„Da war mehr drin“
U. D.
Die Tarifrunde 2020 im Öffentlichen Dienst ist zu Ende. Sie war geprägt durch die mit Pandemie und Krise begründeten „Sparappelle“ aus „Wirtschaft und Politik“, die zögerliche Haltung der Gewerkschaftsführung und die Provokationen der öffentlichen „Arbeitgeber“.
Zögerliche Gewerkschaftsführung
Die Gewerkschaftsführung hätte die Tarifrunde 2020 gerne in das Frühjahr 2021 verschoben. Ein entsprechendes Angebot von ver.di stieß jedoch bei den „Arbeitgebern“ auf Ablehnung. Deshalb schlugen sie, wie es der ver.di-Vorsitzende Werneke formulierte, die „ausgestreckte Hand“ der Gewerkschaften aus.
So war die Gewerkschaftsführung gezwungen, die Tarifrunde 2020 zu starten und trotz Pandemie Tarifaktionen einschließlich Warnstreiks zu organisieren. Dabei wurde immer wieder deutlich, dass sie keine Verschärfung der Tarifrunde und keine Ausweitung der Streiks, sondern einen schnellen und „verkaufsfähigen“ Abschluss wollte.
Harte „Arbeitgeber“
Die öffentlichen „Arbeitgeber“ sahen sich in Zeiten der Wirtschaftskrise und der Pandemie in einer starken Position. Sie witterten die Chance, die Gewerkschaft zu schwächen und ein niedriges Tarifergebnis durchsetzen zu können. Sie handelten stellvertretend für die Kapitalinteressen in den kommenden Tarifrunden und wollten ein tarifpolitisches Zeichen gegen gewerkschaftliche Forderungen setzen.
Mit dem vorliegenden Tarifergebnis ist ihnen dies zum Teil gelungen. Laut Handelsblatt liegt es – bei einem Gesamtvolumen von 6,1 Milliarden Euro – „nur“ 100 Millionen Euro über dem ursprünglichen Angebot der „Arbeitgeber“, aber deutlich unter den gewerkschaftlichen Forderungen.
Warnstreiks trotz Pandemie
Möglicherweise haben sich die öffentlichen „Arbeitgeber“ aber politisch in einem Punkt verrechnet. Teile der gewerkschaftlichen Basis und der Beschäftigten waren trotz Verunsicherung durch Krise und Pandemie und trotz aller Corona-Auflagen willens und in der Lage, Warnstreiks und andere Tarif- aktionen zu organisieren. Erneut bewiesen die Kolleginnen und Kollegen im Öffentlichen Dienst – gerade auch im Verkehrsbereich – ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Mobilisierung. Dies zeigte sich auch in der Region Rhein-Neckar. Zwar gab es keine breite und nennenswerte Bewegung in den Belegschaften für die Ausweitung des Kampfes, aber es bleibt doch die wichtige Botschaft an die Beschäftigten anderer Branchen: Auch in der Pandemie sind Kämpfe möglich.
„Tariffragen sind Machtfragen“
Diese Feststellung von Willi Bleicher, dem ehemaligen IG-Metall-Bezirksleiter in Stuttgart, hat immer noch Gültigkeit. In Tarifrunden wird das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Beschäftigten und „Arbeitgebern“ immer wieder aufs Neue ausgelotet.
Diesbezüglich wäre in dieser Tarifrunde mehr „drin“ gewesen. Aber die beteiligten Gewerkschaftsführungen wollten jegliche Eskalation vermeiden. Sie haben einer „Tarifruhe“ von 28 Monaten und der Abkoppelung des Streits um den Tarifvertrag Nahverkehr zugestimmt. Damit haben sie eine weitere Chance vertan, das Kräfteverhältnis positiv zu Gunsten der Beschäftigten zu verändern.
Unsere Schlussfolgerungen
Das Kräfteverhältnis wird aber nicht nur in Tarifrunden verändert, sondern auch in der täglichen gewerkschaftlichen Praxis in den Betrieben. Daraus leiten wir folgende praktische Schwerpunkte ab:
1. Der Widerstand gegen die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen wird in den Betrieben organisiert. Darum setzen wir uns für den Aufbau aktiver, solidarischer und kämpferischer Kerne in den Betrieben ein.
2. Wir treten für die überbetriebliche Vernetzung und gegenseitige Solidarität dieser Kerne ein.
3. Wir versuchen in den Gewerkschaften eine klassenkämpferische Strömung aufzubauen, deren wesentliches Fundament die aktiven Kerne in den Betrieben sind.