8 The­sen zum Coronavirus*

Dani­el Tanuro

Auch wenn der Wirt­schafts­ab­schwung bereits vor dem Auf­tre­ten von COVID-19 begon­nen hat­te, so las­sen sich die öko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen der Pan­de­mie (Pro­duk­ti­ons­aus­fäl­le, Unter­bre­chung der Lie­fer­ket­ten, mas­si­ve Aus­fäl­le im Luft­ver­kehr und Tou­ris­mus etc.) genau­so wenig leug­nen wie die ernst­haf­te Gefahr, die von dem Virus ausgeht.

1. Mit ihrem über­fall­ar­ti­gen Auf­tre­ten und dem expo­nen­ti­el­len Wachs­tum wirkt die Pan­de­mie als beson­de­rer Ver­stär­ker der bereits vor­han­de­nen wirt­schaft­li­chen und sozia­len Kri­se. Zugleich zeigt sie, wie anfäl­lig das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem ist und wel­che Gefah­ren es für die ein­fa­che Bevöl­ke­rung mit sich bringt […].

2. Die Ein­däm­mung der Pan­de­mie hät­te rasche Maß­nah­men erfor­dert, wie die strik­te Kon­trol­le des gesund­heit­li­chen Zustands der Rei­sen­den aus betrof­fe­nen Regio­nen, die Iden­ti­fi­zie­rung und Iso­lie­rung von infi­zier­ten Per­so­nen, Trans­port­be­schrän­kun­gen und eine umfas­sen­de­re medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung und Vor­sor­ge. Die kapi­ta­lis­ti­schen Regie­run­gen sind gefan­gen in ihrer neo­li­be­ra­len Poli­tik, mit der sie den wirt­schaft­li­chen Abschwung auf­hal­ten wol­len und haben daher nur zöger­lich und selbst dann nur halb­her­zig gehan­delt, wes­we­gen sie anschlie­ßend – als Getrie­be­ne der Ereig­nis­se – gezwun­gen waren, stren­ge­re Maß­nah­men zu ergrei­fen, ohne frei­lich die Aus­brei­tung des Virus auf­hal­ten zu kön­nen. Die Erset­zung der Lager­hal­tung in der Pro­duk­ti­on durch Just-in-time-Lie­fe­run­gen, die „Spar­po­li­tik“ im Gesund­heits- und For­schungs­we­sen sowie die Fle­xi­bi­li­sie­rung und Pre­ka­ri­sie­rung der Arbeit – all dies muss anläss­lich des Aus­bruchs die­ser Kri­se ange­pran­gert werden.

3. Anläss­lich der 2002 eben­falls durch ein Coro­na-Virus ver­ur­sach­ten SARS-Epi­de­mie haben Wis­sen­schaft­le­rIn­nen Alarm geschla­gen. In Euro­pa und den USA wur­den Grund­la­gen­for- schungs­pro­gram­me emp­foh­len, die es ermög­licht hät­ten, die­se Virus­ka­te­go­rie bes­ser zu ver­ste­hen und ihr Wie­der­auf­tau­chen in ande­ren For­men zu ver­hin­dern. Die Regie­run­gen haben sich gewei­gert, dies zu finan­zie­ren. Eine absur­de Poli­tik, aber maß­ge­schnei­dert für die Belan­ge der Phar­ma­in­dus­trie, der damit die For­schung in die­sen Berei­chen über­las­sen blieb, obwohl deren Anlie­gen nicht die öffent­li­che Gesund­heit, son­dern der Pro­fit durch den Ver­kauf von Medi­ka­men­ten an zah­lungs­kräf­ti­ge Pati­en­ten ist.

4. Wie bei jeder unvor­her­ge­se­he­nen Stö­rung wur­de die Pan­de­mie zunächst klein­ge­re­det. Nach die­ser Bana­li­sie­rung kam es anschlie­ßend zur Panik, die wie­der­um von Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern und ande­ren Dem­ago­gen instru­men­ta­li­siert wer­den kann, um auto­ri­tä­ren Maß­nah­men zur tech­no­lo­gi­schen Kon­trol­le der Bevöl­ke­rung und zur Ein­schrän­kung der demo­kra­ti­schen Rech­te den Weg zu berei­ten wie in Chi­na und Russ­land. Dar­über hin­aus droht die ernst­haf­te Gefahr, dass COVID-19 von den Faschis­tIn­nen als Vor­wand benutzt wird, um ihre ras­sis­ti­sche Abschot­tungs­po­li­tik gegen­über Flücht­lin­gen zu recht­fer­ti­gen und zu verstärken.

