Berufs­ver­bo­te

Setzt Kret­sch­mann auf „bio­lo­gi­sche Lösung“?

 

Mar­tin Hornung

Ein Vier­tel der 400 im „Länd­le“ von Berufs­ver­bot Betrof­fe­nen kam aus dem Rhein-Neckar-Raum. Die Abend­aka­de­mie Mann­heim zeigt dazu die Aus­stel­lung „Ver­ges­se­ne Geschichte“.

Die Berufs­ver­bo­te-Wan­der­aus­stel­lung wird in Zusam­men­ar­beit mit DGB Nord­ba­den und IG Metall Mann­heim bis zum 7. Mai 2019 an der Abend­aka­de­mie gezeigt. Rund 90 Per­so­nen kamen am 20. März zur Eröff­nungs­ver­an­stal­tung, dar­un­ter der Mann­hei­mer SPD-Land­tags­ab­ge­ord­ne­te Boris Wei­rauch und zwei Ver­tre­te­rin­nen eines For­schungs­teams an der Uni Hei­del­berg zum „Radi­ka­len­er­lass“.

Forderungen der Berufsverbot-Betroffenen aus der Rhein-Neckar-Region in Mannheim, 20. März 2019 (Foto: Privat)

For­de­run­gen der Berufs­ver­bot-Betrof­fe­nen aus der Rhein-Neckar-Regi­on in Mann­heim, 20. März 2019 (Foto: Privat)

Nach der Begrü­ßung durch Aka­de­mie-Abtei­lungs­lei­te­rin Ger­lin­de Kam­mer und DGB-Regi­ons­ge­schäfts­füh­rer Lars Treusch hielt Rechts­an­walt Klaus Dam­mann (Ham­burg) das Haupt­re­fe­rat. Er war 1987 am Über­prü­fungs­ver­fah­ren der Inter­na­tio­na­len Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on (ILO) und 1995 am Pro­zess vor dem Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) in Stras­bourg beteiligt.

Tau­be, stum­me Verfassungsrichter“
Dem EGMR zufol­ge stell­ten die Berufs­ver­bo­te eine unzu­läs­si­ge Dis­kri­mi­nie­rung in Beruf und Beschäf­ti­gung dar und ver­stie­ßen gegen die Mei­nungs- und Vereinigungsfreiheit.

Die Leh­re­rin Doro­thea Vogt muss­te damals wie­der­ein­ge­stellt und ihr eine Ent­schä­di­gung von 223.000 DM gezahlt wer­den. In der Fol­ge­zeit hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt die Ent­schei­dung ein­fach igno­riert und kei­ne wei­te­ren Ver­fah­ren ange­nom­men. Dam­mann hat dies 1999 in der Zeit­schrift Ossietz­ky mit den Wor­ten „tau­be, stum­me Ver­fas­sungs­rich­ter“ kommentiert.

Für die baden-würt­tem­ber­gi­sche „Initia­tiv­grup­pe 40 Jah­re Radi­ka­len­er­lass“ berich­te­te Mar­tin Hor­nung in Mann­heim anhand von zwölf kon­kre­ten Bei­spie­len über die Betrof­fe­nen im Rhein-Neckar-Raum. Micha­el Csaszkóc­zy erläu­ter­te die Aus­stel­lung und Bernd Köh­ler sorg­te für den musi­ka­li­schen Rah­men. Der Musi­ker trug unter ande­rem ein Lied vor, das er vor vier­zig Jah­ren einem Betrof­fe­nen gewid­met hatte.

In der Regi­on wur­den in den 1970er Jah­ren rund 100 Berufs­ver­bo­te ver­hängt. Hin­zu kam 2004 die vier Jah­re dau­ern­de Nicht­ein­stel­lung des anti­fa­schis­ti­schen Leh­rers Csaszkóczy.

