Klassenkampf nur von oben?
H. N.
Vom 1. März bis zum 31. Mai 2022 wählen Millionen Beschäftigte ihre Interessenvertretungen. Trotz der massiven Einschränkungen von Demokratie in der Arbeitswelt sind die BR-Wahlen für die arbeitende Klasse von großer Bedeutung.
Es macht einen spürbaren Unterschied für Beschäftigte, ob es in „ihrem“ Unternehmen einen Betriebsrat und insbesondere ob es einen aktiven, kämpferischen BR gibt – oder nicht. Dennoch spielen die bevorstehenden Betriebsratswahlen in der veröffentlichen Meinung und selbst in weiten Teilen der politischen Linken praktisch keine Rolle.
Zurückdrängen von Betriebsräten
Nach den uns bekannten Zahlen arbeiten in Westdeutschland nur noch 42 Prozent der Beschäftigten in einer Firma mit Betriebsrat, im Osten sogar lediglich 35 Prozent. Noch Mitte der 1990er Jahre waren es 51 Prozent im Westen und 43 Prozent im Osten. Besonders stark ist der Rückgang in mittelgroßen Betrieben mit 51 bis 500 Beschäftigten.
Diese Entwicklung ist Resultat des zunehmend aggressiveren Klassenkampfs von oben. Hinzu kommt eine weitere Folge der kapitalistischen Globalisierung: „Wenige Riesen dominieren weltweit ihre Branchen. Die Konzentration von Geld und Macht verändert die Wirtschaft.“ (FR vom 28.10.2017.)
Das bestätigt die große Studie der ETH Zürich von 2011. 147 von insgesamt 43.060 Konzernen kontrollierten damals rund 40 Prozent der am Umsatz gemessenen Weltwirtschaft.
Beherrscher der Konzerne
Diese nie gekannte Ballung wirtschaftlicher Kraft bedeutet, dass sich das „Recht des Stärkeren“ durchsetzen kann.
Trotz oder wegen der Coronapandemie brach die von Forbes am 21. Mai 2021 veröffentlichte Liste der Milliardäre alle bisherigen Rekorde. Deren Zahl stieg gegenüber 2020 um 660 auf 2.755, und ihr Vermögen wuchs um fünf Billionen US-Dollar auf insgesamt 13,1 Billionen US-Dollar.
Gleiches gilt für Deutschland. 138 Milliardäre im Jahr 2021 bedeuten im Vergleich zu 2020 einen Anstieg um 35,2 %.
Neoliberaler Umbau
Am 11. September 1973 fand ein von den USA unterstützter Militärputsch gegen den demokratisch gewählten linken Präsidenten Chiles, Allende, statt. Seitdem treiben die Herrschenden den neoliberalen Umbau des Kapitalismus unter dem Motto „Deregulierung, Privatisierung und Flexibilisierung“ in allen Bereichen voran.
Mittlerweile sprechen sie von einer „Transformation“, die durch „Digitalisierung“, „Diversität“, „Elektromobilität“ und „Nachhaltigkeit“ gekennzeichnet sei.
Ein wesentliches Resultat der Neoliberalismus ist die zunehmend tiefer werdende soziale Kluft zwischen den superreichen 0,1 % und der großen Mehrheit. Die weitere Spaltung und politische Schwächung der arbeitenden Klasse und nicht zuletzt die ungebremste Fahrt in die ökologische Katastrophe sind damit untrennbar verknüpft.
„Diktatur der Zahlen“
In Unternehmen wird die „Diktatur der Zahlen“ mit immer größerer Rücksichtslosigkeit durchgesetzt. Um Nr. 1 in einem Geschäftsbereich zu werden, findet folgende Strategie Anwendung: Aufkaufen (bevorzugt von Konkurrenten), Ausschlachten, Aufspalten, Verlagern, Verkaufen oder Schließen.
Betriebsräte, Gewerkschaften, Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gelten dann vor allem als Profit-Bremsen, die aus Sicht von Konzernspitzen zu bekämpfen sind.
Diese rauen Methoden verursachen einen enormen Druck auf Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen. Um diesem Druck standhalten zu können, ist eine bessere und bewusstere Organisation der Gegenmacht der arbeitenden Klasse erforderlich − im Betrieb, in der Gewerkschaft und in der Gesellschaft.
Was tun?
Dem Klassenkampf von oben ist also Widerstand von unten entgegenzusetzen. Das ist schnell formuliert, aber nur mit einem langen Atem und einem klaren Denken zu erreichen.
Aktiven Betriebsräten kommt dabei trotz aller gesetzlichen Beschränkungen eine besondere Rolle zu. Erfahrungsgemäß stärkt sie die Umsetzung folgender Punkte:
• Systematische gewerkschaftspolitische Qualifizierung
• Aufbau eines „harten Kerns“ im Betriebsrat
• Aktivierende Vertrauensleutearbeit
• Planmäßige gewerkschaftliche Organisierung der Belegschaft
• Bewusste Förderung der betrieblichen Aktionsfähigkeit
• Geduldige Stärkung solidarischer und kämpferischer Netzwerke.
Die Ergebnisse der Betriebsratswahlen 2022 werden zeigen, wie stark die Basis betrieblicher Gegenmacht ist.