Frank­reich im „Krieg“ gegen den „sani­tä­ren Ausnahmezustand“:

Kapi­tal­of­fen­si­ve gegen die arbei­ten­de Klasse

 

B. S.

Am 16. März 2020 erklär­te Staats­prä­si­dent Macron thea­tra­lisch der Pan­de­mie den „Krieg“, vor allem um von sei­ner poli­ti­schen Ver­ant­wor­tung für die Aus­brei­tung des Coro­na-Virus mit tau­sen­den von Todes­op­fern abzu­len­ken. Seit dem 24. März 2020 befin­det sich nun Frank­reich offi­zi­ell im „sani­tä­ren Ausnahmezustand“.

Wie in Deutsch­land gibt es auch in Frank­reich einen enor­men, aus poli­tisch moti­vier­ten „Kos­ten­grün­den“ ver­ur­sach­ten Man­gel an wirk­sa­men Schutz­mas­ken. Das „Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um“ mach­te des­halb aus der Not eine Tugend. Es erklär­te wie­der­holt, das Tra­gen der­sel­ben sei bes­ten­falls unnütz, wenn man nicht selbst Krank­heits­über­trä­ger sei.

Medi­zi­ner erklä­ren, das Gesund­heits­per­so­nal sei in der Aus­übung sei­nes Berufs in Gefahr. Frank­reich füh­re sich auf wie ein wirt­schaft­lich unter­ent­wi­ckel­tes Land.

Dies ist viel­leicht der Anfang einer Staats­af­fä­re. Denn am 18. März 2020 platz­te eine Nach­richt der Zei­tung Le Mon­de wie eine Bom­be. Die ehe­ma­li­ge Gesund­heits­mi­nis­te­rin Buzyn hat­te erklärt, sie habe bereits vor Wochen gewusst, dass „ein Tsu­na­mi auf uns zurollt“. Sie habe ver­geb­lich sowohl Prä­si­dent Macron als auch Pre­mier­mi­nis­ter Phil­ip­pe vor­ge­warnt. Die­se hät­ten die alar­mie­ren­den Infor­ma­tio­nen zu Coro­na nicht ernst genommen.

Inzwi­schen haben sechs­hun­dert Ärz­tIn­nen in die­ser Sache Straf­an­zei­ge gegen Buzyn und ihren frü­he­ren Vor­ge­setz­ten, den dama­li­gen und jet­zi­gen Pre­mier­mi­nis­ter Phil­ip­pe, erstattet.

Gesetz zum „sani­tä­ren Notstand“
Das zwi­schen­zeit­lich ver­ab­schie­de­te Gesetz zum „sani­tä­ren Aus­nah­me­zu­stand“ ist weit­ge­hend dem Modell der Not­stands­ge­setz­ge­bung im Fall innen­po­li­ti­scher Kon­flik­te und Kri­se nachempfunden.

Die Exe­ku­ti­ve kann jetzt den Not­stand für einen Monat erklä­ren. Nach des­sen Ablauf muss das Par­la­ment ihn zwar ver­län­gern, aber die Regie­rung kann wäh­rend einer Dau­er von zwei Mona­ten bei bestimm­ten The­men auf dem Ver­ord­nungs­we­ge aktiv werden.

In der aktu­el­len Ver­si­on des Not­stands geht es um Aus­gangs­be­schrän­kun­gen und um den mehr­mo­na­ti­gen Auf­schub für die zwei­te Run­de der Kom­mu­nal­wah­len. Es geht jedoch auch um Ein­schnit­te im Arbeits- und Sozi­al­recht. Dazu zählt das Recht des Unter­neh­mers, ein­sei­tig den Urlaub der Lohn­ab­hän­gi­gen fest­zu­set­zen oder bereits gewähr­ten Urlaub auf­zu­schie­ben, ohne die bis dahin gel­ten­de gesetz­li­che Vor­warn­frist von einem Monat ein­zu­hal­ten. Auch wird „Unter­neh­men in Sek­to­ren, die für die Sicher­heit der Nati­on oder den Fort­be­stand des wirt­schaft­li­che und sozia­len Lebens beson­ders erfor­der­lich sind, [erlaubt] […], von zwin­gen­den gesetz­li­chen Regeln und von Kol­lek­tiv­ver­ein­ba­run­gen betref­fend Arbeits­zeit, wöchent­li­cher Ruhe­zeit und Sonn­tags­ru­he abzuweichen“.

