Betriebs­rats­ar­beit - Bes­ser mit Stra­te­gie (Teil III)

U. D.

Am 21. Mai 2022 orga­ni­sier­te die ISO Rhein-Neckar ein Semi­nar zur Betriebs­rats- und Gewerk­schafts­ar­beit. Das Ein­lei­tungs­re­fe­rat setz­te sich mit den Bedin­gun­gen von Betriebs­rats­ar­beit aus­ein­an­der. Die Tei­le eins und zwei erschie­nen in Avan­ti² von Juli/August und Sep­tem­ber 2022. Hier folgt der drit­te und letz­te Teil.

Betriebsversammlung bei Alstom in Bexbach, 3. Februar 2014. (Foto: Privat.)

Betriebs­ver­samm­lung bei Als­tom in Bex­bach, 3. Febru­ar 2014. (Foto: Privat.)

Als Betriebs­rat stra­te­gisch eigen­stän­dig zu den­ken, zu pla­nen und zu han­deln heißt, sei­ne Arbeits­schwer­punk­te nicht allein durch das Unter­neh­men bestim­men zu las­sen. Viel­mehr wer­den eige­ne kurz-, mit­tel- und lang­fris­ti­ge Zie­le defi­niert, beharr­lich ver­folgt sowie Arbeit und Struk­tu­ren des Betriebs­ra­tes dar­an ausgerichtet.

Im Fol­gen­den wer­den neun mög­li­che Bau­stei­ne einer sol­chen stra­te­gi­schen Betriebs­rats­ar­beit beschrie­ben. Mit ent­spre­chen­den Anpas­sun­gen kön­nen die­se unab­hän­gig davon genutzt wer­den, ob man mit der poli­ti­schen Arbeit im Betrieb erst beginnt, ob man noch in der Min­der­heit oder bereits in der Mehr­heit ist.

1. Selbst­ver­ständ­nis entwickeln
Ein Selbst­ver­ständ­nis ent­steht nicht ein­fach am grü­nen Tisch, son­dern durch gemein­sa­me Pra­xis und Dis­kus­si­on. Wenn mög­lich for­mu­liert man es schrift­lich und lässt es abstim­men. Im bes­ten Fal­le spie­gelt es die Hal­tung zu grund­sätz­li­chen Fragen.

Zum Bei­spiel:
• Ver­steht man sich als Teil der Beleg­schaft oder als „beson­de­rer“ Teil der Unter­neh mensführung?
• Ori­en­tiert man sich an den Inter­es­sen der Beleg­schaft oder an den Unternehmenszielen?
• Will man aktiv im Kon­takt mit der Beleg­schaft blei­ben oder will man ein „Büro- und Sit­zungs­rat“ sein?

2. Zie­le formulieren
All­ge­mei­ne Zie­le die­nen neben dem Selbst­ver­ständ­nis als Richt­schnur des eige­nen Han­delns. Sie machen deut­lich, wofür man steht und wie man sich bei anste­hen­den The­men ver­hal­ten will.

Zum Bei­spiel:
• Wir sind für Ein­stel­lun­gen, Gesund­heits­schutz, Gleich­stel­lung, bes­se­re Ent­loh­nung, Aus­bil­dung, Über­nah­me usw.
• Wir sind gegen Mehr­ar­beit, Ent­las­sun­gen, Kün­di­gun­gen, Out­sour­cing, Arbeits­ver­dich­tung, Leih­ar­beit, usw.

3. Arbeit planen
In vie­len – ins­be­son­de­re in kon­zern­ge­steu­er­ten – Unter­neh­men wer­den Betriebs­rä­te fast unun­ter­bro­chen mit neu­en The­men und geplan­ten Maß­nah­men der Gegen­sei­te kon­fron­tiert. In die­sem betrieb­li­chen Hams­ter­rad gera­ten die eige­nen Zie­le all­zu leicht aus dem Blick­feld. Statt eigen­stän­dig zu agie­ren, wird dann nur noch reagiert.

Dage­gen hilft nur, die eige­ne Arbeit zu pla­nen. Am bes­ten gelingt dies mit einem Arbeits­plan, der die The­men, die geplan­ten Akti­vi­tä­ten, den Zeit­raum, die Ver­ant­wort­li­chen und den Stand der Bear­bei­tung ent­hält. Das schafft die Vor­aus­set­zung, sich nicht zu ver­zet­teln, den Über­blick zu bewah­ren und die eige­nen „Res­sour­cen“ rich­tig ein­schät­zen und ein­set­zen zu kön­nen. Ein sol­cher Arbeits­plan hilft jedoch nur dann, wenn er regel­mä­ßig über­prüft, dis­ku­tiert und kor­ri­giert wird.

