N. B.
Ist der „Klimakollaps“ noch abzuwenden? Welche politischen, sozialen, gesellschaftlichen Antworten können und wollen wir darauf geben? Über diese und weitere Fragen diskutierten wir rege bei unserem letzten Infoabend drei Tage vor Weihnachten.
Als Diskussionsgrundlage diente uns ein Artikel, der in der Klimabewegung großen Anklang gefunden hat. Eine engagierte Aktivistin stellte uns Jem Bendells Text „Tiefenanpassung“ von 2018 anschaulich und übersichtlich zusammen- gefasst vor. In Reaktion auf diesen Artikel hat sich unter anderem die Bewegung „Extinction Rebellion“ gegründet.
Klimakatastrophe und sozialer Zusammenbruch
Das Schmelzen der Arktis, der weiterhin steigende CO2-Ausstoß, das zunehmende Freiwerden von Methan und andere physikalische Prozesse werden laut Bendell unsere Lebensgrund- lagen so verändern, dass ein gesellschaftlicher Zusammenbruch bevorsteht. Er entwirft ein Szenario der Armut, der absoluten Knappheit von Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Strom mit Auswirkungen auf Gesundheit und Gesundheitsversorgung, auf Unterernährung und Kriege.
Diese bedrohliche Entwicklung führt laut Bendell zu der Frage: „Soll ich bleiben oder soll ich gehen“? In vielen Teilen der Welt wird sie durch große Bevölkerungsteile eindeutig beantwortet. Die Menschen fliehen in benachbarte Regionen und in andere Teile der Welt und werden dabei von den Herrschenden im wahrsten Sinne des Wortes mörderisch bekämpft.
Der Realität ins Auge schauen
Unsere Referentin betonte immer wieder, dass ein zentrales Problem die Verdrängung beziehungsweise das Verschweigen der katastrophalen Lage durch Wissenschaft und öffentliche Diskussion sei. Bendells Text hat ihr zufolge insbesondere für junge Menschen eine große Bedeutung erlangt. Der Grund dafür sei, dass er lebensbedrohliche Zukunftsszenarien ehrlich benenne und eine offene Trauer um all das zulasse, was bereits verloren sei. Falsche Hoffnungen könnten daher durch radikale Hoffnungen ersetzt werden.
Radikale Hoffnungen
Wie jedoch können diese aussehen? Bendell beschränkt sich in seiner Tiefenanpassungsagenda auf individualisierte Reaktionen auf die Klimakatastrophe. Diese schließen auch spirituell-esoterische Ansätze ein, welche für die politische Rechte anschlussfähig sein können. In seinem dramatischen Bild der nahen Zukunft benennt er sowohl physikalische als auch gesellschaftliche Entwicklungen. Wie beide miteinander zusammenhängen, lässt er außen vor. Als Sozialist:innen betrachten wir genau das jedoch als die zentrale Frage.
Die Klimakatastrophe selbst ist ein Ausdruck des Klassenkampfes von oben. Auf brutalste Weise zerstört die Klasse der Superreichen unsere Lebensgrundlagen. Zudem bekämpft sie skrupel- los diejenigen, denen sie bereits die Möglichkeiten nicht nur eines erfüllten, sicheren Lebens, sondern auch des bloßen Überlebens genommen haben. Die Klimakatastrophe ist nicht ein- fach „menschengemacht“. Sie ist „profitgemacht“ durch die stets wachsende Ausbeutung und Unterwerfung von Mensch und Natur unter die Profitinteressen der Kapitalistenklasse.
Solidarisch in der Klimakatastrophe
Aus diesem Verständnis ziehen wir Schlussfolgerungen, die wir tatsächlich als „radikale Hoffnung“ und Agenda bezeichnen können. Wie sich die klimatischen und gesellschaftlichen Bedingungen weiterentwickeln, hängt davon ab, inwieweit wir es schaffen, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verändern. Viele klimatische Prozesse sind momentan nicht mehr aufzuhalten. Das Ausmaß und die Dramatik sind jedoch nicht abschließend entschieden. Genauso wenig ist die Frage endgültig beantwortet, ob sich die kleine Gruppe der Superreichen trotz Klimakatastrophe behaupten wird. Es kann den arbeitenden und unterdrückten Klassen immer noch gelingen, eine direkte Demokratie auf Basis einer solidarischen Gesellschaft und Wirtschaft durchzusetzen. Dann geht es nicht mehr um Profite, sondern um menschliche Bedürfnisse und Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.
Der verschärfte Klassenkampf von oben und der sich ausbreitende kriegerische Massenmord sind für den destruktiven globalen Kapitalismus typische Reaktionen auf die aktuellen Krisen. Eine solidarische Gesellschaft kann hingegen konstruktive Strategien zum Umgang mit „Naturkatastrophen“ und zur Verteilung knapper Güter entwickeln und umsetzen. Sie werden auf dem Verständnis und der Verteidigung der unteilbaren Menschenrechte beruhen.
Unsere Diskussion werden wir weiterführen, nicht zuletzt auf der bundesweiten Ökosozialistischen Konferenz der ISO vom 30.05. bis 02.06.2024 und im Vorfeld des 2025 anstehenden 18. Weltkongresses der IV. Internationale.