Volks­wa­gen AG: Krat­zer im Lack

Aber kein Ende der „Sozi­al­part­ner­schaft“

 

H. N.

Im Sep­tem­ber 2024 rief VW-Boss Blu­me die Kri­se des zweit­größ­ten Auto­bau­ers der Welt aus und ver­kün­de­te ein bru­ta­les Kahl­schlag­pro­gramm. Seit­dem hängt bei der Volks­wa­gen AG, einer ganz beson­de­ren Hoch­burg der deut­schen „Sozi­al­part­ner­schaft“, der Haus­segen schief.

IGM-Kundgebung in Ludwigsburg, 19. April 2013. (Foto: Helmut Roos.)

IGM-Kund­ge­bung in Lud­wigs­burg, 19. April 2013. (Foto: Hel­mut Roos.)

Rund vier Mrd. Euro woll­te der Vor­stand vor allem bei der Beleg­schaft „ein­spa­ren“. Weni­ge Mona­te nach­dem VW eine Rekord-Divi­den­de an die Aktionär:innen aus­ge­schüt­tet hat­te, kün­dig­te die Fir­ma das bis 2029 gel­ten­de Abkom­men zur Beschäftigungssicherung.

Fakt ist: VW steht wei­ter­hin an der Spit­ze des deut­schen Akti­en­in­dex DAX bei der Divi­den­den­ren­di­te. 2021 bis 2023 waren „die gewinn­stärks­ten Jah­re aller Zei­ten“. Auch 2024 spru­deln die Pro­fi­te, so dass VW über 80 Mrd. Euro Gewinn für die Jah­re 2021 bis 2024 ver­bu­chen wird.

Danie­la Cavallo, Vor­sit­zen­de des VW-Kon­zern­be­triebs­rats, berich­te­te am 28.10.24 auf einer Beleg­schafts­ver­samm­lung über die „Gift­lis­te“ des Manage­ments. Die­ses wol­le zehn­tau­sen­de Arbeits­plät­ze abbau­en und min­des­tens drei der neun deut­schen Fabri­ken schlie­ßen. Außer­dem for­de­re es Lohn­kür­zun­gen von bis zu 18 %.

Die Abbau­plä­ne des Kon­zerns stie­ßen zwar auf hef­ti­gen ver­ba­len Pro­test der für VW zustän­di­gen Gewerk­schaft IG Metall (IGM). Aber gleich­zei­tig appel­lier­te IGM-Bezirks­lei­ter Grö­ger an die VW-Füh­rung, gemein­sam mit der Beleg­schaft die „Her­aus­for­de­run­gen“ zu bewältigten.

IGM und Kon­zern­be­triebs­rat leg­ten ei- nen eige­nen „Zukunfts­plan“ vor, mit dem sie die ange­droh­ten Ein­schnit­te mög­lichst ver­mei­den woll­ten. Dem­zu­fol­ge soll­te die gefor­der­te Lohn­er­hö­hung „befris­tet als Arbeits­zeit in einen soli­da­ri­schen Zukunfts-Fonds ein­ge­bracht werden“.

Die IGM woll­te „Per­so­nal­ab­bau wei­ter­hin sozi­al­ver­träg­lich“ gestal­ten und zusätz­li­ches Geld durch Ver­zicht auf „Boni – von Vor­stand über Manage­ment bis in den Tarif – für Zukunfts­si­che­rung“ aufbringen.

Zudem soll­ten durch eine „klu­ge Pro­dukt­ver­tei­lung“ die Stamm­be­leg­schaf­ten in allen deut­schen Stand­or­ten abge­si­chert und Werk­schlie­ßun­gen ver­mie­den wer­den. Die IGM bezif­fer­te das Kür­zungs­po­ten­zi­al ihrer Vor­schlä­ge bei den „Arbeits­kos­ten“ auf 1,5 Mrd. Euro. Im Gegen­zug for­der­te sie vor allem eine neue Beschäf­ti­gungs­si­che­rung bei VW.

Anpas­sung oder Widerstand?
Die­ses frü­he Ein­len­ken auf die Kahl­schlag­plä­ne von VW passt in die stra­te­gi­sche Ori­en­tie­rung der IGM-Füh­rung. Sie hat sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten immer mehr von ihrem Selbst­ver­ständ­nis als kämp­fe­ri­sche Gegen­macht im Kapi­ta­lis­mus zu einem akti­ven Co-Mana­ger der neo­li­be­ra­len Trans­for­ma­ti­on der Arbeits­welt in der BRD gewandelt.

