WIRKLICH, WIR LEBEN IN FINSTEREN ZEITEN“ – NIE WIEDER ’33!

Ein Gespräch mit Bernd Köhler

Bernd Köhler, Bettina Franke, Joachim Romeis. (Fotos: Sven Ehlers/Axel Stamm.)

Bernd Köh­ler, Bet­ti­na Fran­ke, Joa­chim Rom­eis. (Fotos: Sven Ehlers/Axel Stamm.)

Avan­ti² sprach mit dem Mann­hei­mer Musi­ker Bernd Köh­ler (Gitar­re, Gesang) über das aktu­el­le „musi­ka­lisch-lite­ra­ri­sches Pro­gramm zwi­schen ges­tern und heu­te“, das er zusam­men mit der Schau­spie­le­rin Bet­ti­na Fran­ke (Tex­te, Gedich­te, Gesang) und dem Gei­ger Joa­chim Rom­eis rea­li­siert hat. In der Ankün­di­gung die­ses Pro­jekts wird Bezug genom­men auf das bedeu­ten­de anti­fa­schis­ti­sche Gedicht „An die Nach­ge­bo­re­nen“. Ber­tolt Brecht hat­te es in den 1930er Jah­ren im Exil verfasst.*

Aus Anlass des 90. Jah­res­tags der Macht­über­tra­gung an den deut­schen Faschis­mus 1933 habt ihr erst­mals eine Aus­wahl von Lie­dern und Tex­ten der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert. Was hat Euch dazu bewegt?
Aus­lö­ser war eine Anfra­ge der Main­zer Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Nazi­re­gimes, die sich von der musi­ka­li­schen Sei­te her zeit­ge­mäß mit den dama­li­gen Ereig­nis­sen aus­ein­an­der­set­zen woll­te. Durch unser Brecht-Pro­gramm war ich mit Bet­ti­na Fran­ke ja schon kon­kret in die­sem The­ma drin. Wir hat­ten eine stim­mi­ge Form ent­wi­ckelt, Text, Inhal­te und Musik zusam­men­zu­brin­gen. So kam es zu die­ser zwei­ten kon­zep­tio­nel­len Zusam­men­ar­beit in Form eines Abendprogramms.
Aber wich­tig für uns war erst­mal der Anstoß, die­se kon­kre­te Anfra­ge von außen und auch der anschlie­ßen­de rege Aus­tausch über Inhal­te und Ziel­set­zun­gen. Dafür noch­mal ein herz­li­ches Mer­ci nach Mainz.

Wie­der­holt sich der­zeit aus Eurer Sicht erneut die Geschich­te des auf­halt­ba­ren Auf­stiegs des Faschis­mus inklu­si­ve des Ver­sa­gens der Arbei­ter­be­we­gung und des bür­ger­li­chen Parlamentarismus?
Wir erle­ben eine Zeit in der sich der gesam­te poli­ti­sche Dis­kurs nach rechts bewegt. Das spie­gelt sich in den Leser­brief­spal­ten der Zei­tun­gen, bestimmt Talk-Shows und Debatten.

Nicht die kon­se­quen­te Ver­tei­di­gung demo­kra­ti­scher Errun­gen­schaf­ten, son­dern das Zurück­wei­chen bis hin zum Ein­schwen­ken auf frü­her undenk­ba­re Posi­tio­nen, zum Bei­spiel in der Migra­ti­ons­po­li­tik, prägt plötz­lich das Han­deln der soge­nann­ten poli­ti­schen Mit­te. Da muss man sich nicht wun­dern, wenn die Leu­te irgend­wann nicht mehr die halb­her­zi­gen Zurück­weich­ler, son­dern das Ori­gi­nal wäh­len. Das erin­nert fatal an das, was wir über die 30er Jah­re gehört oder gele­sen haben. Auch die Art und Wei­se wie sich die bür­ger­li­che Poli­tik ange­sichts des Zustroms zur AfD beginnt, selbst zu zerlegen.

Da freut man sich schon sehr über eine ein­fa­che, kla­re Ansa­ge, wie die des Frei­bur­ger Fuß­ball­trai­ners Chris­ti­an Streich: „Wer jetzt nicht auf­steht, hat nichts ver­stan­den. Es ist fünf vor zwölf. Jeder ist dazu auf­ge­ru­fen, sich im Fami­li­en­kreis, in der Arbeit oder sonst wo klar zu posi­tio­nie­ren.” Das ist eine Aus­sa­ge die so jetzt eigent­lich von den Gewerk­schaf­ten kom­men müsste.