Eine der ers­ten Ent­las­sun­gen war 1973 die eines Reli­gi­ons­leh­rers am Wein­hei­mer Gym­na­si­um. Er hat­te Zustän­de in einer 11. Klas­se in Frank­furt ange­pran­gert: Schü­ler hat­ten sich dort auf Befehl des Leh­rers ans Fens­ter stel­len müs­sen, weil die Son­nen­ja­lou­sie klemm­te, er aber im Schat­ten sit­zen woll­te. In Hei­del­berg demons­trier­ten 850 Men­schen gegen die Ent­las­sung eines Gym­na­si­al­leh­rers, der gemaß­re­gel­te Schü­ler unter­stützt hat­te. 1976 orga­ni­sier­te ein Akti­ons­ko­mi­tee einen Son­der­zug, mit dem aus Mann­heim, Hei­del­berg und Umge­bung 1.000 zur lan­des­wei­ten Demons­tra­ti­on in Stutt­gart fuhren.

Berufs­ver­bo­te-Hoch­burg“ Heidelberg
„Berufs­ver­bo­te-Hoch­burg“ war die Päd­ago­gi­sche Hoch­schu­le (PH) Hei­del­berg. Bei den meis­ten der dort rund fünf­zig abge­lehn­ten Leh­re­rin­nen und Leh­rern erfolg­te dies mit der Begrün­dung „Kan­di­da­tur für lin­ke Hoch­schul­grup­pen“, aber auch wegen der Teil­nah­me an einer Demons­tra­ti­on gegen Fahr­preis­er­hö­hun­gen oder wie bei Hor­nung wegen der blo­ßen Unter­schrift unter eine Pro­test­er­klä­rung gegen den „Schieß-Erlass“ (der baden-würt­tem­ber­gi­schen Vari­an­te des Minis­ter­prä­si­den­ten­er­las­ses von 1972, benannt nach dem dama­li­gen CDU-Innen­mi­nis­ter Karl Schieß, der unter den Nazis als „Haken­kreuz-Kar­le“ bekannt war).

2012, zum 40. Jah­res­tag des „Radi­ka­len­er­las­ses“, haben 269 Betrof­fe­ne die Erklä­rung „Betrof­fe­ne for­dern: end­lich Auf­ar­bei­tung und Reha­bi­li­tie­rung!“ ver­öf­fent­licht, in der sie nicht nur das Ende der Bespit­ze­lun­gen, son­dern auch Ent­schä­di­gun­gen ver­lang­ten. Knapp ein Zehn­tel der Unter­zeich­ne­rIn­nen kam aus dem Rhein-Neckar-Raum, drei von ihnen sind bereits ver­stor­ben. Bun­des­weit waren die Betrof­fe­nen über­wie­gend gezwun­gen, die Berufs- und Lebens­per­spek­ti­ve zu wech­seln. Vie­len wur­de die Exis­tenz ver­nich­tet. Eini­ge wan­der­ten aus oder begin­gen Suizid.

Die Aus­stel­lung „Ver­ges­se­ne Geschich­te“ wur­de seit 2015 in fast fünf­zig Städ­ten gezeigt, 2017 in Hei­del­berg zum ers­ten Mal an einer PH. Stu­den­tin­nen führ­ten dort im Rah­men eines Semi­nars Inter­views mit Zeit­zeu­gen durch (zu sehen auf www.youtube.com/channel/UCFPYMXG6-pLzcfAPSa-0blg). Das Mate­ri­al fand Ein­gang in Examens­ar­bei­ten und wur­de 2018 in einer PH-Schrif­ten­rei­he auf 60 Sei­ten auf­ge­ar­bei­tet. Das Stu­die­ren­den­par­la­ment unter­stütz­te die Betrof­fe­nen und ihre For­de­run­gen in einer Reso­lu­ti­on an den Land­tag. Im Novem­ber 2018 war die Aus­stel­lung auch erst­mals an einer Schu­le in Kas­sel zu sehen.

Von CDU - Diese Datei wurde Wikimedia Commons freundlicherweise von der Konrad-Adenauer-Stiftung im Rahmen eines Kooperationsprojektes zur Verfügung gestellt., CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30236909.

Von CDU - Die­se Datei wur­de Wiki­me­dia Com­mons freund­li­cher­wei­se von der Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung im Rah­men eines Koope­ra­ti­ons­pro­jek­tes zur Ver­fü­gung gestellt., CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30236909.

