.
Sicherlich müssen sich die Räte nicht nur lokal und regional, sondern auch national, ja sogar international koordinieren. Doch dies darf nicht zu einem neuen Zentralismus der Macht führen. Ziel der sozialistischen Demokratie ist – in völligem Gegensatz zu stalinistischen Diktaturen – zum einen das „Absterben“ des Staates als Herrschaftsinstrument. Zum anderen ist es die größtmögliche und aktive Beteiligung aller BürgerInnen an der Politik, das heißt an der Gestaltung der Gesellschaft auf allen Ebenen.
Der revolutionäre Sozialist Ernest Mandel (1923-1995) hat zwei entscheidende Voraussetzungen für das Funktionieren einer sozialistischen Demokratie genannt. Erstens die radikale Ver- kürzung der Arbeitszeit (zum Beispiel auf 20 Wochenstunden) und zweitens die praktische Erfahrung, dass die Entscheidungen „von unten“ auch wirklich umgesetzt werden und zu den erwarteten Resultaten führen. Erst diese beiden Faktoren können verhindern, dass die Menschen nach einer kurzen Zeit der Aktivität passiv werden und der Gefahr einer Bürokratisierung nichts mehr entgegenzusetzen haben.
Die direkte Demokratie (Rätedemokratie) ist aber nicht nur wesentlich für die Abschaffung des Staates, sondern auch für den Aufbau einer nichtkapitalistischen Ökonomie.
Bedürfnisorientierte Ökonomie statt Profitmaximierung
Aufgrund seiner „inneren“ Funktionsweise kann der Kapitalismus die globalen Krisen (Umwelt, Krieg, Armut, Flucht, Arbeit, Wohnungsnot, Kultur, Vereinsamung…) nicht lösen. Im Gegenteil, er verursacht diese nicht nur, sondern er verstärkt sie permanent und in einer zunehmend bedrohlicheren Weise.
Deshalb ist dringend eine zukunftssichernde solidarische und ökologische Alternative notwendig. Sie darf nicht wie der Kapi- talismus auf Warenproduktion, Konkurrenz und Profitma- ximierung beruhen. Vielmehr muss sie sich strikt an den Be- dürfnissen der Menschen, an der Erhaltung (bzw. Wiederher- stellung) der Natur und damit an der Sicherung der Lebensgrund- lagen künftiger Generationen orientieren.
Eine solche Wirtschaft kann es nur geben, wenn mindestens die große Industrie und der Finanzsektor, der Energie-, der Gesundheits- und der Verkehrssektor sowie die Immobilien- und die Medienbranche vergesellschaftet sind.
Sie muss demokratisch kontrolliert und geplant sein. Das heißt, die ProduzentInnen und alle anderen BürgerInnen müssen sich unter Berücksichtigung sozialer und ökologischer Anforderungen über die Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse demokratisch verständigen. Was wird benötigt? Welche Schwer- punkte werden gesetzt? In welchem Umfang werden Ressourcen (Rohstoffe, Arbeitszeit, Energie usw.) zur Verfügung gestellt? Welche neuen Entwicklungen gilt es zu fördern?
Eine solche bedürfnisorientierte Ökonomie ist daher ohne Rätedemokratie nicht realisierbar.