Veranstaltungsplakat „WIRKLICH, WIR LEBEN 
IN FINSTEREN ZEITEN“

Ver­an­stal­tungs­pla­kat „WIRKLICH, WIR LEBEN
IN FINSTEREN ZEITEN

Wie fins­ter sind für Euch als nicht nur künst­le­risch, son­dern auch gesell­schafts­po­li­tisch enga­gier­te Men­schen, die heu­ti­gen Zeiten?
Na ja, es ist ja so, dass wir uns eigent­lich nicht mehr haben vor­stel­len wol­len, dass eine sol­che mas­sen­haf­te Hin­wen­dung zu völ­kisch ein­zu­ord­nen­den Vor­stel­lun­gen und Absich­ten noch­mal mög­lich sein könn­te. Klar ist das alles haus­ge­macht bezie­hungs­wei­se sys­te­misch bedingt. Kri­se und Ver­elen­dung, und sei es auch nur eine geis­ti­ge, füh­ren in das dop­pel­te Elend soge­nann­ter ein­fa­cher Lösun­gen. Und die Rech­te hat die Bedeu­tung der Kul­tur ent­deckt, ver­sucht über­all wo es ihnen in poli­ti­schen Gre­mi­en mög­lich ist, demo­kra­ti­sche Kul­tur und Viel­falt anzu­grei­fen oder aus­zu­schlie­ßen. Mit ein Grund für unse­re Kul­tur-Initia­ti­ve „Bun­te Viel­falt statt völ­ki­scher Ein­falt”, die wir vor eini­gen Jah­ren in Mann­heim gegrün­det haben.

Mit wel­chen Über­le­gun­gen habt Ihr Euer Pro­gramm zusam­men­ge­stellt? Und wel­che Inhal­te sind dabei für euch von beson­de­rer Bedeutung?
Wich­tig war uns auf­zu­zei­gen, wie nah sich die Ereig­nis­se von damals und heu­te sind. Der gan­ze völ­ki­sche Nähr­bo­den, der ja immer da war, nach dem Zwei­ten Welt­krieg nie kon­se­quent ange­gan­gen, nur ober­fläch­lich kaschiert wur­de und nun über die AfD ein Sprach­rohr gefun­den hat, das mit den glei­chen Codes arbei­tet wie die Nazis damals. Nur dass es dies­mal vor­ran­gig gegen Migrant:innen und aus­län­di­sche Men­schen geht.

Die Geheim­kon­fe­renz in Pots­dam hat auf­ge­zeigt, wie weit die Über­le­gun­gen in die­se Rich­tung mitt­ler­wei­le schon gedie­hen sind. Was das alles bedeu­tet, und wie es schon mal mil­lio­nen­fach in bru­ta­ler Unter­drü­ckung, Tod und Ver­trei­bung ende­te, stel­len wir in unse­rem Pro­gramm dar.

Mit Tex­ten, Gedich­ten oder Lie­dern von Ber­tolt Brecht und Hanns Eis­ler, Rose Aus­län­der, Klaus Mann, Sel­ma Meer­baum-Eisin­ger, der Wider­stands­kämp­fe­rin Annet­te Lan­gen­dorf, der in Mann­heim ein Platz gewid­met wer­den soll − um nur eini­ge zu nen­nen. Hin­zu kom­men aktu­el­le Songs, Musi­ken und Berich­te, die immer wie­der klar­ma­chen, dass das Pos­tu­lat „Nie wie­der” gera­de jetzt aktu­ell ist, wie es auch die Losung der momen­ta­nen Mas­sen­pro­tes­te gegen rechts abbildet.

Wie kann es bes­ser gelin­gen, Eure wich­ti­gen kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Anre­gun­gen ins­be­son­de­re jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen und in der Arbeits­welt täti­gen Men­schen zu vermitteln?
Wir hof­fen, nein bes­ser, haben die Erfah­rung gemacht, dass jün­ge­re Men­schen gera­de des­halb zu unse­ren Auf­füh­run­gen kom­men, weil wir die Umstän­de schon im Titel nicht schönreden.

Das Pro­gramm ver­mit­telt in künst­le­ri­scher Wei­se Inhal­te, also Wis­sen um die wirt­schaft­li­chen Hin­ter­grün­de, Netz­wer­ke und Zusam­men­hän­ge von damals und heu­te und zeigt auf, wie die Ent­wick­lung zum Faschis­mus hät­te ver­hin­dert wer­den kön­nen. Was soll­te heu­te wich­ti­ger sein als das?

Und was die Arbeits­welt betrifft, sehe ich gera­de die Gewerk­schaf­ten, nach ihrer bit­te­ren Erfah­rung mit dem Faschis­mus, in der Pflicht auf­zu­klä­ren und dage­gen­zu­hal­ten. Ger­ne mit Unter­stüt­zung aus dem kul­tu­rel­len Bereich.

* [Die Fra­gen stell­te W. A.]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Febru­ar 2024
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