Tarif­ei­ni­gung Öffent­li­cher Dienst

Da wäre mehr mög­lich gewesen

Hel­mut Born

Am Abend des 22. April 2023 einig­ten sich die Tarif­par­tei­en im Öffent­li­chen Dienst des Bun­des und der Kom­mu­nen dar­auf, die Emp­feh­lung der bei­den Vor­sit­zen­den der Schlich­tungs­kom­mis­si­on vom 15. April 2023 anzunehmen.

Warnstreik von ver.di Mannheim, 15. März 2023. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Warn­streik von ver.di Mann­heim, 15. März 2023. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Die­se Emp­feh­lung sieht fol­gen­de Rege­lun­gen vor:
• Eine Son­der­zah­lung, der „Infla­ti­ons­aus­gleich“ der Bun­des­re gie­rung von 3.000 € steu­er- und sozi­al­ver­si­che­rungs­frei, wird ver­teilt auf einen Zeit­raum von 14 Mona­ten für alle Voll­zeit beschäf­tig­ten, für Teil­zeit­be­schäf­tig­te antei­lig; Aus­zah­lung von 1.240 € im Juni 2023, danach bis Febru­ar 2024 je 220 € monatlich.
• Für Aus­zu­bil­den­de, Stu­die­ren­de und Praktikant:innen gibt es jeweils die Hälf­te, also 620 € im Juni und ab Juli 2023 bis Fe bru­ar 2024 je 110 €.
• Ab März 2024 eine Erhö­hung aller Tarif­grup­pen um 200 € plus eine Erhö­hung um 5,5 %, wobei es eine Min­des­terhö hung von 340 € gibt; je nach Tarif­grup­pe bedeu­tet das eine Erhö­hung von 340 bis zu 680 €.

Mit die­sem Ergeb­nis haben die bei­den Tarif­par­tei­en die Emp­feh­lung der bei­den Schlich­tungs­kom­mis­si­on­vor­sit­zen­den über­nom­men. Vor allem die Gewerk­schafts­füh­rung woll­te weder eine Urab­stim­mung noch einen danach fol­gen­den Streik ris­kie­ren, zumal die Schlich­tungs-Emp­feh­lung in der Haupt­sa­che auf den von ihr benann­ten Ver­tre­ter in der Kom­mis­si­on zurück­zu­füh­ren war.

Kein Inter­es­se an Eskalation
Bund und Kom­mu­nen hat­ten offen­bar auch kein Inter­es­se wei­ter zu eska­lie­ren, da die bis­he­ri­gen Warn­streiks für deut­sche Ver­hält­nis­se enor­me Aus­ma­ße hatten.

Trotz­dem sind nach der Eini­gung die Beschwer­den, vor allem aus den Kom­mu­nen, kaum zu über­hö­ren. Es sei der teu­ers­te Abschluss in der Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik und wür­de 17 Mil­li­ar­den Euro kosten.

Hin­ge­gen zeig­te sich der Vor­sit­zen­de von ver.di, Frank Wer­ne­ke, zufrie­den mit der Eini­gung, auch wenn die 24 Mona­te lan­ge Lauf­zeit laut Tarif­for­de­rung hät­te ver­hin­dert wer­den müssen.

Wer­ne­ke beton­te in der am 23. April durch­ge­führ­ten gewerk­schaft­li­chen Online-Ver­an­stal­tung mit zahl­rei­chen Streikhelfer:innen, dass Ver­schlech­te­run­gen für die Beschäf­tig­ten in den Kran­ken- häu­sern und bei den Stadt-Spar­kas­sen hät­ten abge­wehrt wer­den kön­nen. Aller­dings konn­te eine Ver­län­ge­rung der Alters­teil­zeit-Rege­lung nicht erreicht werden.

Im Vor­feld der Ver­hand­lun­gen am 22. April hat­te es nicht nur viel Kri­tik an der Schlich­tungs-Emp­feh­lung gege­ben, son­dern es wur­de häu­fig auch deren Ableh­nung gefor­dert. Die­se Kri­tik kam von Gewerk­schafts­lin­ken wie von Ver­trau­ens­leu­ten aus ver­schie­de­nen Berei­chen. Sie monier­ten sowohl die lan­ge Lauf­zeit als auch die für 14 Mona­te aus­ge­setz­te tabel­len­wir­ken­de Erhö­hung der Einkommen.

Nein zu wei­te­rem Real­lohn­ver­lust
In der Tat ist in dem Ergeb­nis kaum die gewerk­schaft­li­che For­de­rung wie­der­zu­er­ken­nen. Die­se hat 10,5 % min­des­tens aber 500 € mehr bei einer 12-mona­ti­gen Lauf­zeit betragen.

Es gibt Unter­schie­de zu dem Abschluss bei der Post: Der steu­er- und sozi­al­ver­si­che­rungs­freie Betrag von 3.000 € wird in 14 statt in 15 Mona­ten aus­ge­zahlt und die Erhö­hung im 2. Jahr beträgt bis zu 680 € und kommt um einen Monat frü­her. Es ist Fakt, dass im Öffent­li­chen Dienst trotz der nicht aus­rei­chend finan­zier­ten Kom­mu­nen ein weni­ger schlech­tes Ergeb­nis erzielt wur­de als bei der hoch­pro­fi­ta­blen Deut­schen Post AG.

Das Ergeb­nis der Tarif­run­de im Öffent­li­chen Dienst ist den­noch nicht zufrie­den­stel­lend, denn es bedeu­tet einen deut­li­chen Real­lohn­ver­lust. Nach Mei­nung des Tarif­ex­per­ten Rai­ner Bis­pink kön­nen zwar die erwar­te­ten Preis­stei­ge­run­gen in die­sem und im nächs­ten Jahr aus­ge­gli­chen wer­den, aber nicht die Lohn­ver­lus­te vom letz­ten Jahr. Laut Mar­cel Fratz­scher, Prä­si­dent des größ­ten deut­schen Wirt­schafts­for­schungs­in­sti­tuts, wer­den „die Löh­ne im öffent­li­chen Dienst am Ende der Lauf­zeit zir­ka sechs Pro­zent weni­ger Kauf­kraft haben“.

Für das Mit­glie­der­vo­tum zum Tarif­er­geb­nis soll­ten des­halb die Kolleg:innen, die bis Mit­te Mai ihr Votum dazu abge­ben kön­nen, mit Nein stimmen.

Gewerk­schaf­ten die bereit und in der Lage sind, sich kon­se­quent mit Regie­rung und Kapi­tal anzu­le­gen, könn­ten durch­aus Ergeb­nis­se erzie­len, die wenigs­tens die Ein­kom­men der Beschäf­tig­ten sichern. Dafür lohnt sich unser aller Einsatz.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Mai 2023
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