Arbeits­zeit­ver­kür­zung bis alle Arbeit haben?

Hoch­mo­der­ne Vor­schlä­ge in alter Sprache

 

M. G.

Die wich­ti­ge Fra­ge der Arbeits­zeit­ver­kür­zung ist erfreu­li­cher­wei­se wie­der aktuell.

Im Stahl­be­reich for­dert die IG Metall die 32-Stun­den­wo­che mit vol­lem Lohn­aus­gleich und bei der Bahn die GDL für Schicht­ar­bei­ten­de die 35-Stun­den­wo­che „ohne antei­li­ge Lohn- absenkung“.

Aufkleber 30-Stunden-Woche.

Auf­kle­ber 30-Stunden-Woche.

Es fehlt jedoch jeweils die ergän­zen­de For­de­rung nach vol­lem Per­so­nal­aus­gleich. Vor allem aber fehlt ein stra­te­gisch ange­leg­ter gewerk­schafts­über­grei­fen­der Kampf für eine all­ge­mei­ne Arbeits­zeit­ver­kür­zung. Bei­des ist jedoch unab­ding­bar, um das Recht auf Arbeit durch­set­zen zu können.

Der fol­gen­de Text begrün­det in der alten Spra­che des Jah­res 1938 die hoch­mo­der­ne Per­spek­ti­ve der Arbeits­zeit­ver­kür­zung für alle. Sie ist sowohl aus sozia­len Grün­den (Kampf gegen Erwerbs­lo­sig­keit und pre­kä­re Beschäf­ti­gung, wirk­sa­mer Gesund­heits­schutz in der Arbeits­welt) als auch aus Grün­den des Kli­ma- und Natur­schut­zes drin­gend erforderlich.

* * * * * * *

Unter den Bedin­gun­gen des sich zer­set­zen­den Kapi­ta­lis­mus füh­ren die Mas­sen wei­ter das düs­te­re Leben von Unter­drück­ten, die jetzt mehr denn je von der Gefahr bedroht sind, in den Abgrund der Ver­elen­dung gewor­fen zu wer­den. Sie sind gezwun­gen, ihr biß­chen Brot zu ver­tei­di­gen, wenn sie es schon nicht ver­grö­ßern oder ver­bes­sern kön­nen. Es besteht weder die Mög­lich­keit noch die Not­wen­dig­keit, hier all die ver­schie­de­nen Teil­for­de­run­gen auf­zu­zäh­len, die jeweils aus den kon­kre­ten natio­na­len, loka­len oder gewerk­schaft­li­chen Bedin­gun­gen her­vor­ge­hen. Aber zwei wirt­schaft­li­che Grund­übel, in denen sich die wach­sen­de Sinn­lo­sig­keit des kapi­ta­lis­ti­schen Sys­tems zusam­men­faßt, näm­lich die Erwerbs­lo­sig­keit und die Teue­rung, erfor­dern ver­all­ge­mei­ner­te Losun­gen und Kampfmethoden.

Die IV. Inter­na­tio­na­le erklärt der Poli­tik der Kapi­ta­lis­ten einen unver­söhn­li­chen Krieg, einer Poli­tik, die zu einem beträcht­li­chen Teil – genau­so wie die Poli­tik ihrer Agen­ten, der Refor­mis­ten – dar­auf abzielt, auf die Arbei­ter­schaft die gan­ze Last des Mili­ta­ris­mus, der Kri­se, der Zer­rüt­tung der Geld­sys­te­me und ande­rer Übel des kapi­ta­lis­ti­schen Nie­der­gangs abzu­wäl­zen. Die IV. Inter­na­tio­na­le for­dert Arbeit und eine wür­di­ge Exis­tenz für alle.

Weder Geld­in­fla­ti­on der Wäh­rung noch Sta­bi­li­sie­rung kön­nen dem Pro­le­ta­ri­at als Losun­gen die­nen, denn das sind nur die zwei Sei­ten ein und der­sel­ben Medail­le. Gegen die Teue­rung, die mit dem Her­an­na­hen des Krie­ges einen immer zügel­lo­se­ren Cha­rak­ter anneh­men wird, kann man nur kämp­fen mit der Losung der glei­ten­den Lohn­ska­la. Das heißt, daß Tarif­ver­trä­ge eine auto­ma­ti­sche Erhö­hung der Löh­ne par­al­lel zu den Preis­stei­ge­run­gen der Ver­brauchs­gü­ter garan­tie­ren müssen.

