Kapi­ta­lis­mus, Cha­os und Coro­na 2.0 Was tun?

(Sekre­ta­ri­at der ISO)

 

Es schau­kelt sich etwas hoch. Die Angrif­fe der Herr­schen­den auf die arbei­ten­de Klas­se wer­den mas­si­ver. Das Cha­os der pro­ka­pi­ta­lis­ti­schen Poli­tik nimmt zu. Die het­ze­ri­sche Aggres­si­vi­tät der Rech­ten, der Nazis und Verschwörungsjünger*innen wächst. Zudem hat eine zwei­te Wel­le der COVID-19-Pan­de­mie begonnen.

Vor die­ser düs­te­ren Kulis­se stellt sich umso drin­gen­der die Fra­ge: Was tun? Alle, die mit die­sen gefähr­li­chen Ent­wick­lun­gen nicht ein­ver­stan­den sind, soll­ten wirk­sa­me Ant­wor­ten suchen und dar­aus gemein­sa­me Vor­schlä­ge für den Auf­bau einer brei­ten, bereichs­über­grei­fen­den Gegen­wehr ent­wi­ckeln. Dazu ist eine poli­ti­sche Per­spek­ti­ve im Inter­es­se der gro­ßen Mehr­heit, im Inter­es­se der arbei­ten­den Klas­se zwin­gend erforderlich.

Kund­ge­bung am 1. Mai 2020 in Mann­heim (Foto:Barbara Straube)

In ihrem Zen­trum soll­te des­halb ein Akti­ons­plan öffent­li­cher Auf­ga­ben und Maß­nah­men sein. Er ist demo­kra­tisch zu ent­wi­ckeln und durch­zu­set­zen. Ent­schei­dend ist dabei die Errin­gung gesell­schaft­li­cher Kon­trol­le über die Kon­zern­zen­tra­len als Kno­ten­punk­te wirt­schaft­li­cher und damit letzt­lich auch poli­tisch, medi­al, öko­lo­gisch und sozi­al wirk­sa­mer Macht.

Unse­re Antworten
Dem Klas­sen­kampf von oben kann nur effek­tiv begeg­net wer­den, wenn es gelingt, eine brei­te und kon­se­quen­te Bewe­gung von unten zu ent­wi­ckeln. Immer­hin gibt es dafür in der letz­ten Zeit ver­stärkt posi­ti­ve Ansätze.

1. Die Warn­streiks im Öffent­li­chen Dienst haben gezeigt, dass Arbeits­kämp­fe auch in Zei­ten der Pan­de­mie mög­lich sind. Sie hat­ten mehr unein­ge­schränk­te und prak­ti­sche Soli­da­ri­tät ver­dient. Die Koope­ra­ti­on von ver.di, Fri­days for Future und ande­ren bei der Aus­ein­an­der­set­zung um den Tarif­ver­trag Nah­ver­kehr (TVN) ist ein wich­ti­ger Schritt in eine begrü­ßens­wer­te Rich­tung gewe­sen. Der lei­der jetzt von der all­ge­mei­nen Tarif­run­de des Öffent­li­chen Diensts abge­kop­pel­te Streit um den TVN erfor­dert umso mehr die Soli­da­ri­tät aller, die eine Ver­kehrs­wen­de wollen.

2. Die pro­vo­kan­te Ver­hand­lungs­füh­rung der Gegen­sei­te im Öffent­li­chen Dienst kam nicht zufäl­lig. Der Kon­flikt um einen neu­en Tarif­ver­trag war nicht nur für ver.di selbst, son­dern auch dar­über hin­aus von gro­ßer klas­sen­po­li­ti­scher Bedeu­tung. Die anfangs brüs­ke Zurück­wei­sung der zen­tra­len Gewerk­schafts­for­de­rung für die 2,3 Mil­lio­nen Beschäf­tig­ten – 4,8 % mehr Ent­gelt, min­des­tens aber 150 Euro pro Monat bei einer Lauf­zeit von 12 Mona­ten – hat für sich gespro­chen. Der jetzt ver­ein­bar­te Tarif­ab­schluss bedeu­tet für die meis­ten Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen eine – wenn über­haupt – nur sehr klei­ne Real­lohn­stei­ge­rung und für die Gewerk­schaft die Aus­set­zung der Tarif­po­li­tik für 28 Mona­te. Die­ses schwa­che Ergeb­nis droht auch Aus­wir­kun­gen auf die Anfang 2021 anste­hen­de Tarif­run­de in der Metall- und Elek­tro­in­dus­trie zu haben, dem bedeu­tends­ten indus­tri­el­len Sek­tor des Landes.

