Zur Betriebsratswahl 2022 (Teil I)
U. D.
Am 13. November 2021 organisierte die ISO Rhein-Neckar ein sehr gutes Seminar zur Vorbereitung der Betriebsratswahlen im Frühjahr 2022 (siehe den Bericht in Avanti² von Dezember 2021). Wir veröffentlichen im Folgenden den überarbeiteten ersten Teil des Referats „Raue Zeiten erfordern aktive Betriebsräte“.
Das erste deutsche Betriebsrätegesetz wurde 1920 in der Weimarer Republik verabschiedet. Bereits dieses Gesetz verpflichtete den Betriebsrat, sowohl die Interessen der Belegschaft als auch die des Unternehmens zu berücksichtigen. Der klassenkämpferische Teil der damaligen Arbeiterbewegung lehnte dies ab.
Ein weiterer Streitpunkt war, ob die Belegschaft den Betriebsrat jederzeit absetzen kann. Diese Idee direkter Räte-Demokratie knüpfte an den Erfahrungen der Pariser Kommune und der Frühphase der russischen Oktoberrevolution an. Durchgesetzt wurde jedoch das repräsentative Wahlamt – mit dem „Zugeständnis“ einer lediglich einjährigen Amtszeit.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Untergang der faschistischen Diktatur 1945 galt für die ersten Betriebsräte in Nachkriegsdeutschland erneut die einjährige Amtszeit. Diese wurde ab dem Jahr 1952 schrittweise auf mittlerweile vier Jahre verlängert.
Gefahren der Bürokratisierung
Die inhaltlichen und organisatorischen Anforderungen an Betriebsräte sind in den letzten Jahrzehnten deutlich größer ge- worden. Die dafür notwendige Qualifizierung ist mit längeren Amtszeiten sicher einfacher zu erreichen. Aber der politische Schaden wiegt schwerer als dieser Vorteil.
Längere Amtszeiten begünstigen die Herausbildung einer Bürokratie von Berufsbetriebsräten. Diese agieren oft gewerkschaftsunabhängig, sehen vorrangig den „eigenen“ Betrieb und verlieren immer mehr den Bezug zu „ihrer“ Belegschaft. Neben dem gewerkschaftlichen Apparat sind sie die wesentlichen Träger und Verstärker der Sozialpartnerschaft in der arbeitenden Klasse.
Selbst diejenigen, die im Betrieb eine aktive Betriebsratsarbeit machen, sind dieser Bürokratisierungsdynamik ausgesetzt. Auch deswegen ist eine überbetriebliche Vernetzung von gewerkschaftlich Aktiven wichtig. Denn diese bietet die Möglichkeit, die eigene Arbeit immer wieder zu überprüfen und zu diskutieren.
Aktuelle Situation
Im Jahr 2000 hatten 9 % aller betriebsratsfähigen Betriebe (ab fünf Wahlberechtigten) und damit 45 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Flächentarifvertrag und einen Betriebsrat. Bis zum Jahr 2019 war dieser Wert auf nur noch 6 % der Betriebe und 35 % der Beschäftigten gesunken.
Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Beschäftigten, die weder Tarifvertrag noch einen Betriebsrat hatten, von 26 % auf 39 %. Auch wenn sich laut einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung circa 50 % der Unternehmen ohne Tarif an einem Tarifvertrag orientieren, ist dies eine dramatische Entwicklung und Ausdruck der aktuellen Schwäche der Gewerkschaftsbewegung.
Betriebsrats-Mobbing
Geschäftsführungen von Unternehmen agieren gegenüber Betriebsräten sehr unterschiedlich: Sie umarmen und integrieren, sie kaufen, sie beeinflussen und verhindern Wahlen, sie zerschlagen Gremien, sie stoppen berufliche und finanzielle Weiterentwicklungen, sie versetzen, sie isolieren, sie kündigen oder zerstören im schlimmsten Fall die Gesundheit.
Dies gilt nicht für alle Unternehmen. Diesbezüglich spielt die persönliche Einstellung der Unternehmensleitung eine gewisse Rolle. Aber entscheidend ist, wie stark Belegschaft, Gewerkschaft und Betriebsrat sind und welche Spielräume sie sich erkämpft haben.
Letztendlich geht es einem Unternehmen immer darum, die eigenen Interessen durchsetzen, „ungestört“ entscheiden und den größtmöglichen Profit erzielen zu können. Aktive Betriebs-räte sind dabei unerwünschte Störer. Alleine ihr Versuch, bestehende Gesetze und geltendes Recht durchzusetzen, reicht aus, um sich den Zorn der Kapitalseite zuzuziehen.
Im Gegensatz zu vielen Beschäftigten ist sich die kapitalistische Klasse ihrer Interessen sehr bewusst. Sie weiß, welche Bedeutung gewerkschaftliche Organisation und Betriebsräte im Unternehmen haben können. Deswegen versucht sie mit ihren zum Teil verbrecherischen Mitteln, ihre eigenen Ziele durchzusetzen.
Gegen diesen Macht- und Klassenkampf der Bosse muss hartnäckig und solidarisch der Klassenkampf von unten organisiert und geführt werden.