H. N.
Der 5. Februar 2025 wird später einmal als ein wichtiges Datum der deutschen „Zeitenwende“ verstanden werden. An diesem Tage fand eine als besonderes Ereignis inszenierte „Informationsveranstaltung“ im traditionsreichen Görlitzer Alstom-Werk statt.

Werksgelände in Görlitz, 17. Juli 2019. (Foto: Gemeinfrei (CC BY-SA 4.0).)
Im Beisein von Kanzler Scholz (SPD) und Sachsens Ministerpräsident Kretsch- mer (CDU) feierte Alstom-Manager Dawidowsky das Ende von mehr als 175 Jahren Schienenfahrzeugbau in der ostdeutschen Grenzstadt. Er sagte: „Wir freuen uns, dass es gelungen ist [,] für den Standort und die Beschäftigten eine gute und nachhaltige Lösung zu finden.“
„Eine gute und nachhaltige Lösung“?
Wie sieht diese „gute und nachhaltige Lösung“ aus? Laut Alstom ist die Übernahme von „350 bis 400 der rund 700 Beschäftigten“ mit dem Panzerbauer KNDS vereinbart. Zudem wolle KNDS „prüfen“, bis zu 75 weiteren Mitarbeitenden Jobs an anderen KNDS-Standorten „anzubieten“. Weitere 100 Stellen-Angebote soll es bei anderen Alstom-Werken geben. Angeblich könnten „somit rund 580 der 700 Mitarbeitenden bei Alstom oder KNDS eine Weiterbeschäf-tigung finden“.
Unter dem Strich wird etwas mehr als die Hälfte der Belegschaft in Görlitz an KNDS „verkauft“. Der „Rest“ soll abgebaut beziehungsweise mit der Hoffnung auf eventuelle Job-Angebote bei KNDS und bei Alstom ruhiggestellt werden. Zudem will der Konzern das riesige Werksgrundstück meistbietend verkaufen. Und das alles, obwohl bisher kein verbindlicher Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Betriebsrat vereinbart worden ist. Mit dieser Taktik kann Alstom weitere Millionen für seine Kahlschlag-Strategie einsacken.
„Ein neues Kapitel“
Die Vernichtung hunderter, dringend für die stockende Verkehrswende zur Schiene erforderlicher Arbeits- und Ausbildungsplätze ist an sich schon ein Skandal erster Güte.
Seine noch viel gefährlichere Dimension enthüllte Scholz. Er stand vor einem Banner mit der an George Orwell erinnernden Aufschrift „Gute Zukunft für den Industriestandort Görlitz“ und beglückwünschte sich selbst, die beiden Konzerne sowie die (Noch-)Beschäftigten zu diesem Ab- und Umbau-Projekt. Scholz stellte fest: „Wir haben diesen Übergang eng begleitet […] Mit diesem Tag beginnt ein neues Kapitel.“
Auch für manche in der IG Metall (IGM) hat offenbar „ein neues Kapitel“ begonnen. Als 2016 Schließungspläne für das damals zu Bombardier gehörende Werk in Görlitz bekannt wurden, reagierte die IGM noch mit harten Worten. Wenn der Konzern an seinen Plänen festhalte, dann „sind wir im Krieg“.
„Sozialpartnerschaft“ als Sackgasse
Jetzt soll ab 2026 für Krieg(e) produziert werden, doch der Zweite Vorsitzende der IGM, Kerner, meint dazu: „Nach Jahren der Unsicherheit haben die Beschäftigten endlich Klarheit. Als IG Metall waren wir auf allen Ebenen aktiv an der Suche nach einem Investor für den Standort Görlitz beteiligt. Die gefundene Lösung ermöglicht nun dem Großteil der Beschäftigten eine gute berufliche Perspektive“.
Wo bleibt die kritische Bilanz des mit Verzicht auf das Urlaubsgeld erkauften und von Alstom nicht umgesetzten „Zukunftstarifvertrags“?
Die von der IGM-Spitze verbreiteten Illusionen in „Sozialpartnerschaft“ und „Co-Management“ werden die Gewerkschaftsbasis weiter schwächen und die AfD noch mehr stärken.
Gewerkschaftliche Gegenmacht geht anders – ganz besonders in Zeiten des autoritären Rechtsrucks und des verschärften Klassenkampfs von oben. Alle Aktiven in der IG Metall sind mehr denn je gefordert, für die dringend erforderliche Kursänderung zu kämpfen.