Tarif­ab­schluss in der Metall- und Elektroindustrie

IG Metall-Spit­ze im Fahr­was­ser der IGBCE?

H. N.

Bereits in der 4. Ver­hand­lungs­run­de am 11./12. Novem­ber 2024 haben IG Metall (IGM) und Gesamt­me­tall in der Metall- und Elek­tro­in­dus­trie einen „Kom­pro­miss“ vor­ge­legt. Er wur­de mitt­ler­wei­le von allen Tarif­be­zir­ken trotz zahl­rei­cher kri­ti­scher Stim­men in der Gewerk­schaft übernommen.

IGM-Warnstreik in Ludwigsburg, 19. April 2013.  (Foto: Helmut Roos.)

IGM-Warn­streik in Lud­wigs­burg, 19. April 2013. (Foto: Hel­mut Roos.)

An den Warn­streiks der IGM hat­ten sich nach offi­zi­el­len Anga­ben bun­des­weit rund 620.000 Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen betei­ligt. Sie setz­ten sich für die ursprüng­li­chen Kern­for­de­run­gen ihrer Gewerk­schaft ein: 7 % mehr Ent­gelt bei einer Lauf­zeit des Tarif­ver­trags von 12 Mona­ten und 170 Euro mehr monat­lich für Aus- zubildende.

Wie sehen die jetzt getrof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen im Detail aus?
• Eine Ein­mal­zah­lung von 600 € bis Febru­ar 2025
• 2 Pro­zent mehr Ent­gelt ab dem 1. April 2025
• Wei­te­re 3,1 Pro­zent ab dem 1. April 2026
• 140 € monat­lich mehr für Aus­zu­bil­den­de ab Janu­ar 2025 und 3,1 Pro­zent ab 1. April 2026
• Erhö­hung des jähr­li­chen „Tarif­li­chen Zusatz­gel­des“ (T-ZUG B) von der­zeit rund 630 € auf 900 € ab Febru­ar 2026 als so zia­le Komponente
• Lauf­zeit 25 Mona­te bis Ende Okto­ber 2026.

Sehr schwa­cher Kompromiss
Her­aus­ge­kom­men ist ein sehr schwa­cher Kom­pro­miss. Posi­tiv sind sicher­lich die Erhö­hun­gen der Ver­gü­tun­gen der Aus­zu­bil­den­den. Aber das stark nach­las­sen­de In- ter­es­se jun­ger Men­schen an einer Aus­bil­dung in der Indus­trie hat auch die Kapi­tal­sei­te unter Hand­lungs­druck gesetzt. Si- cher­lich sind zudem die Ver­bes­se­run­gen beim „Tarif­li­chen Zusatz­geld“ ein klei­nes Bonbon.

Nega­tiv sind jedoch die tarif­li­chen Dif­fe­ren­zie­rungs­mög­lich­kei­ten für Betrie­be mit „wirt­schaft­li­chen Schwie­rig­kei­ten“. Sie sind ein zusätz­li­cher Schritt in Rich­tung wei­te­rer Fle­xi­bi­li­sie­rung und Ver­be­trieb­li­chung der Tarif­po­li­tik. Fir­men kön­nen so die Aus­zah­lung von jähr­li­chen Son­der­zah­lun­gen wie tarif­li­chem Zusatz­geld oder Weih­nachts­geld ver­schie­ben oder kürzen.

