Aber kein Ende der „Sozialpartnerschaft“
H. N.
Im September 2024 rief VW-Boss Blume die Krise des zweitgrößten Autobauers der Welt aus und verkündete ein brutales Kahlschlagprogramm. Seitdem hängt bei der Volkswagen AG, einer ganz besonderen Hochburg der deutschen „Sozialpartnerschaft“, der Haussegen schief.
Rund vier Mrd. Euro wollte der Vorstand vor allem bei der Belegschaft „einsparen“. Wenige Monate nachdem VW eine Rekord-Dividende an die Aktionär:innen ausgeschüttet hatte, kündigte die Firma das bis 2029 geltende Abkommen zur Beschäftigungssicherung.
Fakt ist: VW steht weiterhin an der Spitze des deutschen Aktienindex DAX bei der Dividendenrendite. 2021 bis 2023 waren „die gewinnstärksten Jahre aller Zeiten“. Auch 2024 sprudeln die Profite, so dass VW über 80 Mrd. Euro Gewinn für die Jahre 2021 bis 2024 verbuchen wird.
Daniela Cavallo, Vorsitzende des VW-Konzernbetriebsrats, berichtete am 28.10.24 auf einer Belegschaftsversammlung über die „Giftliste“ des Managements. Dieses wolle zehntausende Arbeitsplätze abbauen und mindestens drei der neun deutschen Fabriken schließen. Außerdem fordere es Lohnkürzungen von bis zu 18 %.
Die Abbaupläne des Konzerns stießen zwar auf heftigen verbalen Protest der für VW zuständigen Gewerkschaft IG Metall (IGM). Aber gleichzeitig appellierte IGM-Bezirksleiter Gröger an die VW-Führung, gemeinsam mit der Belegschaft die „Herausforderungen“ zu bewältigten.
IGM und Konzernbetriebsrat legten ei- nen eigenen „Zukunftsplan“ vor, mit dem sie die angedrohten Einschnitte möglichst vermeiden wollten. Demzufolge sollte die geforderte Lohnerhöhung „befristet als Arbeitszeit in einen solidarischen Zukunfts-Fonds eingebracht werden“.
Die IGM wollte „Personalabbau weiterhin sozialverträglich“ gestalten und zusätzliches Geld durch Verzicht auf „Boni – von Vorstand über Management bis in den Tarif – für Zukunftssicherung“ aufbringen.
Zudem sollten durch eine „kluge Produktverteilung“ die Stammbelegschaften in allen deutschen Standorten abgesichert und Werkschließungen vermieden werden. Die IGM bezifferte das Kürzungspotenzial ihrer Vorschläge bei den „Arbeitskosten“ auf 1,5 Mrd. Euro. Im Gegenzug forderte sie vor allem eine neue Beschäftigungssicherung bei VW.
Anpassung oder Widerstand?
Dieses frühe Einlenken auf die Kahlschlagpläne von VW passt in die strategische Orientierung der IGM-Führung. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr von ihrem Selbstverständnis als kämpferische Gegenmacht im Kapitalismus zu einem aktiven Co-Manager der neoliberalen Transformation der Arbeitswelt in der BRD gewandelt.
Obwohl allein in der Auto- und der Zulieferindustrie rund 300.000 Arbeitsplätze bedroht sind, entschied sich der IGM-Vorstand, in der Tarifrunde 2024 für die gesamte deutsche Metall- und Elektroindustrie (M + E) keine Forderung nach Arbeitszeitverkürzung zu stellen. Stattdessen forderte er vor allem mehr Lohn, akzeptierte aber einen schnellen Abschluss mit einer Erhöhung der Tarifentgelte um nur etwa 2 %. Faktisch unterhöhlte die IGM-Führung damit auch die bundesweite Solidarität mit den Beschäftigten bei VW.
Am 1.12.24 endete dort nämlich die gesetzlich vorgeschriebene Friedenspflicht im Konflikt um einen neuen Haustarifvertrag für rund 120.000 Beschäftigte in der AG. Die IGM konnte erst danach bei VW zu Warnstreiks für ihre mit M + E identische Forderung von 7 % aufrufen. Am 2.12. und am 9.12. zählte die IGM jeweils rund 100.000 Streikende.
Während der am 16.12. begonnenen fünften Verhandlungsrunde bei VW organisierte der IGM-Apparat jedoch keine neuen Warnstreiks – und sendete damit ein weiteres Signal seiner Bereitschaft für Zugeständnisse.
Am 20.12.24 kam eine Einigung zustande. Mitbestimmen! (die Zeitung des VW-Betriebsrats) titelte: „Beschäftigungssicherung bis Ende 2030 – Keine Werksschließungen – Monatsentgelte bleiben – weniger Boni“. Bei genauerem Hinschauen auf den sehr komplexen Haustarifvertrag ist aber sehr viel Essig im Wein zu erkennen.
Zwar verzichtet VW auf Werksschließungen, allerdings ist die Zukunft der kleineren Fabriken in Osnabrück und Dresden derzeit nur bis Mitte 2027 bzw. Ende 2025 gesichert. Die Verlängerung der „Beschäftigungssicherung“ bis Ende 2030 müssen die Belegschaften mit dem „sozialverträglichen“ Abbau von 35.000 Arbeitsplätzen bezahlen – ohne betriebsbedingte Kündigungen. Zudem wurden spürbare Lohneinbußen sowie eine Arbeitszeitverlänger- ung von ein bis zwei Stunden pro Woche vereinbart.
In Summe rechnet VW jetzt mit mittelfristigen „Kostensenkungen“ von 15 Mrd. Euro pro Jahr. Die Senkung der Löhne und der Kapazitätsabbau sollen dabei etwa 4 Mrd. pro Jahr ausmachen. Die Kapitalseite wird das sehr freuen, zumal sie ein zentrales Vorhaben durchgesetzt hat.
Angesichts dieser erneuten Anpassung der IGM-Spitze an Profitinteressen, sind die gewerkschaftlich Aktiven noch mehr gefordert, eine kämpferische, gesellschafts-, klima- und verkehrspolitisch begründete Alternative zur toxischen Illusion der „Sozialpartnerschaft“ aufzuzeigen. Arbeitszeit- verkürzungen, Urabstimmungen und Erzwingungsstreiks dürfen kein Tabu mehr sein. Angesagt ist gemeinsamer solidarischer Widerstand gegen den Klassenkampf von oben und die faschistische Gefahr. Nur so kann gewerkschaftliche Gegenmacht wieder stärker werden.