U. D.
Laut Statistischem Bundesamt betrug die Inflationsrate für den September 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat 10 %. Das ist der höchste Stand seit 70 Jahren. Dennoch wird die gesamte Dramatik der Teuerung erst mit weiteren Zahlen des Bundesamtes deutlich.
So wurden alleine Nahrungsmittel um 18,7 % teurer, Strom um 21 %, leichtes Heizöl um 108,4 und Erdgas um 95,1 %. Damit liegt die tatsächliche Teuerung deutlich über 10 %.
Kein Ende der Preistreiberei in Sicht
Am 17. Oktober 2022 teilte das ifo-Institut mit, dass für das Jahr 2022 global eine durchschnittliche Inflation von 9,3 % erwartet werde. Dies sei das Ergebnis des neuen Economic Experts Survey (EES), einer vierteljährlichen Umfrage des ifo-Instituts und des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik mit 1.687 Teilnehmenden aus über 100 Ländern. Für das kommende Jahr 2023 werde mit 7,5 % gerechnet. Im Jahr 2026 seien es weltweit 5,0 % und in Westeuropa ca. 3 %.
Dies bedeutet: Auch in den kommenden Jahren werden die Preise schneller steigen als in den vergangenen Jahren. Lebensnotwendige Güter werden sich ausgehend vom aktuellen Niveau nochmals verteuern. Eine Preissenkung auf das Niveau von 2020 wird es nicht geben. Die „Netto-Entwertung“ von Löhnen und sozialen Transferzahlungen (Renten, ALG, „Bürgergeld“/Hartz IV, BAföG usw.) wird fortgesetzt.
Wer zahlt die Zeche?
Die herrschende Klasse hat diese Frage für sich längst beantwortet. Wie immer sollen ihre Profite gesichert werden und die arbeitenden Klassen mit steigenden Preisen, geringerer Kaufkraft, längeren Arbeitszeiten, schlechterer sozialer Absicherung usw. dafür bezahlen. Dieses Kampfprogramm wollen sie mit ihrer Kapitalmacht politisch und wirtschaftlich fort- und durchsetzen.
Die arbeitende Klasse hat nur die Wahl, die Verschlechterungen hinzunehmen oder sich gegen die Profitinteressen zur Wehr zu setzen. Noch hat sie dazu die Kraft. Aber sie muss dafür selbst aktiv werden und den Klassenkampf von oben mit solidarischen Aktionen von unten wie Kundgebungen, Demonstrationen und Streiks bis hin zum Generalstreik beantworten.
Nein zur „konzertierten Aktion“
Ein großes Hindernis für eine solche Gegenwehr ist die mehrheitlich sozialpartnerschaftliche Orientierung der Gewerkschaf- ten und ihrer Führungen. Anstatt sich mit den kämpferischen Bewegungen in England und Frankreich zu verbinden, um eine europäische Abwehrfront aufzubauen, versuchen sie die gegen- sätzlichen Interessen von Kapital und Arbeit „partnerschaftlich auszugleichen“.
Sie lassen sich auf nur kurzzeitig wirkende „Entlastungszahlungen“ ein und beteiligen sich bereitwillig an der von Kanzler Scholz neu aufgelegten „konzertierten Aktion“. Dabei hat diese nur ein Ziel: die Gewerkschaften in eine profit- und standortorientierte Krisenpolitik einzubinden und soziale Kämpfe zu vermeiden.
Ein erstes Ergebnis dieser Politik ist der Tarifabschluss 2022 der IGBCE in der chemischen Industrie. Dieser dämpft zwar für 18 Monate mit steuer- und beitragsbefreiten Einmalzahlungen den Kaufkraftverlust, setzt aber mit einer unzureichenden Anhebung der Tabellenentgelte den Reallohnabbau fort und schafft mitten in der Krise bis zur Jahresmitte 2024 tarifpolitische Ruhe (mehr zum IGBCE-Abschluss auf Seite 10).
Umso wichtiger ist es jetzt, dass kämpferische Kolleginnen und Kollegen alles dafür tun, einen ähnlichen Kniefall in den Tarifrunden in der Metall- und Elektroindustrie und im Öffentlichen Dienst zu verhindern.
„Heißer Herbst“ oder heiße Luft?
Unter dem Motto „Solidarisch durch die Krise. Echte Umverteilung jetzt!“ demonstrierten am 22. Oktober 2022 bundesweit rund 24.000 Menschen. Für einen heißen sozialpolitischen Herbst reicht das nicht aus. Vielmehr zeigt es schonungslos die politische und organisatorische Schwäche der Gewerkschaftsbewegung und der politischen Linken.
Aus dieser Situation führen „kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun“. Statt auf fremde Hilfe zu hoffen, ist es notwendig, selbst aktiv zu werden. Überall dort, wo man lebt, lernt und arbeitet, müssen jetzt Aktionsbündnisse gegen die Teuerung aufgebaut oder unterstützt werden.
Nur so kann aus der politischen Defensive heraus eine starke Bewegung gegen Teuerung und Preistreiberei aufgebaut werden. Nur so lässt sich verhindern, dass die autoritäre und faschistische Rechte die soziale Frage der Teuerung für sich und ihren weiteren Aufstieg nutzt.