N. B.
Die Herrschenden stellen den neoliberalen Kapitalismus gerne als alternativlos dar. Damit lassen wir uns nicht abspeisen und haben uns bei unserem achtzehnten hybriden Infoabend gefragt, wie eine emanzipierte Gesellschaft ohne Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur aussehen könnte.
Träumen und Utopien ließen wir am 23. Juli freien Lauf, fragten aber auch immer wieder danach, was denn tatsächlich wünschenswert und was möglich ist. Zum Einstieg in die Diskussion nahm unser Referent uns mit auf eine Reise in die zukünftige Welt. Solidarisch organisiert solle sie sein. Die Abschaffung von Klassen und sozialen Ungleichheiten werde jede Form der Herrschaft obsolet machen, Entscheidungen würden dann von allen Menschen gemeinsam getroffen. Möglich machen solle das unter anderem die Einführung einer einzigen gemeinsamen Sprache.
In der anschließenden Diskussion wurde die Frage der Machbarkeit und Sinnhaftigkeit einer solchen Organisationsform aufgeworfen. Dabei wurde deutlich, dass es Ent- scheidungen auf unterschiedlichen Ebenen des gesellschaftlichen Miteinanders geben muss und lokale, regionale oder andere spezifische Interessen und Bedingungen nicht einfach übergangen werden dürfen.
Die politische Organisationsform, in der das bisher am besten gelungen ist, ist ein Rätesystem. Wenn Betriebe, Stadtviertel und andere Organisationszusammenhänge ihre eigenen Vertretungen wählen, die wiederum Abgeordnete auf höhere Ebenen entsenden, können sowohl spezifische als auch allgemeine Interessen gewahrt werden. Mit dem ersten Beispiel eines solchen gesellschaftlichen Versuchs konnten wir uns kurz darauf in unserem Sommerseminar auseinandersetzen: mit der Pariser Kommune 1871.
Zwischen Utopie und Dystopie
Aufbauend auf dem Referat entspann sich eine angeregte Diskussion entlang der Frage der Technologie. Welche Möglichkeiten bietet die Weiterentwicklung der Technik für die gesellschaftliche Emanzipation? Welche Gefahren birgt sie? Und wie stellen wir uns diese Emanzipation überhaupt vor? Dabei ging es einerseits um die Frage, ob es ein erstrebenswertes Ziel sei, unsere Lebenswelt auf den Weltraum auszuweiten. Andererseits wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit digitale Technologie noch weiter in unsere alltägliche Kommunikation aufgenommen werden soll und welche Rolle die Gentechnik zur Verbesserung des menschlichen Lebens spielen kann.
Hierbei wurde deutlich, dass der Grat zwischen Utopie und Dystopie sehr schmal sein kann. Die Begeisterung für das, was technisch möglich sein könnte, verdrängt zuweilen die Wahrnehmung dessen, was mensch- lich und gesellschaftlich möglich ist, ohne dabei räumlich immer weiter zu expandieren und menschliche Körper zu optimieren. Die technologische Weiterentwicklung steht so nicht nur in einem Spannungsverhältnis zu einem harmonischen Umgang mit unserer natürlichen Umwelt, sondern auch zu einem erfüllten, befreiten menschlichen Miteinander.
Statt überhöhter Fortschrittsphantasien wollen wir uns für eine Gesellschaft einsetzen, in der Menschen mit all ihren körperlichen und geistigen Unterschieden gut miteinander leben können. Die menschlichen Kräfte, die in einer befreiten Gesellschaft entfesselt würden, wollen wir statt in unkontrollierte technische Entwicklungen eher in Bereiche wie Erziehung und Bildung fließen lassen.
Der Weg zur Utopie?
Schließlich wurde in der Diskussion die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Utopien gestellt. Können wir uns überhaupt Vorstellungen davon machen, wie ein Leben ohne die Zwänge, die Ausbeutung und die Unterdrückung in allen bisherigen Herrschaftsformen aussehen würde? Und wie hilfreich sind derartige Träumereien?
Eine Utopie kann Kraft geben und uns immer wieder daran erinnern, dass die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse nicht auf Naturbedingungen, sondern auf einem Herrschaftssystem fußen. Mindestens genauso wichtig wie die Utopie einer befreiten Gesellschaft ist aber, dass wir in unserer alltäglichen Praxis an realen Problemen anknüpfen und glaubwürdige Alternativen vermitteln, die einen kleinen Ausblick auf das geben, was in einer anderen Gesellschaft möglich wäre und wofür es lohnt zu kämpfen.