3. Der Kampf gegen die Pan­de­mie ist ange­sichts der zwei­ten Wel­le wie­der in den Fokus des Gesche­hens gerückt. Wirk­sa­mer, gesetz­lich garan­tier­ter Gesund­heits­schutz für alle muss des­halb auch an ers­ter Stel­le ste­hen. Er hat die Auf­ga­be, in einem kon­trol­lier­ba­ren Kreis­lauf­pro­zess die Ursa­chen von Gesund­heits­ge­fähr­dun­gen ganz­heit­lich zu bekämp­fen. Auf­klä­rung der Bevöl­ke­rung und Prä­ven­ti­on sind dabei vor­ran­gig. Nach wie vor feh­len aber eine sys­te­ma­ti­sche und kon­ti­nu­ier­li­che Unter­rich­tung aller sowie eine prak­ti­sche Ein­übung der ein­fa­chen AHAL-Regeln, die bereits ein drei­jäh­ri­ges Kind ver­ste­hen und umset­zen kann. Nach wie vor feh­len kos­ten­lo­se und wirk­sa­me Schutz­mas­ken für alle.

4. Vor allem müs­sen sofort alle Beschäf­tig­ten in Bil­dungs-, Dienst­ leis­­tungs-, Gesund­heits-, Han­­dels-, Indus­­trie­-, Pfle­­ge-, und Verkehrsbe­rei­chen unter strik­ter Durch­set­zung der seit 1996 gel­ten­den gesetz­li­chen Arbeits­schutz­vor­schrif­ten wirk­sam geschützt werden.

Kund­ge­bung am 1. Mai 2020 in Mann­heim ( Foto: helmut-roos@web.de)

5. Die neu­en pau­scha­li­sie­ren­den Coro­na-Ver­ord­nun­gen zei­gen, wie sehr sich die Herr­schen­den und ihre Poli­tik bedin­gungs­los für den Auf­schwung der Pro­fi­te im Dienst des Groß­ka­pi­tals ein­set­zen. Aber sie haben die Zeit nicht genutzt, um die offen­kun­di­gen und schwer­wie­gen­den Män­gel beim Gesund­heits­schutz seit Beginn der Pan­de­mie grund­le­gend zu behe­ben (aus­rei­chen­des, qua­li­fi­zier­tes Per­so­nal für den Pfle­ge­be­reich – ins­be­son­de­re für die Inten­siv­sta­tio­nen – und für die Gesund­heits­äm­ter, gesell­schaft­lich kon­trol­lier­te und nicht pro­fit- ori­en­tier­te Ent­wick­lung von Medi­ka­men­ten und Impf­stof­fen …). Sie haben zudem ver­säumt, den Bil­dungs­be­reich tech­nisch, orga­ni­sa­to­risch und per­so­nell bes­ser aus­zu­stat­ten, um siche­ren Unter­richt auch im Herbst und Win­ter gewähr­leis­ten zu können.

6. Die Herr­schen­den reagie­ren statt­des­sen mit einem chao­ti­schen Fli­cken­tep­pich von oft wir­kungs­lo­sen und daher unsin­ni­gen „Maß­nah­men“ („Beher­ber­gungs­ver­bot“, Ver­bot kul­tu­rel­ler Ver­an­stal­tun­gen …), die sie auf dem Ver­ord­nungs­weg durch­set­zen. Dabei redu­zie­ren sie neben­bei die zahl­rei­chen gewähl­ten Abge­ord­ne­ten noch mehr zu teu­er bezahl­ten Sta­tis­tin­nen und Sta­tis­ten, demon­tie­ren die „Herz­kam­mer“ der par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie und schrän­ken wesent­li­che Rech­te unter dem Vor­wand des Kamp­fes gegen COVID-19 ein. Dem gilt es ent­ge­gen­zu­tre­ten, indem wir die Grund- und Men­schen­rech­te ver­tei­di­gen und Initia­ti­ven für direk­te und akti­vie­ren­de Demo­kra­tie ent­wi­ckeln. Eine den Inter­es­sen der Beschäf­tig­ten und Benach­tei­lig­ten ver­pflich­te­te Poli­tik setzt sich für den Auf­bau demo­kra­tisch gewähl­ter Komi­tees in allen Betrie­ben, Ein­rich­tun­gen, Orten und Orts­tei­len zur Umset­zung und Kon­trol­le der erfor­der­li­chen Gesund­heits­schutz­maß­nah­men ein.

