IG Metall-Spitze im Fahrwasser der IGBCE?
H. N.
Bereits in der 4. Verhandlungsrunde am 11./12. November 2024 haben IG Metall (IGM) und Gesamtmetall in der Metall- und Elektroindustrie einen „Kompromiss“ vorgelegt. Er wurde mittlerweile von allen Tarifbezirken trotz zahlreicher kritischer Stimmen in der Gewerkschaft übernommen.
An den Warnstreiks der IGM hatten sich nach offiziellen Angaben bundesweit rund 620.000 Kolleginnen und Kollegen beteiligt. Sie setzten sich für die ursprünglichen Kernforderungen ihrer Gewerkschaft ein: 7 % mehr Entgelt bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von 12 Monaten und 170 Euro mehr monatlich für Aus- zubildende.
Wie sehen die jetzt getroffenen Vereinbarungen im Detail aus?
• Eine Einmalzahlung von 600 € bis Februar 2025
• 2 Prozent mehr Entgelt ab dem 1. April 2025
• Weitere 3,1 Prozent ab dem 1. April 2026
• 140 € monatlich mehr für Auszubildende ab Januar 2025 und 3,1 Prozent ab 1. April 2026
• Erhöhung des jährlichen „Tariflichen Zusatzgeldes“ (T-ZUG B) von derzeit rund 630 € auf 900 € ab Februar 2026 als so ziale Komponente
• Laufzeit 25 Monate bis Ende Oktober 2026.
Sehr schwacher Kompromiss
Herausgekommen ist ein sehr schwacher Kompromiss. Positiv sind sicherlich die Erhöhungen der Vergütungen der Auszubildenden. Aber das stark nachlassende In- teresse junger Menschen an einer Ausbildung in der Industrie hat auch die Kapitalseite unter Handlungsdruck gesetzt. Si- cherlich sind zudem die Verbesserungen beim „Tariflichen Zusatzgeld“ ein kleines Bonbon.
Negativ sind jedoch die tariflichen Differenzierungsmöglichkeiten für Betriebe mit „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“. Sie sind ein zusätzlicher Schritt in Richtung weiterer Flexibilisierung und Verbetrieblichung der Tarifpolitik. Firmen können so die Auszahlung von jährlichen Sonderzahlungen wie tariflichem Zusatzgeld oder Weihnachtsgeld verschieben oder kürzen.
Ein noch viel größerer Schwachpunkt sind die geringen tabellenwirksamen Entgelterhöhungen. Sie betragen unter Berücksichtigung der Leermonate knapp unter 2 %. Mit anderen Worten: Es ist erneut keine Reallohnsteigerung gelungen und das bei einer selbst offiziell wieder anziehenden Inflation.
Gewerkschaftspolitisch aber noch negativer ist die lange Laufzeit des Tarifvertrags, die nur 2 Monate unter den von der Kapitalseite ins Spiel gebrachten 27 Monaten liegt. Damit hat die IGM-Spitze die Handlungsmöglichkeiten der eigenen Organisation noch mehr eingeschränkt. Aktive Ta- rifrunden mit massenhaften Warnstreiks − besser noch mit gewerkschaftlichen Erzwingungsstreiks − sind elementar für Erhalt und Stärkung der Mobilisierungs- kraft der Mitgliedschaft und des ehren- wie des hauptamtlichen Funktionärskörpers. Diese Binsenweisheit gilt umso mehr in Zeiten des verschärften Klassenkampfs von oben.
Widerstand oder Anpassung?
Schließlich hat die IGM-Führung mit dem − absehbaren − schnellen Ende der Tarif- runde eine große Chance vergeben. Sie hätte nämlich den Protest und die Gegenwehr gegen die zahlreichen Angriffe von Konzernführungen auf Beschäftigung, Standorte und Tarifverträge wie bei Alstom, Bosch, Ford, Schäffler, VW und ZF bündeln können. Sie hätte damit den dringend erforderlichen gewerkschaftlichen Zusammenhalt in Richtung Widerstand stärken können.
Der schwache Abschluss ist zum einen durch das von „sozialpartnerschaftlichem“ Verständnis für Konzern- und Standortinteressen geleitete Einknicken der Gewerkschaftsspitze zu erklären. Das medial mas- siv verstärkte Geschrei über den drohenden Untergang der deutschen Fahrzeugindustrie ist offenbar auch im geschäftsführenden IGM-Vorstand auf keine verschlossen- en Ohren gestoßen. Bezeichnenderweise bekannte sich die neue Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, erst jüngst in einem Interview mit der FR offen zu der Notwendigkeit des „Co-Managements“.
Die erforderliche gewerkschaftliche Gegenoffensive war daher auch kaum wahrzunehmen. Sie hätte die Rekordgewinne der großen deutschen Autokonzerne im letzten Jahr in den Mittelpunkt ihrer Argumentation stellen müssen. Und sie hätte die strategische Orientierung auf weiteres (Profit-)Wachstum massiv kritisieren müssen, die die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Krisen weiter verschärfen wird.
Zum anderen muss die Frage gestellt werden, ob die Handlungsfähigkeit und der Handlungswille der IG Metall in allen Bezirken, Geschäftsstellen und den streikrelevanten „A-Betrieben“ noch ausreichend gegeben ist. Das offenkundige Fehlen sowohl einer konkreten Ursachenanalyse als auch einer praktisch wirksamen, kämpferischen und konsequenten Strategie der gewerkschaftlichen Gegenmacht droht die IG Metall zu einer IGBCE 2.0 zu deformieren.
Dagegen ist Widerstand angesagt. Er benötigt dringend die Vernetzung aller in der IG Metall betrieblich und gewerkschaftlich Aktiven.