Foto­gra­fie von unten

Inter­view mit Hel­mut Roos

Am 15. April 2019 ist die Foto­aus­stel­lung Hel­mut Roos Auf der Sei­te der Gegen­wehr im Kon­fe­renz­raum der Mann­hei­mer IG Metall fest­lich eröff­net wor­den. Avan­ti² sprach aus die­sem Anlass mit Hel­mut, des­sen Fotos schon seit Jah­ren – und hof­fent­lich auch in der Zukunft – die­se Zei­tung bereichern.

Hel­mut, wann und wie bist Du zur Foto­gra­fie im All­ge­mei­nen und zur poli­ti­schen Foto­gra­fie im Beson­de­ren gekommen?
Ich nahm mit zwölf Jah­ren (1963) zuerst für knapp zwei Jah­re Gitar­ren­un­ter­richt. Als ich jedoch von einem Bekann­ten eine Kame­ra in die Hand bekam und er mei­ne Auf­nah­men sah, mein­te er, dass ich Talent hät­te. Er frag­te mich, ob ich nicht lie­ber auf die Foto­gra­fie umstei­gen wol­le. Da mir die­ses Metier viel Freu­de berei­te­te, woll­te ich es allei­ne aus­pro­bie­ren. Ich begann mit einer Kod­ak Kom­pakt­ka­me­ra, um dann mit mei­ner gesam­mel­ten Erfah­rung auf eine Pen­tax Spie­gel­re­flex­ka­me­ra umzu­stei­gen. Zuerst waren Por­traits von Freun­den und Bekann­ten bevor­zug­te Moti­ve sowie Stim­mungs­dar­stel­lun­gen bei All­tags­si­tua­tio­nen, Fei­ern und Musikveranstaltungen.

Zur poli­ti­schen Foto­gra­fie kam ich etwa 1967 als in den Gym­na­si­en eine Poli­ti­sie­rung auf­kam, die 1968 im Kampf gegen die geplan­ten „Not­stand­ge­set­ze“ gip­fel­te. So half ich damals, zwei Schul­streiks an den Mann­hei­mer Gym­na­si­en mit zu orga­ni­sie­ren. Die­se Aktio­nen rich­te­ten sich auch gleich­zei­tig gegen Nazi­leh­rer, die immer noch im Schul­dienst waren.

Da ich wei­te­re Streiks unter ande­rem gegen das Zen­tral­ab­itur und den Nume­rus Clau­sus mit­or­ga­ni­sier­te und an ande­ren poli­ti­schen Aktio­nen – Pro­tes­ten gegen den Viet­nam­krieg und einem Hun­ger­streik gegen das Fran­co-Regime in Spa­ni­en – betei­ligt war, flog ich von der Schule.

War die 1926 gegrün­de­te Bewe­gung der Arbei­ter­fo­to­gra­fie (bzw. ihre Neu­grün­dung in den 1970er Jah­ren) für Dich ein Bezugspunkt?
Eigent­lich nicht, da sich die­se Foto-Grup­pen 1972 haupt­säch­lich in Köln und Ham­burg bil­de­ten. Auch in Mann­heim grün­de­te sich zwar ein Kol­lek­tiv. Jedoch wäh­rend mei­ner Aus­bil­dung, als ich nicht in Mann­heim wohnte.

Flyer "!Auf der Seite der Gegenwehr" (Fotoausstellung, Helmut Roos)

Fly­er “!Auf der Sei­te der Gegen­wehr” (Foto­aus­stel­lung, Hel­mut Roos)

Wie hast Du Dir Dei­ne The­men und Moti­ve gesucht?
Geprägt durch mei­ne Tätig­keit als DJ in Mann­hei­mer Klubs und Dis­ko­the­ken kam ich schon recht früh mit der Mann­hei­mer Musik­sze­ne in Ver­bin­dung. Das moti­vier­te mich, bei Kon­zer­ten zu foto­gra­fie­ren. So lern­te ich Alexis Kor­ner, den Vater des „wei­ßen“ Blues, ken­nen, zu dem sich eine Freund­schaft ent­wi­ckel­te. Dies half mir, Musi­ker bei ihren Auf­trit­ten und hin­ter der Büh­ne zu kon­tak­tie­ren und Foto­auf­nah­men zu machen. Unter ande­rem von Chuck Ber­ry, Frank Zap­pa, Eric Clap­ton, Jimi Hen­drix, Ste­ve Mar­riott und Rory Gal­lag­her. Die­se Sze­ne präg­te mich über vie­le Jah­re. Jedoch beglei­te­te ich mit der Kame­ra auch stän­dig poli­ti­sche und gewerk­schaft­li­che Aktionen.