Aktion von Alstom-Azubis für die Übernahme in Mannheim-Käfertal, 29. April 2011. (Foto: Privat.)

Akti­on von Als­tom-Azu­bis für die Über­nah­me in Mann­heim-Käfer­tal, 29. April 2011. (Foto: Privat.)

4. Struk­tu­ren optimieren
Wer stra­te­gisch arbei­ten will, muss auch die Arbeit und Funk­ti­ons­wei­se der Betriebs­rats­or­ga­ni­sa­ti­on am Selbst­ver­ständ­nis, an den Zie­len und der Arbeits­pla­nung aus­rich­ten. Eine Mög­lich­keit dazu ist, dies im Rah­men der Erstel­lung einer Geschäfts­ord­nung zu dis­ku­tie­ren und zu beschließen.

Dabei reicht es jedoch nicht aus, eine sol­che Geschäfts­ord­nung nur zu Beginn einer Amts­pe­ri­ode zu dis­ku­tie­ren und danach zu „ver­ges­sen“. Viel­mehr soll­te sie regel­mä­ßig (z. B. jähr­lich) und gemein­sam dis­ku­tiert wer­den, um so die Betriebs­rats­or­ga­ni­sa­ti­on auf ihre Arbeits­wei­se und Nütz­lich­keit zu über­prü­fen und bei Bedarf zu ändern.

5. Kräf­te einteilen
Gewerk­schafts- und Betriebs­rats­ar­beit benö­tigt einen lan­gen Atem. Dar­um müs­sen ein Betriebs­rats­gre­mi­um und sei­ne Mit­glie­der die vor­han­de­nen Kräf­te gut ein­tei­len. Neben einer rea­lis­ti­schen Arbeits­pla­nung braucht es dafür eine gemein­sa­me und soli­da­ri­sche Ver­tei­lung der Arbeit und Auf­ga­ben. So lässt sich die Belas­tung ein­zel­ner redu­zie­ren und die Gesund­heit aller Betriebs­rä­te schützen.

Das bedeu­tet nicht, sich pas­siv zurück­zu­leh­nen, son­dern die Wich­tig­keit ein­zel­ner Auf­ga­ben sowie die eige­nen Mög­lich­kei­ten und Kräf­te rea­lis­tisch ein­zu­schät­zen und eine kol­lek­ti­ve Arbeit zu entwickeln.

6. Wis­sen vergrößern
Sich kol­lek­ti­ves Wis­sen zu erar­bei­ten und das Wis­sen aller BR-Mit­glie­der gezielt zu för­dern, ist eine wich­ti­ge Auf­ga­be des gesam­ten Gre­mi­ums. Zum einen setzt dies die Bil­dungs­be­reit­schaft von allen vor­aus. Zum ande­ren macht dies eine sys­te­ma­ti­sche Bil­dungs­ar­beit notwendig.

Eine sol­che Arbeit lässt sich am ein­fachs­ten mit einem Bil­dungs­plan umset­zen: Als ers­tes wird aus­ge­hend von den Zie­len, Auf­ga­ben und Ver­ant­wort­lich­kei­ten der Bil­dungs­be­darf des Gre­mi­ums und sei­ner Mit­glie­der ermit­telt. Danach wird auf Grund­la­ge die­ses Bedarfs ein Plan erstellt, der die ein­zel­nen Betriebs­rats­mit­glie­der und die für sie vor­ge­se­he­nen inter­nen und exter­nen Bil­dungs­maß­nah­men ent­hält. Auch für die­sen Plan gilt, dass er regel­mä­ßig über­prüft, ver­än­dert oder ergänzt wer­den muss.

7. Öffent­lich­keit schaffen
Wer die Beschäf­tig­ten für ihre Inter­es­sen akti­vie­ren will, muss die­se regel­mä­ßig infor­mie­ren, mit ihnen dis­ku­tie­ren und in Akti­vi­tä­ten ein­be­zie­hen. Zum Bei­spiel mit Betriebs- und Abtei­lungs­ver­samm­lun­gen, Bege­hun­gen, Infor­ma­ti­ons­ge­sprä­chen, Betriebs­rats­zei­tun­gen, Flug­blät­tern, Intra­net, Inter­net, kol­lek­ti­ven Beschwer­den, Tor­ak­tio­nen, Unterschriftenlisten.

Eine der wich­tigs­ten Mög­lich­kei­ten wird dabei oft ver­ges­sen: der Ver­trau­ens­leu­te­kör­per. Wenn die­ser aktiv ist, im ste­ti­gen Aus­tausch mit der Beleg­schaft steht und vom Betriebs­rat gut infor­miert wird, ist er ein uner­setz­li­cher Mul­ti­pli­ka­tor und Organisator.

