Vor 100 Jah­ren: Die rus­si­sche Februarrevolution

K. S.

So lau­te­te das The­ma unse­rer ISO-Ver­an­stal­tung am 24. März, bei der es eine sehr leb­haf­te und inter­es­san­te Dis­kus­si­on gab. Für alle, die nicht dabei sein konn­ten,  ver­öf­fent­li­chen wir im Fol­gen­den eine stark gekürz­te Ver­si­on des Einleitungsreferats.
Der Begriff Revo­lu­ti­on ist im herr­schen­den Sprach­ge­brauch auf­grund der Ent­wick­lung des Kapi­ta­lis­mus in Deutsch­land meist nega­tiv belegt. Jeder Gedan­ke und jedes Enga­ge­ment für eine grund­le­gen­de Besei­ti­gung von sozia­len, wirt­schaft­li­chen oder poli­ti­schen Miss­stän­den soll damit tabui­siert werden. 
Dabei sind gro­ße demo­kra­ti­sche und sozia­le Fort­schrit­te ohne Revo­lu­tio­nen nicht denkbar.

Wach­sen­de Unzufriedenheit
Wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges muss­ten die rus­si­schen Arbei­ter und Bau­ern einen hohen Blut­zoll zah­len. Der Zar war Ober­be­fehls­ha­ber der Armee und Mari­ne und somit auch per­sön­lich ver­ant­wort­lich für die­ses Verbrechen. 
An der Front und in der Flot­te kam es immer wie­der zu Meu­te­rei­en. Gan­ze Trup­pen­tei­le deser­tier­ten geschlos­sen. Offi­zie­re, die sich den Sol­da­ten ent­ge­gen­stell­ten, muss­ten um ihr Leben fürchten. 
Je län­ger der Krieg dau­er­te, um so schlech­ter wur­de die Ver­sor­gungs­la­ge auch in den Städ­ten, und die Infla­ti­on stieg immer wei­ter. Die Empö­rung in den aus­ge­beu­te­ten Klas­sen wuchs. 
Trotz der Spon­ta­ni­tät vie­ler Wider­stands­ak­tio­nen hat­ten die Bol­sche­wi­ki eine gewis­se Bedeu­tung. Sie zähl­ten zu jener Zeit zwar nur etwa fünf­tau­send Mit­glie­der, aber sie hat­ten einen spür­ba­ren Ein­fluss in Groß­be­trie­ben, Arbei­ter­vier­teln und ein­zel­nen Militärsektionen.

Sturz des Zarismus
Am 8. März 1917 (23. Febru­ar 1917 nach dem damals in Ruß­land gül­ti­gen julia­ni­schen Kalen­der) begann die „Febru­ar­re­vo­lu­ti­on“, die die Zaren­herr­schaft stürzte. 
Aus­lö­ser des Umstur­zes waren Hun­ger­pro­tes­te von Arbei­te­rin­nen in Petro­grad. Immer grö­ße­re Tei­le der Arbei­ter­schaft tra­ten dar­auf­hin in den Streik. 
Basis­de­mo­kra­ti­sche Arbei­ter­rä­te (Sowjets) koor­di­nier­ten  in der Tra­di­ti­on der revo­lu­tio­nä­ren Erhe­bung von 1905 in den Betrie­ben und Stadt­vier­teln die Bewegung. 
Am 10. März (25. Febru­ar) wei­te­ten sich die Demons­tra­tio­nen und Streiks noch ein­mal aus. 
Am 11. März (26. Febru­ar) befahl der Zar per Dekret die Auf­lö­sung der Duma (des rus­si­schen Par­la­ments). Die Abge­ord­ne­ten lehn­ten das aber ab und wider­setz­ten sich dem Befehl. 
Ab dem 12. März (27. Febru­ar, „Roter Mon­tag“) - also am fünf­ten Tag der Revo­lu­ti­on - exis­tier­ten dann zwei Struk­tu­ren der poli­ti­schen Macht: der Sowjet und die Duma.
Vie­le Sol­da­ten stan­den mitt­ler­wei­le auf der Sei­te der Revolution. 
Die Abdan­kung des Zaren wur­de gefor­dert und am 15. März (2. März) sei­ne Abset­zung ver­kün­det. Rund 1.500 Men­schen hat­ten allein in Petro­grad ihr Leben im Kampf gegen den Zaris­mus las­sen müssen.

Die Dop­pel­herr­schaft
Eine Pro­vi­so­ri­sche Regie­rung (Über­gangs­re­gie­rung) wur­de gebil­det. Fast alle ihre Mit­glie­der ent­stamm­ten dem Groß­bür­ger­tum, und sie war ohne jede wirk­li­che Auto­ri­tät. An ihrer Spit­ze stan­den Leu­te, die den Mas­sen ver­hasst waren.
Vor allem die in den Groß­städ­ten ent­stan­de­nen Arbei­ter- und Sol­da­ten­rä­te betrach­te­ten hin­ge­gen den Petro­gra­der Sowjet als ihre legi­ti­me Regierung. 
So ent­stand die Dop­pel­herr­schaft. Auf der einen Sei­te die Pro­vi­so­ri­sche Regie­rung unter der Füh­rung der Bour­geoi­sie und der Groß­grund­be­sit­zer. Auf der ande­ren Sei­te der zen­tra­le Sowjet, der das Ver­trau­en der revo­lu­tio­nä­ren Arbei­te­rIn­nen und Sol­da­ten genoss.
Eine sol­che Situa­ti­on ist not­wen­di­ger­wei­se insta­bil und nur von vor­über­ge­hen­der Dau­er. Ent­we­der der Bour­geoi­sie gelingt es, die Macht in einer Kon­ter­re­vo­lu­ti­on voll­stän­dig an sich zu rei­ßen, oder die auf­stän­di­schen Mas­sen ver­tei­di­gen ihre Räte-Macht.

Ein Fazit
Fünf Tage im Febru­ar 1917 ver­wan­del­ten Russ­land in eine bür­ger­lich-demo­kra­ti­sche Repu­blik mit Struk­tu­ren der Dop­pel­macht. Ihre  Errun­gen­schaf­ten waren Koali­ti­ons­recht, Pres­se-, Rede- und Ver­samm­lungs­frei­heit, das Frau­en­wahl­recht, der Acht­stun­den­tag und ande­res mehr.
Die Haupt­for­de­run­gen der auf­stän­di­schen Mas­sen nach Frie­den, Brot und Boden blie­ben jedoch uner­füllt. Viel­mehr setz­te die Pro­vi­so­ri­sche Regie­rung den Welt­krieg an der Sei­te der Entente (Frank­reich und Eng­land) fort. Des­halb war sie auch nicht imstan­de, die neue bür­ger­li­che Ord­nung zu stabilisieren.
Die „Febru­ar­re­vo­lu­ti­on“ ist ein Schlüs­sel­er­eig­nis für das 20. Jahr­hun­dert gewesen.
Sie war das Vor­spiel für den „roten Okto­ber“  rund  sie­ben Mona­te spä­ter. Sie erschüt­ter­te weit über Russ­land hin­aus gro­ße Tei­le der kapi­ta­lis­ti­schen Welt. Sie beschleu­nig­te nicht nur das Ende des Ers­ten Welt­kriegs, son­dern einen bis­her nicht gekann­ten Auf­schwung der revo­lu­tio­nä­ren ArbeiterInnenbewegung.

aus der Rhein-Neckar Bei­la­ge zur Avan­ti April 2017
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