Che­mie-Tarif­run­de 2024

Part­ner­schaft­lich“ in die Ohnmacht?

 

U. D.

Am 27. Juni 2024 ver­stän­dig­ten sich die Indus­trie­ge­werk­schaft IGBCE und der Bun­des­ar­beit­ge­ber­ver­band Che­mie BAVC auf ein Tarif­er­geb­nis. Damit ende­te die Che­mie-Tarif- run­de 2024 für die rund 585.000 Beschäf­tig­ten der Che­mie- und Pharmaindustrie.

IGBCE-Aktive in Mannheim, 1. Mai 2023. (Foto: Avanti².)

IGBCE-Akti­ve in Mann­heim, 1. Mai 2023. (Foto: Avanti².)

Wie bran­chen­üb­lich und IGBCE-typisch gab es kei­ne Warn­streiks, son­dern Demons­tra­tio­nen und Kund­ge­bun­gen. An den über 200 Tarif-Aktio­nen betei­lig­ten sich gera­de mal 50.000 Kolleg:innen; beim tra­di­tio­nell gut orga­ni­sier­ten BASF- Stamm­werk in Lud­wigs­ha­fen waren es immer­hin 5.000.

Tarif­er­geb­nis 2024
Die IGBCE for­der­te 7% höhe­re Löh­ne, die „Moder­ni­sie­rung“ des Ent­gelt­ta­rif­ver­tra­ges und eine Bonus-Rege­lung für Gewerk­schafts­mit­glie­der. In allen Punk­ten wur­den Ergeb­nis­se erzielt:
• Die Tarif-Lauf­zeit beträgt 20 Mona­te. Nach zwei Leer­mo­na­ten wer­den die Ent­gel­te zum 1. Sep­tem­ber 2024 um 2 % und in einer zwei­ten Stu­fe am 1. April 2024 um 4,85 % erhöht. 
• Der Bun­des­ent­gelt­ta­rif wird in ein­zel­nen Punk­ten ver­än­dert (z. B. bes­se­re Vertretungsregelung).
• Tarif­be­schäf­tig­te IGBCE-Mit­glie­der erhal­ten als Gewerk­schafts-Bonus unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen einen zusätz­li­chen frei­en Tag.
• Die von der IGBCE gekün­dig­te Schlich­tungs­re­ge­lung wur­de wie­der in Kraft gesetzt.
• Im Rah­men einer „gemein­sa­men“ Tarif­stra­te­gie 2030 sol­len die Tarif­ver­trä­ge „moder­ni­siert“ werden.

Teu­rer Abschluss für Beschäf­tig­te
Die BILD-Zei­tung nann­te den Mit­glie­der­bo­nus eine Tari­fre­vo­lu­ti­on. Aber Revo­lu­tio­nen fin­den nur nach har­ten Kämp­fen statt. War­um also haben die Che­mie-Bos­se die­sem Tarif­ab­schluss ohne Arbeits­kampf zuge­stimmt? Weil er ihnen nutzt, und weil er den Che­mie-Beschäf­tig­ten mehr­fach teu­er zu ste­hen kommt:

1. Der Tarif­ab­schluss 2022 brach­te einen mas­si­ven Real­lohn­ver­lust. Der Abschluss 2024 gleicht die­sen nicht aus. Nach IGBCE-Berech­nun­gen wer­den die Che­mie-Real­löh­ne Ende 2025 trotz Tarif­er­hö­hun­gen noch unter denen des Jah­res 2015 (!) liegen.

2. Die IGBCE stellt die „Trans­for­ma­ti­on“ nicht grund­sätz­lich in Fra­ge, son­dern will sie tarif­po­li­tisch „beglei­ten“. So kön­nen die Unter­neh­men Restruk­tu­rie­run­gen, Digi­ta­li­sie­rung, Arbeits­platz­ver­nich­tung und sons­ti­ge Angrif­fe ohne nen­nens­wer­ten gewerk­schaft­li­chen Wider­stand fortsetzen.

3. Die Schlich­tungs­re­ge­lung wur­de mit dem Bonus-Tag gekop­pelt. Wird sie gekün­digt, ent­fällt auto­ma­tisch der Bonus-Tag. Damit hat die IGBCE bezüg­lich der Schlich­tungs­re­ge­lung eine zusätz­li­che Kün­di­gungs-Hür­de akzep­tiert und sich selbst ohne Not enge­re Schlich­tungs­fes­seln ange­legt. Für die Unter­neh­men bedeu­tet dies Tarif­ru­he und qua­si Streik­frei­heit. Denn die Schlich­tungs­re­ge­lung lässt Streiks erst nach Abschluss eines strikt regu­lier­ten und ver­zö­gern­den Ver­fah­rens zu.

4. Jede wei­te­re kampf­lo­se und „part­ner­schaft­li­che“ Tarif­run­de ver­tieft die „Sozi­al­part­ner­schaft“ der IGBCE und schwächt ihre gerin­ge Kampf­fä­hig­keit wei­ter. Für die Che­mie-Bos­se ist das ein Geschenk. Denn so wird bei den Beschäf­tig­ten kein Klas­sen­be­wusst­sein, kein gewerk­schaft­li­ches Selbst­ver­trau­en und kei­ne Kampf­kraft entwickelt.

Gegen­macht statt „Sozi­al­part­ner­schaft“
In der IGBCE fand die letz­te gro­ße Aus­ein­an­der­set­zung um ihre poli­ti­sche Aus­rich­tung in ihrer Vor­läu­fer­or­ga­ni­sa­ti­on IG Che­mie Papier Kera­mik statt. Sie ende­te auf dem Mann­hei­mer Gewerk­schafts­tag 1980 mit der Aus­schal­tung des links­ori­en­tier­ten Flü­gels um Her­mann Plu­mey­er. Damals gelang es Her­mann Rap­pe, „sozi­al­part­ner­schaft­li­che“ Posi­tio­nen durch­zu­set­zen, die bis heu­te den haupt­amt­li­chen Appa­rat, die Funktionär:innen sowie die Poli­tik und die Ana­ly­sen der IGBCE bestimmen.

Die „Sozi­al­part­ner­schaft“ ist ein poli­ti­sches Gift. Sie ver­ne­belt den Inter­es­sens­ge­gen­satz von Kapi­tal und Arbeit. Sie zer­stört Klas­sen­be­wusst­sein und Soli­da­ri­tät. Sie för­dert ego­is­ti­sches und natio­na­lis­ti­sches Stand­ort­den­ken und macht die arbei­ten­de Klas­se emp­fäng­li­cher für rech­te Parolen.

Umso wich­ti­ger ist es, in den Betrie­ben und Gewerk­schaf­ten für eine ande­re, eine klas­sen­kämp­fe­ri­sche Poli­tik ein­zu­tre­ten. Dies kann auf meh­re­ren Ebe­nen geschehen:
• Eine akti­ve und kämp­fe­ri­sche Poli­tik im Betrieb ver­an­kern. Nur so ent­steht auch die Kraft, um erfolg­reich in die Gewerk­schaft hin­ein­wir­ken zu können.
• Die betriebs- und bran­chen­über­grei­fen­de Ver­net­zung von kämp­fe­ri­schen Kolleg:innen kon­se­quent angehen.
• Akti­ve Betriebs­rä­te, die von „ihren“ Unter­neh­men ange­grif­fen und gemobbt wer­den, soli­da­risch unterstützen.
• In den Gewerk­schaf­ten für unein­ge­schränk­te Demo­kra­tie und für den Auf­bau einer wirk­sa­men Gegen­macht zum Kapi­tal eintreten.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Sep­tem­ber 2024
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