5. Die Lin­ke kann sich kei­nes­wegs dar­auf beschrän­ken, die „exo­ge­ne“ Gesund­heits­kri­se als blo­ßen Teil­aspekt der sys­tem­im­ma­nen­ten kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­kri­se zu behan­deln. Sie muss viel­mehr die Gesund­heits­kri­se an sich bewer­ten und Vor­schlä­ge ent­wi­ckeln, um sie auf sozia­le, demo­kra­ti­sche, anti­ras­sis­ti­sche, femi­nis­ti­sche und inter­na­tio­na­lis­ti­sche Wei­se zu bekämp­fen. Ent­ge­gen indi­vi­dua­lis­ti­scher Sicht­wei­sen muss sie sich auch selbst kol­lek­tiv ver­ant­wort­lich im Sin­ne einer Kon­ta­mi­na­ti­ons­pro­phy­la­xe ver­hal­ten und dies auch in den sozia­len Bewe­gun­gen so pro­pa­gie­ren. Anders als bei­spiels­wei­se bei den Maß­nah­men zur Ein­schrän­kung des Auto­ver­kehrs […], kann sich hier nie­mand der eige­nen Ver­ant­wor­tung für die Gesund­heit ent­zie­hen […]. Ent­we­der neh­men die sozia­len Bewe­gun­gen die­se Fra­ge selbst in die Hand – demo­kra­tisch und aus­ge­hend von der kon­kre­ten sozia­len Rea­li­tät der beherrsch­ten Klas­se – oder die herr­schen­de Klas­se wird ihre auto­ri­tä­ren Lösungs­va­ri­an­ten durchsetzen.

6. Die Haupt­ge­fahr der Pan­de­mie besteht dar­in, dass die Kapa­zi­tät der sta­tio­nä­ren Ver­sor­gungs­sys­te­me über­schrit­ten wird. Dies wür­de unwei­ger­lich zu einer stär­ke­ren Belas­tung der Ärms­ten und Schwächs­ten, ins­be­son­de­re der älte­ren Men­schen, füh­ren und zu einer Ver­la­ge­rung der Pfle­ge in die Haus­hal­te, mit­hin also zu Las­ten der Frau­en. Die­se Kapa­zi­täts­gren­ze hängt natür­lich von den ein­zel­nen Län­dern, den jewei­li­gen Gesund­heits­sys­te­men und der dort prak­ti­zier­ten „Spar“- und Pre­ka­ri­sie­rungs-Poli­tik ab, und sie wird umso schnel­ler erreicht sein, je mehr die Regie­run­gen der Aus­brei­tung des Virus hin­ter­her­lau­fen, anstatt sie zu ver­hin­dern. Die gegen­wär­ti­ge Virus­epi­de­mie zeigt ein­mal mehr, dass die Austeri­täts­po­li­tik been­det, die Reich­tü­mer umver­teilt, der Gesund­heits­sek­tor wie­der finan­zi­ell bes­ser aus­ge­stat­tet und in staat­li­che Hän­de über­nom­men und Paten­te im Gesund­heits­we­sen abge­schafft wer­den müssen. […]

7. Die COVID-19-Kri­se und die Kli­ma­kri­se ähneln sich in vie­ler­lei Hin­sicht. Bei bei­den ist das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem wegen des inne­woh­nen­den, pro­fit­ge­trie­be­nen Zwangs zur Akku­mu­la­ti­on außer­stan­de, dro­hen­den und ganz offen­kun­di­gen Gefah­ren zu begeg­nen. In bei­den Fäl­len schwan­ken die Regie­run­gen zwi­schen Bana­li­sie­rung des Pro­blems und völ­lig unzu­rei­chen­den poli­ti­schen Maß­nah­men, deren Sor­ge in ers­ter Linie den Bedürf­nis­sen des Kapi­tals und nicht denen der Bevöl­ke­rung gilt. In bei­den Fäl­len ste­hen die Ärms­ten, die ras­sis­tisch Dis­kri­mi­nier­ten und die Schwächs­ten, vor allem in den Län­dern des Südens, im Faden­kreuz, wäh­rend die Rei­chen davon aus­ge­hen kön­nen, dass sie immer eine Lösung fin­den wer­den. In bei­den Fäl­len nut­zen die Regie­run­gen die dro­hen­de Gefahr, um einen star­ken Staat vor­an­zu­trei­ben […]. In bei­den Fäl­len schließ­lich steht das kapi­ta­lis­ti­sche Wert­ge­setz in kras­sem Wider­spruch zu Natur­ge­set­zen mit einer expo­nen­ti­el­len Dyna­mik (im einen Fall die Aus­brei­tung der Virus­in­fek­tio­nen und im ande­ren die glo­ba­le Erwär­mung und die davon aus­ge­hen­den sich ver­schär­fen­den Folgen).

8. Die Kli­ma­kri­se ist jedoch bei wei­tem umfas­sen­der und gra­vie­ren­der als die Coro­na-Kri­se. Das Glei­che gilt natür­lich auch für deren Fol­gen, wenn die Aus­ge­beu­te­ten und Unter­drück­ten sich nicht zusam­men­schlie­ßen, um die­se absur­de und kri­mi­nel­le Pro­duk­ti­ons­wei­se zu been­den. COVID-19 ist eine wei­te­re War­nung: Der Kapi­ta­lis­mus, der die Mensch­heit in die Bar­ba­rei treibt, muss gestürzt werden.

* [Den voll­stän­di­gen Text fin­det hier auf www.iso-4-rhein-neckar.de zu finden. 
Über­set­zung aus dem Fran­zö­si­schen von MiWe.]

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