Obwohl allein in der Auto- und der Zulie­fer­indus­trie rund 300.000 Arbeits­plät­ze bedroht sind, ent­schied sich der IGM-Vor­stand, in der Tarif­run­de 2024 für die gesam­te deut­sche Metall- und Elek­tro­in­dus­trie (M + E) kei­ne For­de­rung nach Arbeits­zeit­ver­kür­zung zu stel­len. Statt­des­sen for­der­te er vor allem mehr Lohn, akzep­tier­te aber einen schnel­len Abschluss mit einer Erhö­hung der Tari­fent­gel­te um nur etwa 2 %. Fak­tisch unter­höhl­te die IGM-Füh­rung damit auch die bun­des­wei­te Soli­da­ri­tät mit den Beschäf­tig­ten bei VW.

Am 1.12.24 ende­te dort näm­lich die gesetz­lich vor­ge­schrie­be­ne Frie­dens­pflicht im Kon­flikt um einen neu­en Haus­ta­rif­ver­trag für rund 120.000 Beschäf­tig­te in der AG. Die IGM konn­te erst danach bei VW zu Warn­streiks für ihre mit M + E iden­ti­sche For­de­rung von 7 % auf­ru­fen. Am 2.12. und am 9.12. zähl­te die IGM jeweils rund 100.000 Streikende.

Wäh­rend der am 16.12. begon­ne­nen fünf­ten Ver­hand­lungs­run­de bei VW orga­ni­sier­te der IGM-Appa­rat jedoch kei­ne neu­en Warn­streiks – und sen­de­te damit ein wei­te­res Signal sei­ner Bereit­schaft für Zugeständnisse.

Am 20.12.24 kam eine Eini­gung zustan­de. Mit­be­stim­men! (die Zei­tung des VW-Betriebs­rats) titel­te: „Beschäf­ti­gungs­si­che­rung bis Ende 2030 – Kei­ne Werks­schlie­ßun­gen – Monats­ent­gel­te blei­ben – weni­ger Boni“. Bei genaue­rem Hin­schau­en auf den sehr kom­ple­xen Haus­ta­rif­ver­trag ist aber sehr viel Essig im Wein zu erkennen.

Zwar ver­zich­tet VW auf Werks­schlie­ßun­gen, aller­dings ist die Zukunft der klei­ne­ren Fabri­ken in Osna­brück und Dres­den der­zeit nur bis Mit­te 2027 bzw. Ende 2025 gesi­chert. Die Ver­län­ge­rung der „Beschäf­ti­gungs­si­che­rung“ bis Ende 2030 müs­sen die Beleg­schaf­ten mit dem „sozi­al­ver­träg­li­chen“ Abbau von 35.000 Arbeits­plät­zen bezah­len – ohne betriebs­be­ding­te Kün­di­gun­gen. Zudem wur­den spür­ba­re Lohn­ein­bu­ßen sowie eine Arbeits­zeit­ver­län­ger- ung von ein bis zwei Stun­den pro Woche vereinbart.

In Sum­me rech­net VW jetzt mit mit­tel­fris­ti­gen „Kos­ten­sen­kun­gen“ von 15 Mrd. Euro pro Jahr. Die Sen­kung der Löh­ne und der Kapa­zi­täts­ab­bau sol­len dabei etwa 4 Mrd. pro Jahr aus­ma­chen. Die Kapi­tal­sei­te wird das sehr freu­en, zumal sie ein zen­tra­les Vor­ha­ben durch­ge­setzt hat.

Ange­sichts die­ser erneu­ten Anpas­sung der IGM-Spit­ze an Pro­fit­in­ter­es­sen, sind die gewerk­schaft­lich Akti­ven noch mehr gefor­dert, eine kämp­fe­ri­sche, gesell­schafts-, kli­ma- und ver­kehrs­po­li­tisch begrün­de­te Alter­na­ti­ve zur toxi­schen Illu­si­on der „Sozi­al­part­ner­schaft“ auf­zu­zei­gen. Arbeits­zeit- ver­kür­zun­gen, Urab­stim­mun­gen und Erzwin­gungs­streiks dür­fen kein Tabu mehr sein. Ange­sagt ist gemein­sa­mer soli­da­ri­scher Wider­stand gegen den Klas­sen­kampf von oben und die faschis­ti­sche Gefahr. Nur so kann gewerk­schaft­li­che Gegen­macht wie­der stär­ker werden.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Janu­ar 2025
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