Was tun gegen die zunehmende Aushöhlung des Rechts auf Asyl?
Der EU-Rat hat sich am 8. Juni 2023 auf einen Vorschlag zur weiteren Aushebelung des Asylrechts geeinigt. Er soll dem Europäischen Parlament zur Befassung und Abstimmung vorgelegt werden Über die Pläne der EU und Proteste dagegen sprach Avanti² mit der Seebrücke Mannheim.*
Was sind die zentralen Änderungen, die in dem Vorschlag angedacht sind?
Die neue „Reform zum Gesamteuropäischen Asylsystem“*(GEAS) bedeutet im Kern, dass die Aufnahmeverfahren in Lagern an den EU-Außengrenzen stattfinden sollen. Wir müssen damit rechnen, dass Schutzsuchende unter Haftbedingungen massenhaft abgefertigt werden.
Dabei wird die inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe in den Hintergrund rücken. In erster Linie beschränkt sich das Verfahren auf die Frage, ob ein Asylantrag als unzulässig abgewiesen werden kann oder nicht. Das ist immer dann der Fall, wenn die schutzsuchende Person über einen angeblich „sicheren Drittstaat“ in die EU geflohen ist. So kann eine geflüchtete Person aus Syrien in die Türkei zurückgeschoben werden, wenn sie sich dort während ihrer Flucht kurz aufgehalten hat. Parallel dazu sollen die Kriterien, wann ein Staat als sicher gilt, weiter heruntergeschraubt werden.
Was bedeutet das ganz konkret für Menschen auf der Flucht?
Menschen werden gezwungen, immer gefährlichere Routen zu nehmen, um die neuen vermeintlich „sicheren Drittstaaten“ zu umgehen. Das kann und wird sie zum Beispiel über den Atlantik führen. Trotz der mutigen Arbeit von zivilen Organisationen zur Seenotrettung sind im Mittelmeer seit 2014 bis heute mindestens 26.832 Geflüchtete ertrunken. Die Dunkelziffer ist extrem hoch. Doch die Route über den Atlantik ist noch gefährlicher.
Für Menschen, deren Asylantrag bewilligt wird, wurde eine gerechte und solidarische Verteilung auf alle EU-Länder versprochen, aber nach den neuen Regelungen können sich Staaten „freikaufen“, anstatt Menschen aufzunehmen.
Weshalb wollen die EU-Staaten mit den weiteren Restriktionen das eigens eingeführte Asylrecht weiter abschaffen?
Die Verantwortlichen schaffen es nicht, ein solidarisches Aufnahmesystem aufzubauen, und beugen sich dem Druck der Rechtspopulist:innen und Faschist:innen. Es braucht jetzt eine solidarische Gegenbewegung, die deutlich macht, dass wir die Untergrabung des Rechts auf Asyl nicht mittragen!
Da bewegt sich ja bereits etwas. Wer sind die Akteure der aktuellen Proteste, und was braucht es Eurer Ansicht nach, um unsere ungebrochene Solidarität mit flüchtenden und geflüchteten Menschen zu zeigen?
Ein Bestandteil des Widerstands sind verschiedene Nichtregierungsorganisationen und Menschen, die sich der Verantwortung des globalen Nordens für die Fluchtursachen bewusst sind. Sie setzen sich dafür ein, dass Menschenrechte für ALLE gelten.
Des Weiteren leisten zum Beispiel Seenotrettungsorganisationen und andere Gruppen Engagierter Unterstützung für Menschen, die aus Seenot gerettet werden, und für ankommende Menschen, die an den EU-Außen- wie Innengrenzen Schutz suchen.
Einzelne Gruppen machen illegale „Push-Backs“ transparent, also gewaltsames Zurückdrängen an den EU-Grenzen. Sie versuchen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Durch unabhängige Untersuchungen und Öffentlichkeitsarbeit treten sie für die Wahrung der Menschenrechte insbesondere an den EU-Außengrenzen ein.
So gibt es innerhalb der EU viele Akteur:innen und Bündnisse, die sich für eine sichere Aufnahme und Teilhabe der Menschen in ihren Städten einsetzten. Wir sehen, es gibt sie, die solidarische Zivilbevölkerung. Es ist jetzt notwendig, dass wir uns noch besser vernetzen, organisieren und gemeinsam Druck aufbauen. Zudem müssen wir auch unsere gewählten Vertretungen in die Verantwortung ziehen. Schreibt Euren EU-Abgeordneten!
Das Untergraben des Rechts auf Asyl, das Brechen der Wahl- und Koalitionsversprechen, aber besonders die riesige Diskrepanz zwischen Menschenrecht, bisherigem Recht und neuer „Asylreform“ dürfen nicht hingenommen werden. Deswegen müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um die „Reform“ noch aufzuhalten.
Und falls die „Reform“ vom EU-Parlament gebilligt werden sollte, muss geklagt werden, denn sie verstößt gegen die von der EU ratifizierte Genfer Flüchtlingskonvention.
Wir brauchen eine Politik, die sich nicht den Rechten beugt. Sondern eine Politik, die die Menschen und nicht das Kapital in den Mittelpunkt stellt!
* [Die Fragen für Avanti² stellte N. B. am 22. Juni 2023.]