Kret­sch­mann blo­ckiert Rehabilitierung
In Bre­men und Nie­der­sach­sen (130 Betrof­fe­ne) konn­ten 2014 und 2016 Beschlüs­se der Lan­des­par­la­men­te zur Reha­bi­li­tie­rung der Berufs­ver­bots-Opfer erreicht wer­den. In Ham­burg hat der Senat 2018 zumin­dest „Bedau­ern“ aus­ge­spro­chen und „Auf­ar­bei­tung“ zuge­sagt. In Baden-Würt­tem­berg wird die Initia­tiv­grup­pe seit sechs Jah­ren aus­ge­bremst, haupt­säch­lich durch den Grü­nen-Minis­ter­prä­si­den­ten Kret­sch­mann (1975 als KBW-Mit­glied zeit­wei­lig selbst von Berufs­ver­bot betrof­fen). 2016 hat er vor der Land­tags­wahl einen „Run­den Tisch“ von zwei Grü­nen- und einer SPD-Abge­ord­ne­ten mit Betrof­fe­nen vor einem Antrag im Land­tag plat­zen las­sen, obwohl er bereits 2012 schrift­lich „wis­sen­schaft­li­che Auf­ar­bei­tung“ zuge­sagt hatte.

Am „Tag der Men­schen­rech­te“ im Dezem­ber 2018 hat die Initia­tiv­grup­pe auf dem Stutt­gar­ter Schloss­platz ihre drit­te Kund­ge­bung durch­ge­führt. Zwei Wochen zuvor hat­te sie über eine Anfra­ge der SPD-Land­tags­frak­ti­on zufäl­lig erfah­ren, dass seit August 2018 an der Uni Hei­del­berg ein drei­jäh­ri­ges For­schungs­pro­jekt läuft: „Ver­fas­sungs­fein­de im Land? Baden-Würt­tem­berg, ’68 und der Radi­ka­len­er­lass, 1968 bis 2018.“

Die Betrof­fe­nen waren dar­über nicht infor­miert. Staats­mi­nis­te­rin Schop­per (Grü­ne) leg­te in einer Stel­lung­nah­me auch Wert auf die Fest­stel­lung: „Das Pro­jekt wur­de weder vom Minis­ter­prä­si­den­ten noch von der Lan­des­re­gie­rung in Auf­trag gege­ben.“ Man begrü­ße das Vor­ha­ben jedoch, das Wis­sen­schafts­mi­nis­te­ri­um habe 248.000 Euro För­der­mit­tel zur Ver­fü­gung gestellt.

Die „Initia­tiv­grup­pe 40 Jah­re Radi­ka­len­er­lass“ hat sich selbst an das For­schungs-Team gewandt und erhielt die Mit­tei­lung, auch Betrof­fe­ne wür­den als Zeit­zeu­gen gehört. Unab­hän­gig davon bleibt die Grup­pe bei der Ableh­nung des offen­sicht­li­chen Plans der Lan­des­re­gie­rung, – wenn über­haupt – erst nach der Land­tags­wahl im Früh­jahr 2021 und nach dem Mona­te spä­ter enden­den Pro­jekt über ihre For­de­run­gen zu spre­chen. Schon vor drei Jah­ren hat die Initia­ti­ve der Lan­des­re­gie­rung 27 Fäl­le von Betrof­fe­nen mit Armuts­ren­ten oder dras­ti­schen Ren­ten­kür­zun­gen über­ge­ben. Die Meis­ten sind 70 Jah­re und älter. Die Ver­mu­tung liegt nahe, dass die Lan­des­re­gie­rung auf die „bio­lo­gi­sche Lösung“ setzt.

Ein Bei­spiel ist Rein­hard Geb­hardt aus Mann­heim. Er hat nach dem PH-Examen und Berufs­ver­bot ab 1979 bei ARB-Kraft­an­la­gen Hei­del­berg als Schwei­ßer gear­bei­tet, bis die Fir­ma nach sieb­zehn Jah­ren geschlos­sen wur­de. Danach muss­te er sich zwei Jahr­zehn­te mit pre­kä­ren Jobs, Arbeits­lo­sig­keit und zuletzt Hartz IV durch­schla­gen. 2012 erhielt er den Ren­ten­be­scheid: 583 Euro brut­to, etwa die Hälf­te der „Stan­dard­ren­te“ (45 Ver­si­che­rungs­jah­re bei Durch­schnitts­ver­dienst). Bei einer Lebens­er­war­tung von im Schnitt 78 Jah­ren ent­spricht dies einem Ren­ten­ver­lust von über 150.000 Euro.

