Teil I
B. S.
In den bewegten Jahren der Russischen Revolution gab es ein vielfältiges Kulturleben. Musik, Theater, Malerei und besonders die Literatur waren experimentierfreudig und somit vielfältig. Die KünstlerInnen hatten in den Zwanziger Jahren Kontakte im und zum Ausland.
Ich möchte Neugier wecken mit einigen Beispielen aus der Literatur, die ich persönlich sehr eindrucksvoll finde.
Wladimir Majakowski
Wladimir Majakowski widmet 1918 seinen Text „Linker Marsch“ den Matrosen. Die vier martialischen Strophen, die sich gegen den „britischen Löwen“, gegen die „Entente“ wenden und die Kraft der Kommune besingen, münden in der Aufforderung: Links! Links! Links!
Majakowski (1893 – 1930) soll schon als Fünfzehnjähriger Parteiarbeit geleistet haben. Er war, wie viele seiner kunstbesessenen Zeitgenossen, viel im Ausland. Er war überzeugt: „Ohne revolutionären Kampf keine revolutionäre Kunst.“
In Ilja Ehrenburgs Autobiographie Menschen Jahre Leben wird sein Wirken eingehend beschrieben. Majakowski rezitierte seine Gedichte auf der Bühne, besonders vehement den Linken Marsch. Er bezeichnete seine Schreibweise selbst als „kommunistischen Futurismus.“
Maria Zwetanowa sagte von ihm: „Lebte wie ein Mensch, starb wie ein Dichter“; er schoss sich 1930 „selbst ins Herz.“ Ende der Zwanziger Jahre hatte Majakowski die bürokratische Entwicklung in der UdSSR kritisiert.
Isaak Babel
Von besonderer Bedeutung ist für mich Isaak Babel (1894 – 1941). In seiner Sammlung von Texten beschreibt er das Leben und Kämpfen in Budjonnys Reiterarmee. Er selbst war Teil dieser Kosakentruppe und hat ihre Kämpfe und das Kriegsgeschehen in einer Art poetischem Realismus beschrieben.
„Der Newskij – Prospekt floß wie eine Milchstraße in die Ferne. Pferdekadaver markierten ihn wie Werststeine. Mit hochgereckten Beinen stützten sie den niedrig hängenden Himmel. Ihre aufgerissenen Leiber waren blank und glänzend.“
General Budjonny wollte, dass Babels Texte verbrannt werden. Er betrachtete die Darstellung als diffamierend. Aber Maxim Gorki wiegelte ab, Budjonny habe das Buch „von der Höhe des Pferderückens“ betrachtet, nicht „von der Höhe der Kunst“.
Babel wurde beschuldigt, sich in Paris mit Trotzkisten abgegeben zu haben, er ist vermutlich im Gefängnis getötet worden, offiziell starb er 1941 im Lager. Er wurde aber nach Stalins Tod beim Zweiten Schriftstellerkongress 1954 rehabilitiert.
Anna Achmatowa
In meiner subjektiven Auswahl befindet sich nur eine Frau: Anna Achmatowa (1889 – 1966), die von Zeitgenossen die „größte russische Dichterin“ genannt wurde. Sie ist älter geworden als die meisten ihrer männlichen Gefährten, war dreimal verheiratet, zwei ihrer Männer waren in Haft, der einzige Sohn war ebenfalls eingekerkert.
Es wird berichtet, dass sie oft mit anderen Frauen vor den Gefängnistoren stand, um ein Nahrungspäckchen für den Inhaftierten abzugeben. Dabei wurde sie, die viele Liebesgedichte geschrieben hat, gefragt, ob sie die Situation beschreiben könne. Sie konnte!
Hier vier Verse des Epilogs zu ihrem Requiem:
„Ich kannte viele früh gewelkte Frauen
Von Schrecken, Furcht, Entsetzen ausgeglüht.
Des Leidens Keilschrift sah ich eingehauen
Auf Stirn und Wangen, die noch kaum geblüht.“
Wie viele andere Schreibende war sie von den Repressalien der Stalinzeit betroffen, mit dem Ausschluss aus dem Schriftstellerverband, Schreibverbot und der Vernichtung zweier Gedichtbände. Deshalb arbeitete sie zeitweilig an Übersetzungen.
Die „Tauwetterperiode“ nach Stalins Tod und ihre Rehabilitation ermöglichten ihr wieder die gewohnte Arbeit. „Anna von ganz Russland“, so Marina Zwetajewa, starb 1966. Zwei Astronominnen verliehen ihr zu Ehren dem Kleinplaneten 3067 den Namen Akhmatova!