U. D.
Am 21. Mai 2022 organisierte die ISO Rhein-Neckar ein Seminar zur Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit. Das Einleitungsreferat setzte sich mit den Bedingungen von Betriebsratsarbeit auseinander. Die Teile eins und zwei erschienen in Avanti² von Juli/August und September 2022. Hier folgt der dritte und letzte Teil.
Als Betriebsrat strategisch eigenständig zu denken, zu planen und zu handeln heißt, seine Arbeitsschwerpunkte nicht allein durch das Unternehmen bestimmen zu lassen. Vielmehr werden eigene kurz-, mittel- und langfristige Ziele definiert, beharrlich verfolgt sowie Arbeit und Strukturen des Betriebsrates daran ausgerichtet.
Im Folgenden werden neun mögliche Bausteine einer solchen strategischen Betriebsratsarbeit beschrieben. Mit entsprechenden Anpassungen können diese unabhängig davon genutzt werden, ob man mit der politischen Arbeit im Betrieb erst beginnt, ob man noch in der Minderheit oder bereits in der Mehrheit ist.
1. Selbstverständnis entwickeln
Ein Selbstverständnis entsteht nicht einfach am grünen Tisch, sondern durch gemeinsame Praxis und Diskussion. Wenn möglich formuliert man es schriftlich und lässt es abstimmen. Im besten Falle spiegelt es die Haltung zu grundsätzlichen Fragen.
Zum Beispiel:
• Versteht man sich als Teil der Belegschaft oder als „besonderer“ Teil der Unterneh mensführung?
• Orientiert man sich an den Interessen der Belegschaft oder an den Unternehmenszielen?
• Will man aktiv im Kontakt mit der Belegschaft bleiben oder will man ein „Büro- und Sitzungsrat“ sein?
2. Ziele formulieren
Allgemeine Ziele dienen neben dem Selbstverständnis als Richtschnur des eigenen Handelns. Sie machen deutlich, wofür man steht und wie man sich bei anstehenden Themen verhalten will.
Zum Beispiel:
• Wir sind für Einstellungen, Gesundheitsschutz, Gleichstellung, bessere Entlohnung, Ausbildung, Übernahme usw.
• Wir sind gegen Mehrarbeit, Entlassungen, Kündigungen, Outsourcing, Arbeitsverdichtung, Leiharbeit, usw.
3. Arbeit planen
In vielen – insbesondere in konzerngesteuerten – Unternehmen werden Betriebsräte fast ununterbrochen mit neuen Themen und geplanten Maßnahmen der Gegenseite konfrontiert. In diesem betrieblichen Hamsterrad geraten die eigenen Ziele allzu leicht aus dem Blickfeld. Statt eigenständig zu agieren, wird dann nur noch reagiert.
Dagegen hilft nur, die eigene Arbeit zu planen. Am besten gelingt dies mit einem Arbeitsplan, der die Themen, die geplanten Aktivitäten, den Zeitraum, die Verantwortlichen und den Stand der Bearbeitung enthält. Das schafft die Voraussetzung, sich nicht zu verzetteln, den Überblick zu bewahren und die eigenen „Ressourcen“ richtig einschätzen und einsetzen zu können. Ein solcher Arbeitsplan hilft jedoch nur dann, wenn er regelmäßig überprüft, diskutiert und korrigiert wird.
4. Strukturen optimieren
Wer strategisch arbeiten will, muss auch die Arbeit und Funktionsweise der Betriebsratsorganisation am Selbstverständnis, an den Zielen und der Arbeitsplanung ausrichten. Eine Möglichkeit dazu ist, dies im Rahmen der Erstellung einer Geschäftsordnung zu diskutieren und zu beschließen.
Dabei reicht es jedoch nicht aus, eine solche Geschäftsordnung nur zu Beginn einer Amtsperiode zu diskutieren und danach zu „vergessen“. Vielmehr sollte sie regelmäßig (z. B. jährlich) und gemeinsam diskutiert werden, um so die Betriebsratsorganisation auf ihre Arbeitsweise und Nützlichkeit zu überprüfen und bei Bedarf zu ändern.
5. Kräfte einteilen
Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit benötigt einen langen Atem. Darum müssen ein Betriebsratsgremium und seine Mitglieder die vorhandenen Kräfte gut einteilen. Neben einer realistischen Arbeitsplanung braucht es dafür eine gemeinsame und solidarische Verteilung der Arbeit und Aufgaben. So lässt sich die Belastung einzelner reduzieren und die Gesundheit aller Betriebsräte schützen.
Das bedeutet nicht, sich passiv zurückzulehnen, sondern die Wichtigkeit einzelner Aufgaben sowie die eigenen Möglichkeiten und Kräfte realistisch einzuschätzen und eine kollektive Arbeit zu entwickeln.