Ohne eine geplan­te und kon­ti­nu­ier­li­che Öffent­lich­keits­ar­beit wird man auf Dau­er kei­ne Unter­stüt­zung sei­tens der Beleg­schaft auf­bau­en. Umso wich­ti­ger ist es, eine sol­che Arbeit im Rah­men der Struk­tur- und Arbeits­pla­nung zu bera­ten und umzusetzen.

8. Beleg­schaft organisieren
Wer das betrieb­li­che Kräf­te­ver­hält­nis zu Guns­ten der Beschäf­tig­ten ändern will, muss die­se gewerk­schaft­lich orga­ni­sie­ren, einen akti­ven Ver­trau­ens­leu­te­kör­per auf-auen und zugleich die Posi­ti­on der akti­ven und kämp­fe­ri­schen Kräf­te in der Beleg­schaft, im Betriebs­rat und bei den Ver­trau­ens­leu­ten stärken.

Je erfolg­rei­cher die akti­ven Kräf­te dabei sind, je mehr wird das Unter­neh­men auf sie Druck aus­üben. Gegen die dabei dro­hen­den Angrif­fe (BR-Mob­bing, Gewerk­schafts­be­kämp­fung usw.) bil­den ein hoher Orga­ni­sa­ti­ons­grad und die Akti­ons­fä­hig­keit der Beleg­schaft sowie eine star­ke betrieb­li­che Ver­an­ke­rung den bes­ten Schutz.

9. Über­be­trieb­lich vernetzen
Über­be­trieb­li­che Tref­fen und Dis­kus­sio­nen ermög­li­chen es, von Akti­ven aus ande­ren Betrie­ben zu ler­nen und die eige­ne betrieb­li­che Tages­ar­beit zu ver­bes­sern. Sie schaf­fen den Raum für gegen­sei­ti­ge Unter­stüt­zung und Soli­da­ri­tät. Nicht zuletzt kön­nen dort getrof­fe­ne Abspra­chen die poli­ti­sche Durch­set­zungs­kraft inner­halb der Gewerk­schaf­ten erhö­hen. Dar­um ist die Betei­li­gung an über­be­trieb­li­chen Ver­net­zungs-Struk­tu­ren oder deren Auf­bau ein wich­ti­ger Teil poli­ti­scher Betriebs­ar­beit. Dabei soll­ten auch gewerk­schaft­li­che Mög­lich­kei­ten genutzt wer­den. Wer aber für eine kämp­fe­ri­sche Betriebs­po­li­tik ein­tritt und gewerk­schaft­li­che „Sozi­al­part­ner­schaft“ ablehnt, wird sich auch infor­mell tref­fen müssen.

Wich­ti­ges zum Schluss
Betriebs­rats­ar­beit sollte
• die Rol­le des Betriebs­rats als anstel­le der Beleg­schaft han­deln­de Stell­ver­tre­tung ableh­nen und wo immer mög­lich, akti­vie­rend und mobi­li­sie­rend tätig sein
• in der Beleg­schaft ein Bewusst­sein über das „Wir“, also die eige­ne „Klas­sen­la­ge“, sowie die eige­nen Inter­es­sen – in Abgren­zung zum Unter­neh­men – schaffen
• Orga­ni­sie­rung, Ver­an­ke­rung und Akti­ons­fä­hig­keit stär­ken und so das Kräf­te­ver­hält­nis im Betrieb zu Guns­ten der Beleg­schaft verändern.

Dafür lie­fert stra­te­gi­sche Betriebs­rats­ar­beit eine gute Grund­la­ge. Sie bedeu­tet, Zie­le, Akti­vi­tä­ten und Struk­tu­ren zu pla­nen sowie die­se regel­mä­ßig zu über­prü­fen, zu dis­ku­tie­ren und zu kor­ri­gie­ren. Sie erfor­dert gera­de zu Beginn Zeit und Kraft, um letzt­end­lich die vor­han­de­ne Zeit und Kraft bes­ser zu nutzen.

Aber etwas Ent­schei­den­des kann stra­te­gi­sche Betriebs­rats­ar­beit nicht leis­ten: Sie kann zu kei­ner Zeit das Enga­ge­ment und die poli­ti­sche Klar­heit der im Betrieb Akti­ven erset­zen, die für eine bes­se­re und mensch­li­che­re also nicht-kapi­ta­lis­ti­sche Welt kämpfen.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Okto­ber 2022
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