Will sich das Pro­le­ta­ri­at nicht selbst dem Unter­gang aus­lie­fern, dann darf es nicht dul­den, daß ein wach­sen­der Teil der Arbei­ter­schaft zu chro­nisch erwerbs­lo­sen Armen gemacht wird, der von den Bro­sa­men einer sich zer­set­zen­den Gesell­schaft leben muß. Das Recht auf Arbeit ist das ein­zig ernst­haf­te Recht, das der Arbei­ter in einer auf Aus­beu­tung begrün­de­ten Gesell­schaft besitzt. Jedoch wird ihm die­ses Recht in jedem Augen­blick genom­men. Es ist an der Zeit, sowohl gegen die „struk­tu­rel­le“ wie die „kon­junk­tu­rel­le“ Erwerbs­lo­sig­keit neben der For­de­rung nach öffent­li­chen Arbei­ten die Losung der glei­ten­den Ska­la der Arbeits­zeit zu pro­pa­gie­ren. Die Gewerk­schaf­ten und ande­re Mas­sen­or­ga­ni­sa­tio­nen müs­sen die­je­ni­gen, die Arbeit haben, und die­je­ni­gen, die kei­ne haben, durch die gegen­sei­ti­ge Ver­pflich­tung zur Soli­da­ri­tät ver­bin­den. Auf die­ser Grund­la­ge muß die ver­füg­ba­re Arbeit unter alle ver­füg­ba­ren Arbeits­kräf­te auf­ge­teilt und so die Dau­er der Arbeits­wo­che bestimmt wer­den. Der Durch­schnitts­lohn jedes Arbei­ters bleibt der glei­che wie bei der bis­he­ri­gen Arbeits­wo­che. Der Lohn, mit einem fest garan­tier­ten Mini­mum, folgt der Bewe­gung der Prei­se. Kein ande­res Pro­gramm ist für die jet­zi­ge Peri­ode der Kata­stro­phen annehmbar.

Die Besit­zen­den und ihre Anwäl­te wer­den die „Unmög­lich­keit“ dar­le­gen, die­se For­de­run­gen zu ver­wirk­li­chen. Die klei­ne­ren Kapi­ta­lis­ten, ins­be­son­de­re die­je­ni­gen, die dem Ruin ent­ge­gen­ge­hen, wer­den außer­dem auf ihre Buch­füh­rung ver­wei­sen. Die Arbei­ter wer­den kate­go­risch sol­che Argu­men­te und Emp­feh­lun­gen zurück­wei­sen. Es han­delt sich nicht um den „nor­ma­len“ Zusam­men­stoß ent­ge­gen­ge­setz­ter mate­ri­el­ler Inter­es­sen. Es geht dar­um, das Pro­le­ta­ri­at vor Ver­fall, Demo­ra­li­sie­rung und Ruin zu bewah­ren. Es geht um Leben und Tod der ein­zig schöp­fe­ri­schen und fort­schritt­li­chen Klas­se und damit um die Zukunft der Mensch­heit selbst. Wenn der Kapi­ta­lis­mus unfä­hig ist, die For­de­run­gen zu befrie­di­gen, die unaus­weich­lich aus den Übeln her­vor­ge­hen, die er selbst erzeugt hat, dann soll er unter­ge­hen! Die „Mög­lich­keit“ oder „Unmög­lich­keit“, die­se For­de­run­gen zu ver­wirk­li­chen, ist hier­bei eine Fra­ge des Kräf­te­ver­hält­nis­ses, die nur durch den Kampf gelöst wer­den kann. Durch die­sen Kampf – was auch immer sei­ne unmit­tel­ba­ren prak­ti­schen Erfol­ge sein mögen – wer­den die Arbei­ter am bes­ten die Not­wen­dig­keit begrei­fen, die kapi­ta­lis­ti­sche Skla­ve­rei zu beseitigen.*


* [Aus „Der Todes­kampf des Kapi­ta­lis­mus und die Auf­ga­ben der IV. Inter­na­tio­na­le (Das Über­gangs­pro­gramm)“, in: Wolf­gang Alles (Hg.), Die kom­mu­nis­ti­sche Alter­na­ti­ve, Tex­te der Lin­ken Oppo­si­ti­on und IV. Inter­na­tio­na­le 1932 - 1985, Frank­furt a. M. 1989, S. 66 f. Wir geben den Text gemäß der dama­li­gen Recht­schrei­bung wieder.]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Dezem­ber 2023
Tagged , , , , . Bookmark the permalink.