Scharfmacher Kickl als Kanzler?*
Wilfried Hanser
Bei der Nationalratswahl vom 29. September 2024 erhielt die rechtsextreme FPÖ unter dem Scharfmacher Kickl unglaubliche 28,8 % der Stimmen und wurde damit stärkste Partei.
Kickl hetzt ganz offen, er hofiert die Identitären als „interessante rechte NGO“ und „Remigration“ wurde von ihm schon lange vor der AfD ganz ungeniert als sein Programm bezeichnet. Orban in Ungarn ist sein Vorbild.
Im Januar 2025 beauftragte der grüne Bundespräsident Van der Bellen Kickl mit der Regierungsbildung. Seitdem laufen Koalitionsgespräche zwischen FPÖ und ÖVP.
Ist damit die – bürgerliche – Demokratie in Österreich verloren? Wird Österreich ein zweites Ungarn wie unter Orban? Das ist zu befürchten, wenn man nicht die inneren und äußeren Widersprüche der Situation berücksichtigt: ÖVP und FPÖ sind sich spinnefeind und für die ÖVP steht ihre jahrzehntelange Macht im Staats- und Beamtenapparat auf dem Spiel. Die möchte Kickl am liebsten zerschlagen, um seine Gefolgsleute zu installieren und die Kontrolle im Staatsapparat zu übernehmen.
Die Koalitionsgespräche könnten daher – mit geringer Wahrscheinlichkeit – immer noch scheitern. Dazu müsste die ÖVP aber ein Abkommen mit der sozialdemokratischen SPÖ zuwege bringen. Eine Bereitschaft dazu ist nach dem Putsch des Wirtschaftsflügels innerhalb der ÖVP wenig wahrscheinlich.
Welches Programm von Blau-Schwarz?
Das zu erwartende Programm der Blau-Schwarzen Koalition richtet sich allerdings direkt gegen die sozialen und gesellschaftlichen Interessen des Großteils der Wähler:innen beider Parteien, insbesondere gegen die der überwiegenden Mehrheit der Wähler:innen der FPÖ, der Lohnabhängigen. Diese machen letztlich die Mehrheit der Bevölkerung aus.
Auf dem Spiel stehen letztlich die gesamten Reform-Errungenschaften seit der Kreisky-Ära. Österreich steht – vergleichsweise zu Deutschland – noch relativ gut da. Eine „Agenda 2010“ wie unter Schröder, die Einführung von Hartz IV, die Konter-„Reformen“ bei Pensionen und im Gesundheitssystem, hat es in Österreich noch nicht gegeben, das öffentliche Sozial- und Gesundheits- system ist noch weitgehend intakt, wenn auch geschwächt.
Auch die Eisenbahnen sowie die Öffis fahren wesentlich pünktlicher und decken ein breiteres Netz ab, die staatliche Verwaltung und Infrastruktur funktionieren im internationalen Ver- gleich noch relativ gut. Und die Grünen haben auch ein paar – sehr bescheidene – ökologische Reformen erstritten: Das Klimaticket, eine CO2-Abgabe in Verbindung mit einem Klimabonus, der an alle ausgezahlt wird. Auch wurden einige Transparenz- und Anti-Korruptionsbestimmungen in die Gesetze eingebaut.
Wie kann Widerstand gelingen?
Alles das ist durch die zu erwartenden Angriffe und eine Privatisierungswelle v. a. im Sozial- und Gesundheitssystem höchst gefährdet. Gefordert sind deshalb die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie, die etwas erstarkte KPÖ und die – allerdings sehr schwache, zersplitterte – Linke. Widerstand gegen die geplanten massiven Zerstörungen des Sozialstaates und demokratischer Errungenschaften, gegen rassistische, frauenfeindliche und minderheitenfeindliche Hetze sowie autoritäre Bestrebungen muss jetzt aufgebaut werden.
Das intelligente und kreative Knüpfen breiter Bündnisse und das wiedererlernte Kämpfen sind der Schlüssel, um dieser historischen Herausforderung und Bedrohung zu widerstehen. Wird es gelingen, Widerstandskonferenzen auf die Beine zu bringen und eine breite Abwehrfront zu entwickeln? Kann aus einer solchen Verteidigung von sozialen und demokratischen Errungenschaften ein neuer gesellschaftlicher und politischer Aufbruch erwachsen? Werden sich daran auch kritische Journalist:innen, Wissenschaftler:innen und Künstler:innen beteiligen?
Ohne Überwindung der bürokratischen Behäbigkeit, die durch die jahrzehntelange Sozialpartnerschaft in Österreich weltrekordverdächtig ist, und vor allem ohne Überwindung der österreichischen Mentalität des „Suderns“, des passiven ohnmächti- gen Lamentierens ist diese Auseinandersetzung nicht zu gewinnen.
Nur durch die Entwicklung einer kreativen, aktiven, internationalistischen, selbstbewussten Widerstandskultur, die auch die neoliberale Ideologie sprengt, und durch die Verbindung der unterschiedlichen sozialen, ökologischen, feministischen, emanzipatorischen und antirassistischen Bewegungen können verheerende Niederlagen und eine düstere reaktionäre Zukunft abgewendet werden. Nehmen wir die Herausforderungen an!