Ren­ten­re­form“ in Frankreich

Kei­ne wei­te­ren gewerk­schaft­li­chen Aktionstage?

 

Ber­nard Schmid

Das war’s wohl. Die Ein­heits­front (Inter­syn­di­cale) der fran­zö­si­schen Gewerk­schaf­ten ruft zu kei­nen wei­te­ren Akti­ons­ta­gen gegen die im Früh­jahr von der Regie­rung auto­ri­tär durch­ge­drück­te „Ren­ten­re­form“ auf.

„Für die Rente mit 60!“ - CGT-Banner in Straßburg, 6. Juni 2023. (Foto: Photothèque rouge.)

Für die Ren­te mit 60!“ - CGT-Ban­ner in Straß­burg, 6. Juni 2023. (Foto: Pho­to­t­hè­que rouge.)

Der ers­te Akti­ons­tag war am 19. Janu­ar 2023 mit mas­si­ven Demons­tra­tio­nen und Streiks frank­reich­weit durch­ge­führt wor­den. Der letz­te Mas­sen­pro­test fand am 6. Juni mit einer erheb­lich brö­ckeln­den, doch noch sehr beacht­li­chen Mobi­li­sie­rung statt.

Wei­te­re Pro­tes­te im Herbst?
Am Don­ners­tag, den 15. Juni kamen in Paris die Spit­zen aller wich­ti­gen (ansons­ten kon­kur­rie­ren­den) Gewerk­schafts­ver­bän­de Frank­reichs zusammen.

Dort beschlos­sen sie, unter­ein­an­der einig blei­ben zu wol­len, leg­ten jedoch kei­nen Auf­ruf für einen neu­en Pro­test­ter­min fest. Jeden­falls wird es vor der Som­mer­pau­se kei­nen neu­en Akti­ons­tag geben.

Ihre gemein­sa­me Erklä­rung bekun­det, die Aus­ein­an­der­set­zung um die „Ren­ten­re­form“ habe Spu­ren hin­ter­las­sen. Die Zurück­drän­gung der Par­la­ments­rech­te durch die Exe­ku­ti­ve im Zusam­men­hang mit ihrer Durch­set­zung wer­fe „Fra­gen für die Zukunft“ auf, auch danach, wie Men­schen künf­tig pro­tes­tie­ren wollen.

Die Inter­syn­di­cale kün­dig­te ihre akti­ve Ein­fluss­nah­me sowohl auf die im Herbst 2023 anste­hen­den Ver­hand­lun­gen über die pari­tä­tisch durch Kapi­tal und Gewerk­schaf­ten ver­wal­te­ten Zusatz­ren­ten­kas­sen (AGIRC-ARCCO) als auch auf die dro­hen­de „Reform“ der Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung. Letz­te­re soll nach dem Wil­len der Regie­rung ins­be­son­de­re einen Arbeits­zwang beim Bezug von Sozi­al­hil­fe festlegen.

Mit­glie­der­zu­wäch­se bei Gewerkschaften
Seit Anfang die­ses Jah­res, und selbst­re­dend auch im Zusam­men­hang mit dem mehr­mo­na­ti­gen Kon­flikt um die „Ren­ten­re­form“, ver­zeich­ne­ten die fran­zö­si­schen Gewerk­schafts­ver­bän­de nicht unbe­trächt­li­che Mit­glie­der­zu­wäch­se. Die­se sol­len Berich­ten zufol­ge bei rund 100.000 Bei­trit­ten liegen.

Dem­nach ver­zeich­ne­te etwa die CGT von Janu­ar 2023 bis zu ihrem Kon­gress (in der letz­ten März­wo­che 2023) eine Mit­glie­der­zu­nah­me um 30.000. Bei der CFDT sei­en von Anfang Janu­ar bis Anfang Juni 2023 ins­ge­samt 43.116 Neu­mit­glie­der ver­zeich­net wor­den. Dies sei­en 30 bis 40 % mehr als im Ver­gleichs­zeit­raum des Vorjahres.

Aller­dings steigt der gewerk­schaft­li­che Orga­ni­sa­ti­ons­grad durch die­sen Gesamt­zu­wachs nur um fünf Pro­zent­punk­te. Den­noch ist bemer­kens­wert, dass vie­le pre­kär Arbei­ten­de, Lohn­ab­hän­gi­ge in klei­nen bis sehr klei­nen Unter­neh­men und sehr vie­le jun­ge und weib­li­che Beschäf­tig­te dar­un­ter sind. Dies ist auch für die anhal­ten­den Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Löh­ne und Infla­ti­ons­aus­gleich von Bedeutung.

Anstieg bei Solidaritätsspenden
Wich­tig ist, dass es in Frank­reich, wo es his­to­risch kei­ne Streik­kas­sen gibt und die Gewerk­schaf­ten als sol­che kei­ne Streik­gel­der bezah­len, in die­sem Jahr die Sum­men der durch Soli­da­ri­täts­zah­lun­gen und Spen­den­samm­lun­gen finan­zier­ten Streik­gel­der stark gestie­gen waren.

Noch im Febru­ar 2023 gin­gen die Sum­men, über die meh­re­ren ver­streu­te Streik­kas­sen ver­füg­ten, in der Regel nicht über weni­ge Zehn­tau­send Euro hin­aus. Doch ab Mit­te März, das heißt ab dem Zeit­punkt der Durch­set­zung der „Ren­ten­re­form“ am Par­la­ment vor­bei und unter Aus­schal­tung des Abge­ord­ne­ten-Votums, explo­dier­ten die Ein­zah­lun­gen förm­lich. Eine ein­zi­ge Streik­kas­se wuchs bereits in der drit­ten März­wo­che auf über drei Mil­lio­nen Euro an.

Akti­ver gewerk­schaft­li­cher Kern
Der­zeit orga­ni­siert sich ein har­ter Kern rund um den von gewerk­schaft­lich Akti­ven initi­ier­ten und über das Inter­net sowie bei diver­sen Ver­an­stal­tun­gen ver­brei­te­ten Auf­ruf Nous ne tour­ne­rons pas la page („Wir wer­den nicht das Blatt wen­den“). Er for­dert eine Fort­set­zung des Wider­stands gegen die „Ren­ten­re­form“ mit allen jeweils zu Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln und eine Auf­recht­erhal­tung des poli­ti­schen und sozia­len Drucks auf die Herrschenden.

Bis min­des­tens zum 16. Juli 2023 wird die Initia­ti­ve all­sonn­täg­lich im Pari­ser Park Jar­din des plan­tes zur Mit­tags­zeit Pick­nicks mit Inhal­ten zur Fort­bil­dung zum Ren­ten­the­ma, über his­to­ri­sche Inhal­te („1936 - 1945 - 1968, ver­pass­te Chan­cen?“) und zu poli­ti­schen The­men der Arbei­ter­be­we­gung („Die Rol­le der Gewerk­schaf­ten bei den Umbrü­chen in Tune­si­en und Ägyp­ten 2011“) abhalten.

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