Wel­che Bewe­gun­gen und Kämp­fe haben Dich beson­ders angezogen?
Es waren haupt­säch­lich huma­ni­tä­re und betrieb­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen, in denen ich hel­fen bzw. unter­stüt­zen woll­te. So war ich 1996 als Pro­zess­be­ob­ach­ter in der Tür­kei. Dort waren elf Poli­zis­ten ange­klagt, die einen Foto­jour­na­lis­ten umge­bracht hat­ten. Fer­ner war ich jeweils vor Ort, wenn es zum Bei­spiel um Kämp­fe gegen Betriebs­schlie­ßun­gen und Aktio­nen und Streiks um Lohn­er­hö­hung ging.

Wie hat sich im Lau­fe der Jah­re Dein Blick auf die von Dir doku­men­tier­ten Ereig­nis­se und Per­so­nen geändert?
In der Form, dass sich die gesell­schaft­li­chen Gege­ben­hei­ten mit der Zeit immer mehr ver­schärft haben. Das heißt das Soli­dar­ge­fü­ge fiel durch den zuneh­men­den tag­täg­li­chen Kon­kur­renz­kampf und die Ver­schär­fung der Sozi­al­ge­setz­ge­bung (Hartz IV …) immer mehr auseinander.

Was bedeu­te­te der Über­gang von der ana­lo­gen zur digi­ta­len Foto­gra­fie für Dei­ne Arbeit?
Ins­ge­samt sehe ich die Umstel­lung auf die Digi­tal­fo­to­gra­fie posi­tiv. Jedoch war ich am Anfang, wie vie­le ande­re auch, etwas ungläu­big und beob­ach­te­te die Ent­wick­lung zunächst skep­tisch. Zudem kam die nicht unwe­sent­li­che finan­zi­el­le Belas­tung durch Neu­an­schaf­fun­gen hinzu.

Ich war damals Hartz IV-Emp­fän­ger und muss­te den Umstieg in die Halb-Selb­stän­dig­keit wagen. Das bedeu­te­te, dass ich auf Ren­ten­an­spa­run­gen zurück­grei­fen muss­te. Zudem war ich ver­pflich­tet, alle sechs Mona­te mei­ne Abrech­nun­gen dem Arbeits­amt vor­zu­le­gen. 100 Euro mei­ner Ein­nah­men waren frei. Bis 1.000 Euro Ver­dienst blie­ben 20 % übrig, von allen Ein­künf­ten über 1.000 Euro sogar nur 10 %. Den Rest muss­te ich abge­ben. Auch für die Ren­te wur­de nichts vom Amt eingezahlt.

In Dei­ner Foto­aus­stel­lung sind 24 Farb­bil­der und zwei Schwarz-Weiß-Auf­nah­men zu sehen. Wie hast Du die Aus­wahl getroffen?
Es war äußerst schwie­rig, aus tau­sen­den von Fotos die rich­ti­gen Auf­nah­men zu fin­den. Mir war es wich­tig, Stim­mun­gen und Emo­tio­nen rüber­zu­brin­gen. Schließ­lich geht es bei sol­chen Aktio­nen um ele­men­ta­re und exis­ten­zi­el­le Bege­ben­hei­ten, die für Men­schen Zäsu­ren im Leben dar­stel­len kön­nen. Zum Bei­spiel der Kampf um Lohn- und Gehalts­er­hö­hun­gen oder um die Ver­tei­di­gung von Arbeits­plät­zen. Mei­ne Erst­aus­wahl umfass­te etwa 1.000 Bil­der, die ich dann auf rund 200 redu­zier­te. Bei der zeit­rau­ben­den End­aus­wahl waren mir Bar­ba­ra Strau­be und Bernd Köh­ler sehr behilflich.

[Die Fra­gen stell­te W.A., 23.04.2019.]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Mai 2019
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