Ein noch viel grö­ße­rer Schwach­punkt sind die gerin­gen tabel­len­wirk­sa­men Ent­gelt­er­hö­hun­gen. Sie betra­gen unter Berück­sich­ti­gung der Leer­mo­na­te knapp unter 2 %. Mit ande­ren Wor­ten: Es ist erneut kei­ne Real­lohn­stei­ge­rung gelun­gen und das bei einer selbst offi­zi­ell wie­der anzie­hen­den Inflation.
Gewerk­schafts­po­li­tisch aber noch nega­ti­ver ist die lan­ge Lauf­zeit des Tarif­ver­trags, die nur 2 Mona­te unter den von der Kapi­tal­sei­te ins Spiel gebrach­ten 27 Mona­ten liegt. Damit hat die IGM-Spit­ze die Hand­lungs­mög­lich­kei­ten der eige­nen Orga­ni­sa­ti­on noch mehr ein­ge­schränkt. Akti­ve Ta- rif­run­den mit mas­sen­haf­ten Warn­streiks − bes­ser noch mit gewerk­schaft­li­chen Erzwin­gungs­streiks − sind ele­men­tar für Erhalt und Stär­kung der Mobi­li­sie­rungs- kraft der Mit­glied­schaft und des ehren- wie des haupt­amt­li­chen Funk­tio­närs­kör­pers. Die­se Bin­sen­weis­heit gilt umso mehr in Zei­ten des ver­schärf­ten Klas­sen­kampfs von oben.

Wider­stand oder Anpassung?
Schließ­lich hat die IGM-Füh­rung mit dem − abseh­ba­ren − schnel­len Ende der Tarif- run­de eine gro­ße Chan­ce ver­ge­ben. Sie hät­te näm­lich den Pro­test und die Gegen­wehr gegen die zahl­rei­chen Angrif­fe von Kon­zern­füh­run­gen auf Beschäf­ti­gung, Stand­or­te und Tarif­ver­trä­ge wie bei Als­tom, Bosch, Ford, Schäff­ler, VW und ZF bün­deln kön­nen. Sie hät­te damit den drin­gend erfor­der­li­chen gewerk­schaft­li­chen Zusam­men­halt in Rich­tung Wider­stand stär­ken können.

Der schwa­che Abschluss ist zum einen durch das von „sozi­al­part­ner­schaft­li­chem“ Ver­ständ­nis für Kon­zern- und Stand­ort­in­ter­es­sen gelei­te­te Ein­kni­cken der Gewerk­schafts­spit­ze zu erklä­ren. Das medi­al mas- siv ver­stärk­te Geschrei über den dro­hen­den Unter­gang der deut­schen Fahr­zeug­indus­trie ist offen­bar auch im geschäfts­füh­ren­den IGM-Vor­stand auf kei­ne ver­schlos­sen- en Ohren gesto­ßen. Bezeich­nen­der­wei­se bekann­te sich die neue Vor­sit­zen­de der IG Metall, Chris­tia­ne Ben­ner, erst jüngst in einem Inter­view mit der FR offen zu der Not­wen­dig­keit des „Co-Manage­ments“.

Die erfor­der­li­che gewerk­schaft­li­che Gegen­of­fen­si­ve war daher auch kaum wahr­zu­neh­men. Sie hät­te die Rekord­ge­win­ne der gro­ßen deut­schen Auto­kon­zer­ne im letz­ten Jahr in den Mit­tel­punkt ihrer Argu­men­ta­ti­on stel­len müs­sen. Und sie hät­te die stra­te­gi­sche Ori­en­tie­rung auf wei­te­res (Profit-)Wachstum mas­siv kri­ti­sie­ren müs­sen, die die wirt­schaft­li­chen, gesell­schaft­li­chen, poli­ti­schen und öko­lo­gi­schen Kri­sen wei­ter ver­schär­fen wird.

Zum ande­ren muss die Fra­ge gestellt wer­den, ob die Hand­lungs­fä­hig­keit und der Hand­lungs­wil­le der IG Metall in allen Bezir­ken, Geschäfts­stel­len und den strei­k­re­le­van­ten „A-Betrie­ben“ noch aus­rei­chend gege­ben ist. Das offen­kun­di­ge Feh­len sowohl einer kon­kre­ten Ursa­chen­ana­ly­se als auch einer prak­tisch wirk­sa­men, kämp­fe­ri­schen und kon­se­quen­ten Stra­te­gie der gewerk­schaft­li­chen Gegen­macht droht die IG Metall zu einer IGBCE 2.0 zu deformieren.

Dage­gen ist Wider­stand ange­sagt. Er benö­tigt drin­gend die Ver­net­zung aller in der IG Metall betrieb­lich und gewerk­schaft­lich Aktiven.

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