Her­aus­for­dern­de Tarifrunde

Öffent­li­cher Dienst

Hel­mut Born

Die bei­den bis­he­ri­gen wich­ti­gen Tarif­run­den in der Che­mie- und der Metall- und Elek­tro­in­dus­trie haben mit unbe­frie­di­gen­den Abschlüs­sen geen­det. Die jewei­li­gen Pro­zent­ab­schlüs­se lie­gen weit unter­halb der Infla­ti­ons­ra­te und haben zu lan­ge Laufzeiten.

Warnstreikaktion in Mannheim, 5. Mai 2022. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Warn­streik­ak­ti­on in Mann­heim, 5. Mai 2022. (Foto: helmut-roos@web.de.)

Hin­zu kom­men zwar steu­er- und abga­ben­freie Ein­mal­zah­lun­gen über ins­ge­samt 3.000 €. Aber die­se in Kol­la­bo­ra­ti­on mit der Bun­des­re­gie­rung von den Gewerk­schafts­spit­zen bewusst aus­ge­han­del­ten Zah­lun­gen dien­ten dazu, die Tarif­run­den ganz im Sin­ne der „kon­zer­tier­ten Akti­on“ ruhig über die Büh­ne zu brin­gen. Das ist mit akti­ver Unter­stüt­zung der Vor­stän­de von IG BCE und IG Metall ohne Zwei­fel auch gelungen.

For­de­run­gen von ver.di
Im Gegen­satz zu den Indus­trie­ge­werk­schaf­ten scheint ver.di zu ver­su­chen, einen ande­ren Weg ein­zu­schla­gen. Allein die For­de­run­gen spre­chen schon eine ande­re Sprache.

Zu der Anfang 2023 anste­hen­den Tarif­run­de im Öffent­li­chen Dienst wur­de ein umfang­rei­ches For­de­rungs­pa­ket beschlos­sen, das zumin­dest den Anspruch hat, die Lohn­ver­lus­te durch die Preis­ent­wick­lung auszugleichen.

Die For­de­run­gen lau­ten im Einzelnen:
· 10,5 % min­des­tens 500 € 
· 200 € für Azubis
· Unbe­fris­te­te Über­nah­me aller Azu­bis nach der Ausbildung
· Lauf­zeit des Tarif­ver­tra­ges 12 Monate.

Bei einer in die­sem Jahr zu erwar­ten­den Preis­stei­ge­rungs­ra­te von 8 - 9 %, könn­ten die­se For­de­run­gen dazu die­nen, die Ein­kom­mens­ver­lus­te die 2022 ent­stan­den sind, eher aus­zu­glei­chen als in der Indus­trie. Vor allem die For­de­rung nach einer Min­dest­er­hö­hung von 500 € gibt den unte­ren bis mitt­le­ren Besol­dungs­grup­pen die Mög­lich­keit dazu.

Tarif­run­de kein Selbstläufer
Dass die­se Tarif­run­de den­noch unter den jet­zi­gen Bedin­gun­gen kein Selbst­läu­fer wird, ist leicht auszurechnen.

Auch wenn ver.di im kom­mu­na­len Bereich vie­le Mög­lich­kei­ten hat, wir­kungs­vol­le Streiks durch­zu­füh­ren, wer­den die Abschlüs­se der Indus­trie­ge­werk­schaf­ten von der Bun­des­re­gie­rung, den kom­mu­na­len „Arbeit­ge­bern“ und den Medi­en als Vor­bild ange­prie­sen wer­den. Zudem wird sicher­lich erneut das Kla­ge­lied über die Schul­den der Öffent­li­chen Haus­hal­te ange­stimmt und die Auf­for­de­rung an die Gewerk­schaf­ten zum Maß­hal­ten laut­stark ertönen.

All dies spielt in der inner­ge­werk­schaft­li­chen Debat­te eine gro­ße Rol­le. Die Ableh­nung der von der Bun­des­re­gie­rung favo­ri­sier­ten Ein­mal­zah­lun­gen über 3.000 € ist sehr deut­lich. Sowohl bei den akti­ven Gewerk­schaf­te­rin­nen und Gewerk­schaf­tern wie auch bei den Mit­glie­dern des Bun­des­vor­stan­des gibt es ein­deu­ti­ge Stel­lung­nah­men. Ob die­se Ableh­nung durch­ge­hal­ten wird, bleibt aller­dings offen.

Abkehr vom Tarif­ri­tu­al?
So oder so scheint der Bun­des­vor­stand sich auf eine har­te und lang­an­hal­ten­de Aus­ein­an­der­set­zung vor­zu­be­rei­ten. Zum ers­ten Mal seit den 1990er Jah­ren kann es wie­der zu Urab­stim­mun­gen und unbe­fris­te­ten Streiks kom­men. Dies wäre eine Abkehr von dem in den letz­ten Jah­ren ver­folg­ten Ritu­al, dass drei Ver­hand­lungs­run­den ver­ein­bart sind und nach der 3. Run­de dann auch ein Ergeb­nis prä­sen­tiert wird. Dies wäre dann Ende März 2023 der Fall.

Soll­te aber es die­ses Mal anders wer­den, wird es im April 2023 Urab­stim­mun­gen und anschlie­ßend unbe­fris­te­te Streiks geben. Dass es bis dahin ein wei­ter Weg unter den aktu­el­len Bedin­gun­gen ist, kann leicht an den fünf Fin­gern abge­zählt wer­den. Es bedarf dazu vor allem einer wirk­lich brei­ten Mobi­li­sie­rung der Beschäf­tig­ten und des Wil­lens der ver.di-Führung sich für ein Ergeb­nis ein­zu­set­zen, das deut­lich bes­ser als die Abschlüs­se der Indus­trie­ge­werk­schaf­ten ist.

Das erfor­dert vor allem die Bereit­schaft der Mit­glie­der, sich nicht nur aktiv zu betei­li­gen, son­dern auch die ver.di-Führung unter Druck zu set­zen, um sie von einem lau­en Kom­pro­miss abzuhalten.

Gemein­sam streiten!
Anfang Janu­ar 2023 beginnt zudem die Tarif­run­de bei der Deut­schen Post/DHL. Hier hat die zustän­di­ge Tarif­kom­mis­si­on eine For­de­rung nach einer Lohn­er­hö­hung von 15 % auf­ge­stellt. Die­se wird nicht am Ver­hand­lungs­tisch durch­ge­setzt wer­den kön­nen. Wäre es hier nicht ange­bracht, die bei­den Tarif­run­den zusam­men zu füh­ren? Dies wür­de sicher­lich den Druck auf alle Gegen­sei­ten erhö­hen, wenn Brie­fe und Pake­te nicht zuge­stellt, Müll­ton­nen nicht geleert und Stra­ßen­bah­nen und Bus­se in den Depots blie­ben. Damit wür­de ein wei­te­res Ritu­al bei ver.di been­det, näm­lich dass jeder Bereich sei­ne Tarif­run­de allei­ne bestreitet.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Janu­ar 2023
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