Ein mit der par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­ti­on getrof­fe­ner Kom­pro­miss zum The­ma Zwangs­ur­laub beinhal­tet, dass ein Bran­chen- oder ein Fir­men-Kol­lek­tiv­ver­trag die­se ver­ord­ne­te Beur­lau­bung erlaubt.

Ab jetzt kön­nen die Fir­men statt 35 bis zu 48 Wochen­stun­den arbei­ten las­sen. Sie kön­nen selbst fest­le­gen, wann die dann anfal­len­den bis zu drei­zehn Über­stun­den durch Frei­zeit kom­pen­siert wer­den. Also dann, wenn kei­ne abzu­ar­bei­ten­den Auf­trä­ge vorliegen.

Zwar ging Frank­reich in der bis­he­ri­gen Kri­sen­si­tua­ti­on nicht so weit wie etwa Por­tu­gal, wo das Streik­recht aus­ge­he­belt wor­den ist, doch an Ideen fehlt es auch den Herr­schen­den in Paris nicht …

Kriegs­wich­ti­ge“ Arbeiten
Laut Zah­len des Sen­ders BFM TV vom 23. März 2020 befan­den sich zu die­sem Zeit­punkt 40 % der Lohn­ab­hän­gi­gen in Frank­reich in einem Zustand der Nicht­ar­beit (wegen Kurz­ar­beit, sons­ti­ger Situa­tio­nen der Schlie­ßung ihrer Arbeits­stät­ten, Aus­übung des Rechts auf indi­vi­du­el­le Arbeits­ver­wei­ge­rung – „droit de retrait“ – in gesund­heits­ge­fähr­den­den Situa­tio­nen oder auf­grund aus­blei­ben­der Kin­der­be­treu­ung, die zur Krank­mel­dung berech­tigt). 25 % arbei­ten in Tele­ar­beit. Dies bedeu­tet im Umkehr­schluss, dass ein gutes Drit­tel der Lohn­ab­hän­gi­gen wei­ter­hin arbei­tet, und dies nicht nur in den zwei­fel­los unab­ding­ba­ren Gesund­heits­be­ru­fen oder in der Lebensmittelversorgung.

Am Wochen­en­de vom 21./22. März 2020 wur­de eine Ver­ein­ba­rung zwi­schen der Regie­rung und der Bau­in­dus­trie getrof­fen. Die­se sieht vor, dass auf einem Groß­teil der Bau­stel­len wei­ter- bzw. wie­der gear­bei­tet wer­den soll. Die Fir­men sol­len für den Gesund­heits­schutz ihrer Beschäf­tig­ten sor­gen. Laut Arbeits­mi­nis­te­rin Péni­caud ist der Wei­ter­be­trieb erfor­der­lich, weil sie „wesent­lich für das öko­no­mi­sche Leben des Lan­des und sei­nes Funk­tio­nie­rens“ sei.

Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Not­wen­dig­keit von Arbei­ten wäh­rend der Coro­na-Kri­se gibt es zum Bei­spiel auf den Atlan­tik­werf­ten in Saint-Nazai­re. Dort haben Lohn­ab­hän­gi­ge die Wie­der­auf­nah­me der Arbeit ver­wei­gert, und die CGT hat die zeit­wei­li­ge Ein­stel­lung der Pro­duk­ti­on gefor­dert. Auch bei Ama­zon for­der­ten Gewerk­schaf­ten den vor­über­ge­hen­den Stopp von Tätig­kei­ten, die nichts mit der Lie­fe­rung von medi­zi­ni­schen und lebens­not­wen­di­gen Pro­duk­ten zu tun haben.

Da aller­dings auf die gesund­heit­li­che Kri­se die mas­si­ve Ver­schär­fung der Wirt­schafts­kri­se folgt, haben Fir­men nicht nur mit Kurz­ar­beit, son­dern auch mit der Ankün­di­gung des Abbaus von Arbeits­plät­zen begonnen.

Wie vie­le Gewerk­schafts­sek­tio­nen wer­den die­ser Ent­wick­lung wider­ste­hen kön­nen? Die Span­nun­gen wer­den an den gesell­schaft­li­che „Soll­bruch­stel­len“ wahr­schein­lich stark zuneh­men. Ent­schei­dend wird sein, wie Gewerk­schaf­ten und Lin­ke in die­ser Lage hand­lungs­fä­hi­ger werden.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar April 2020
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