Bespit­ze­lun­gen lin­ker Oppositioneller
Bespit­ze­lun­gen lin­ker Oppo­si­tio­nel­ler wie Micha­el Csaszkóc­zy durch den sich „Ver­fas­sungs­schutz“ nen­nen­den Inlands­ge­heim­dienst lau­fen bis heu­te wei­ter. Im Herbst 2018 wur­de der Leh­rer nach einer Anzei­ge der AfD in einem bizar­ren Pro­zess wegen angeb­li­chem „Haus­frie­dens­bruch“ in ers­ter Instanz zu 1.600 Euro Geld­stra­fe ver­ur­teilt. Nach­dem das Ober­schul­amt „dis­zi­pli­na­ri­sche Maß­nah­men“ ankün­dig­te, haben die Hei­del­ber­ger Vor­sit­zen­den von DGB, GEW, ver.di und IG Metall öffent­lich Csaszkóc­zys Frei­spruch gefor­dert und erklärt: „Wir for­dern die Lan­des­re­gie­rung vor­sorg­lich auf, kei­ne erneu­ten Maß­nah­men oder gar ein zwei­tes Berufs­ver­bot gegen den Leh­rer zu erlassen.“

Im Zuge sich ver­schär­fen­der staat­li­cher Repres­si­ons­maß­nah­men hat Innen­mi­nis­ter See­ho­fer vor fünf Wochen auch eine Neu­auf­la­ge des „Radi­ka­len­er­las­ses“ ins Spiel gebracht. Wenn die Pres­se berich­tet hat, dann über­wie­gend blau­äu­gig oder bewusst irre­füh­rend: In ers­ter Linie sei dies gegen rechts, ins­be­son­de­re die AfD gerich­tet. Tat­säch­lich waren extrem Rech­te und Nazis von Berufs­ver­bot nur in 0,4 Pro­mil­le der Fäl­le betrof­fen. Woll­te man sie aus dem Öffent­li­chen Dienst fern­hal­ten, müss­ten nur das Straf­recht und der anti­fa­schis­ti­sche Auf­trag in Arti­kel 139 Grund­ge­setz ange­wen­det werden.

Nach­dem in den 1970er Jah­ren noch Gewerk­schafts­aus­schlüs­se voll­zo­gen wor­den waren, haben sich die Gewerk­schafts­ta­ge von GEW, ver.di und IG Metall seit 2012 in Beschlüs­sen den For­de­run­gen nach Ent­schul­di­gung, Reha­bi­li­tie­rung und Ent­schä­di­gung ange­schlos­sen. Die­se für die Betrof­fe­nen wich­ti­ge Unter­stüt­zung hat der IG Metall-Vor­stand vor kur­zem bekräf­tigt. In der Vor­be­rei­tung des Gewerk­schafts­ta­ges im Okto­ber 2019 wird im Umset­zungs­ver­merk zum Beschluss von 2015 erklärt: „Das öffent­li­che Inter­es­se an dem The­ma Berufs­ver­bo­te wird durch die gro­ße Reso­nanz der Aus­stel­lung unter­stri­chen, die in vie­len Gewerk­schafts- häu­sern gezeigt wur­de. Baden-Würt­tem­berg ist kon­kre­te Fort­schrit­te in der Auf­ar­bei­tung schul­dig geblie­ben. In Anbe­tracht der Aktua­li­tät und der nur lang­sa­men Auf­ar­bei­tung in Deutsch­land wer­den die DGB-Gewerk­schaf­ten ihr Enga­ge­ment auf­recht erhalten.“

Einladung zur Ausstellung und Kulturveranstaltung „Vergessene“ Geschichte.

Ein­la­dung zur Aus­stel­lung und Kul­tur­ver­an­stal­tung „Ver­ges­se­ne“ Geschichte.

Aus der Theo­rie­bei­la­ge zur Avan­ti² Rhein-Neckar April 2019
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