Raue Zei­ten erfor­dern akti­ve Betriebsräte

Zur Betriebs­rats­wahl 2022 (Teil I)

U. D.

Am 13. Novem­ber 2021 orga­ni­sier­te die ISO Rhein-Neckar ein sehr gutes Semi­nar zur Vor­be­rei­tung der Betriebs­rats­wah­len im Früh­jahr 2022 (sie­he den Bericht in Avan­ti² von Dezem­ber 2021). Wir ver­öf­fent­li­chen im Fol­gen­den den über­ar­bei­te­ten ers­ten Teil des Refe­rats „Raue Zei­ten erfor­dern akti­ve Betriebsräte“.

Das ers­te deut­sche Betriebs­rä­te­ge­setz wur­de 1920 in der Wei­ma­rer Repu­blik ver­ab­schie­det. Bereits die­ses Gesetz ver­pflich­te­te den Betriebs­rat, sowohl die Inter­es­sen der Beleg­schaft als auch die des Unter­neh­mens zu berück­sich­ti­gen. Der klas­sen­kämp­fe­ri­sche Teil der dama­li­gen Arbei­ter­be­we­gung lehn­te dies ab.

Konferenz „Betriebsräte im Visier“ in Mannheim, 16. Oktober 2021. ( Foto: helmut-roos@web.de.)

Kon­fe­renz „Betriebs­rä­te im Visier“ in Mann­heim, 16. Okto­ber 2021. ( Foto: helmut-roos@web.de.)

Ein wei­te­rer Streit­punkt war, ob die Beleg­schaft den Betriebs­rat jeder­zeit abset­zen kann. Die­se Idee direk­ter Räte-Demo­kra­tie knüpf­te an den Erfah­run­gen der Pari­ser Kom­mu­ne und der Früh­pha­se der rus­si­schen Okto­ber­re­vo­lu­ti­on an. Durch­ge­setzt wur­de jedoch das reprä­sen­ta­ti­ve Wahl­amt – mit dem „Zuge­ständ­nis“ einer ledig­lich ein­jäh­ri­gen Amtszeit.

Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs und dem Unter­gang der faschis­ti­schen Dik­ta­tur 1945 galt für die ers­ten Betriebs­rä­te in Nach­kriegs­deutsch­land erneut die ein­jäh­ri­ge Amts­zeit. Die­se wur­de ab dem Jahr 1952 schritt­wei­se auf mitt­ler­wei­le vier Jah­re verlängert.

Gefah­ren der Bürokratisierung
Die inhalt­li­chen und orga­ni­sa­to­ri­schen Anfor­de­run­gen an Betriebs­rä­te sind in den letz­ten Jahr­zehn­ten deut­lich grö­ßer ge- wor­den. Die dafür not­wen­di­ge Qua­li­fi­zie­rung ist mit län­ge­ren Amts­zei­ten sicher ein­fa­cher zu errei­chen. Aber der poli­ti­sche Scha­den wiegt schwe­rer als die­ser Vorteil.

Län­ge­re Amts­zei­ten begüns­ti­gen die Her­aus­bil­dung einer Büro­kra­tie von Berufs­be­triebs­rä­ten. Die­se agie­ren oft gewerk­schafts­un­ab­hän­gig, sehen vor­ran­gig den „eige­nen“ Betrieb und ver­lie­ren immer mehr den Bezug zu „ihrer“ Beleg­schaft. Neben dem gewerk­schaft­li­chen Appa­rat sind sie die wesent­li­chen Trä­ger und Ver­stär­ker der Sozi­al­part­ner­schaft in der arbei­ten­den Klasse.

Selbst die­je­ni­gen, die im Betrieb eine akti­ve Betriebs­rats­ar­beit machen, sind die­ser Büro­kra­ti­sie­rungs­dy­na­mik aus­ge­setzt. Auch des­we­gen ist eine über­be­trieb­li­che Ver­net­zung von gewerk­schaft­lich Akti­ven wich­tig. Denn die­se bie­tet die Mög­lich­keit, die eige­ne Arbeit immer wie­der zu über­prü­fen und zu diskutieren.

Aktu­el­le Situation
Im Jahr 2000 hat­ten 9 % aller betriebs­rats­fä­hi­gen Betrie­be (ab fünf Wahl­be­rech­tig­ten) und damit 45 % der sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig Beschäf­tig­ten einen Flä­chen­ta­rif­ver­trag und einen Betriebs­rat. Bis zum Jahr 2019 war die­ser Wert auf nur noch 6 % der Betrie­be und 35 % der Beschäf­tig­ten gesunken.

Im glei­chen Zeit­raum stieg die Zahl der Beschäf­tig­ten, die weder Tarif­ver­trag noch einen Betriebs­rat hat­ten, von 26 % auf 39 %. Auch wenn sich laut einer Unter­su­chung der Hans-Böck­ler-Stif­tung cir­ca 50 % der Unter­neh­men ohne Tarif an einem Tarif­ver­trag ori­en­tie­ren, ist dies eine dra­ma­ti­sche Ent­wick­lung und Aus­druck der aktu­el­len Schwä­che der Gewerkschaftsbewegung.

Betriebs­rats-Mob­bing
Geschäfts­füh­run­gen von Unter­neh­men agie­ren gegen­über Betriebs­rä­ten sehr unter­schied­lich: Sie umar­men und inte­grie­ren, sie kau­fen, sie beein­flus­sen und ver­hin­dern Wah­len, sie zer­schla­gen Gre­mi­en, sie stop­pen beruf­li­che und finan­zi­el­le Wei­ter­ent­wick­lun­gen, sie ver­set­zen, sie iso­lie­ren, sie kün­di­gen oder zer­stö­ren im schlimms­ten Fall die Gesundheit.

Dies gilt nicht für alle Unter­neh­men. Dies­be­züg­lich spielt die per­sön­li­che Ein­stel­lung der Unter­neh­mens­lei­tung eine gewis­se Rol­le. Aber ent­schei­dend ist, wie stark Beleg­schaft, Gewerk­schaft und Betriebs­rat sind und wel­che Spiel­räu­me sie sich erkämpft haben.

Letzt­end­lich geht es einem Unter­neh­men immer dar­um, die eige­nen Inter­es­sen durch­set­zen, „unge­stört“ ent­schei­den und den größt­mög­li­chen Pro­fit erzie­len zu kön­nen. Akti­ve Betriebs-räte sind dabei uner­wünsch­te Stö­rer. Allei­ne ihr Ver­such, bestehen­de Geset­ze und gel­ten­des Recht durch­zu­set­zen, reicht aus, um sich den Zorn der Kapi­tal­sei­te zuzuziehen.

Im Gegen­satz zu vie­len Beschäf­tig­ten ist sich die kapi­ta­lis­ti­sche Klas­se ihrer Inter­es­sen sehr bewusst. Sie weiß, wel­che Bedeu­tung gewerk­schaft­li­che Orga­ni­sa­ti­on und Betriebs­rä­te im Unter­neh­men haben kön­nen. Des­we­gen ver­sucht sie mit ihren zum Teil ver­bre­che­ri­schen Mit­teln, ihre eige­nen Zie­le durchzusetzen.

Gegen die­sen Macht- und Klas­sen­kampf der Bos­se muss hart­nä­ckig und soli­da­risch der Klas­sen­kampf von unten orga­ni­siert und geführt werden.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Janu­ar 2022
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