6. Wissen vergrößern
Sich kollektives Wissen zu erarbeiten und das Wissen aller BR-Mitglieder gezielt zu fördern, ist eine wichtige Aufgabe des gesamten Gremiums. Zum einen setzt dies die Bildungsbereitschaft von allen voraus. Zum anderen macht dies eine systematische Bildungsarbeit notwendig.
Eine solche Arbeit lässt sich am einfachsten mit einem Bildungsplan umsetzen: Als erstes wird ausgehend von den Zielen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Bildungsbedarf des Gremiums und seiner Mitglieder ermittelt. Danach wird auf Grundlage dieses Bedarfs ein Plan erstellt, der die einzelnen Betriebsratsmitglieder und die für sie vorgesehenen internen und externen Bildungsmaßnahmen enthält. Auch für diesen Plan gilt, dass er regelmäßig überprüft, verändert oder ergänzt werden muss.
7. Öffentlichkeit schaffen
Wer die Beschäftigten für ihre Interessen aktivieren will, muss diese regelmäßig informieren, mit ihnen diskutieren und in Aktivitäten einbeziehen. Zum Beispiel mit Betriebs- und Abteilungsversammlungen, Begehungen, Informationsgesprächen, Betriebsratszeitungen, Flugblättern, Intranet, Internet, kollektiven Beschwerden, Toraktionen, Unterschriftenlisten.
Eine der wichtigsten Möglichkeiten wird dabei oft vergessen: der Vertrauensleutekörper. Wenn dieser aktiv ist, im stetigen Austausch mit der Belegschaft steht und vom Betriebsrat gut informiert wird, ist er ein unersetzlicher Multiplikator und Organisator.
Ohne eine geplante und kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit wird man auf Dauer keine Unterstützung seitens der Belegschaft aufbauen. Umso wichtiger ist es, eine solche Arbeit im Rahmen der Struktur- und Arbeitsplanung zu beraten und umzusetzen.
8. Belegschaft organisieren
Wer das betriebliche Kräfteverhältnis zu Gunsten der Beschäftigten ändern will, muss diese gewerkschaftlich organisieren, einen aktiven Vertrauensleutekörper auf-auen und zugleich die Position der aktiven und kämpferischen Kräfte in der Belegschaft, im Betriebsrat und bei den Vertrauensleuten stärken.
Je erfolgreicher die aktiven Kräfte dabei sind, je mehr wird das Unternehmen auf sie Druck ausüben. Gegen die dabei drohenden Angriffe (BR-Mobbing, Gewerkschaftsbekämpfung usw.) bilden ein hoher Organisationsgrad und die Aktionsfähigkeit der Belegschaft sowie eine starke betriebliche Verankerung den besten Schutz.
9. Überbetrieblich vernetzen
Überbetriebliche Treffen und Diskussionen ermöglichen es, von Aktiven aus anderen Betrieben zu lernen und die eigene betriebliche Tagesarbeit zu verbessern. Sie schaffen den Raum für gegenseitige Unterstützung und Solidarität. Nicht zuletzt können dort getroffene Absprachen die politische Durchsetzungskraft innerhalb der Gewerkschaften erhöhen. Darum ist die Beteiligung an überbetrieblichen Vernetzungs-Strukturen oder deren Aufbau ein wichtiger Teil politischer Betriebsarbeit. Dabei sollten auch gewerkschaftliche Möglichkeiten genutzt werden. Wer aber für eine kämpferische Betriebspolitik eintritt und gewerkschaftliche „Sozialpartnerschaft“ ablehnt, wird sich auch informell treffen müssen.
Wichtiges zum Schluss
Betriebsratsarbeit sollte
• die Rolle des Betriebsrats als anstelle der Belegschaft handelnde Stellvertretung ablehnen und wo immer möglich, aktivierend und mobilisierend tätig sein
• in der Belegschaft ein Bewusstsein über das „Wir“, also die eigene „Klassenlage“, sowie die eigenen Interessen – in Abgrenzung zum Unternehmen – schaffen
• Organisierung, Verankerung und Aktionsfähigkeit stärken und so das Kräfteverhältnis im Betrieb zu Gunsten der Belegschaft verändern.
Dafür liefert strategische Betriebsratsarbeit eine gute Grundlage. Sie bedeutet, Ziele, Aktivitäten und Strukturen zu planen sowie diese regelmäßig zu überprüfen, zu diskutieren und zu korrigieren. Sie erfordert gerade zu Beginn Zeit und Kraft, um letztendlich die vorhandene Zeit und Kraft besser zu nutzen.
Aber etwas Entscheidendes kann strategische Betriebsratsarbeit nicht leisten: Sie kann zu keiner Zeit das Engagement und die politische Klarheit der im Betrieb Aktiven ersetzen, die für eine bessere und menschlichere also nicht-kapitalistische Welt kämpfen.