7. Ansät­ze dafür bil­den sich zum Bei­spiel in der Kli­ma- und Natur­schutz­be­we­gung her­aus (Ham­ba­cher Forst, Dan­nen- röder Wald …). Es ist seit Jahr­zehn­ten klar, dass eine wirk­sa­me Bekämp­fung der Kli­ma­ka­ta­stro­phe und der Natur­zer­stö­rung eine grund­le­gen­de und umfas­sen­de Wen­de erfor­dert. Ihr Erfolg hängt davon ab, ob sie die pro­fit­ge­trie­be­ne Logik in prak­tisch allen wirt­schaft­li­chen Berei­chen stop­pen und durch eine gesell­schaft­li­che, demo­kra­tisch geplan­te öko­lo­gi­sche Neu­aus­rich­tung jen­seits des Kapi­ta­lis­mus über­win­den kann.

8. Gegen Arbeits­lo­sig­keit und Kurz­ar­beit für Mil­lio­nen muss die Arbeit auf alle ver­teilt wer­den – durch die Arbeits­zeit­ver­kür­zung ohne Lohn­ver­lust und mit Per­so­nal­aus­gleich in Stu­fen: 35-Stun­den­wo­che, 30-Stun­den­wo­che usw. Leih­ar­beit, Werk­ver­trä­ge und alle For­men pre­kä­rer Beschäf­ti­gung müs­sen eben­so wie Ent­las­sun­gen ver­bo­ten werden.

9. Armut und Woh­nungs­not müs­sen bekämpft wer­den. Des­halb ist das Exis­tenz­mi­ni­mum aller durch die Kri­se in Not gera­te­nen Men­schen unbü­ro­kra­tisch zu sichern. Ein garan­tier­ter Min­dest­lohn von 15 € und dar­über hin­aus eine gesell­schaft­li­che Grund­si­che­rung von 1.500 € sind umge­hend ein­zu­füh­ren. Das Grund­recht auf Woh­nen muss durch die Ver­ge­sell­schaf­tung von Grund und Boden vor allem in den Städ­ten sowie das Ver­bot von Immo­bi­li­en­spe­ku­la­ti­on und die Ent­eig­nung von Woh­nungs­kon­zer­nen durch­ge­setzt werden.

10. Das Geld für die Finan­zie­rung all die­ser und mög­li­cher ande­rer Maß­nah­men ist da. Es muss „nur“ von den Rei­chen und Super­ei­chen, von den Invest­ment­fonds und Kon­zer­nen zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Die Auf­he­bung des „Geschäfts­ge­heim­nis­ses“ durch die Offen­le­gung der Fir­men­kon­ten bei Unter­neh­men, die Arbeits­plät­ze ver­nich­ten und Sub­ven­tio­nen aus Steu­er­mit­teln erhal­ten, das Auf­de­cken und das Unter­bin­den der Mecha­nis­men der „Steu­er-Opti­mie­rung“ und der Geld­wä­sche, die Beschlag­nah­mung der durch Kon­zer­ne und Ein­zel­per­so­nen im Aus­land ver­steck­ten Mil­li­ar­den, die direk­te Haf­tung der Kon­zer­ne und Fonds für die durch ihre Machen­schaf­ten ver­ur­sach­ten gesell­schaft- lichen und öko­lo­gi­schen Schä­den, eine Soli­da­ri­täts­steu­er von min­des­tens 20 % auf alle Geld­ver­mö­gen über 1 Mil­li­on Euro und eine Ver­mö­gen­steu­er von 80 % für alle Ein­kom­men, die das Tau­send­fa­che des Durch­schnitts betra­gen – all das wird im Kampf gegen die Aus­beu­tung des Men­schen und sei­ner Mit­welt spür­bar helfen.

Soli­da­ri­sche Front jetzt!
Ent­schei­dend ist jetzt, die Bün­de­lung und gegen­sei­ti­ge Unter­stüt­zung aller gegen die Kapi­tal­in­ter­es­sen gerich­te­ten Bewe­gun­gen zu ver­stär­ken. Dies erfor­dert ein orga­ni­sier­tes und orga­ni­sie­ren­des Enga­ge­ment für den Auf­bau einer soli­da­ri­schen Front nicht nur der sozia­len Bewe­gun­gen, son­dern auch der lin­ken und gewerk­schaft­li­chen Organisationen.

Nur so kön­nen die herr­schen­den Ver­hält­nis­se zum Tan­zen gebracht werden.

Mehr denn je gilt: Unser Leben oder ihre Profite!

29. Okto­ber 2020


Theo­rie­bei­la­ge Avan­ti² Rhein-Neckar Novem­ber 2020
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