Betriebs­rats­wah­len 2022

Klas­sen­kampf nur von oben?

H. N.

Vom 1. März bis zum 31. Mai 2022 wäh­len Mil­lio­nen Beschäf­tig­te ihre Inter­es­sen­ver­tre­tun­gen. Trotz der mas­si­ven Ein­schrän­kun­gen von Demo­kra­tie in der Arbeits­welt sind die BR-Wah­len für die arbei­ten­de Klas­se von gro­ßer Bedeutung.

Es macht einen spür­ba­ren Unter­schied für Beschäf­tig­te, ob es in „ihrem“ Unter­neh­men einen Betriebs­rat und ins­be­son­de­re ob es einen akti­ven, kämp­fe­ri­schen BR gibt – oder nicht. Den­noch spie­len die bevor­ste­hen­den Betriebs­rats­wah­len in der ver­öf­fent­li­chen Mei­nung und selbst in wei­ten Tei­len der poli­ti­schen Lin­ken prak­tisch kei­ne Rolle.

In der Turbinenschaufelfabrik Bexbach, 2. November 2016. (Foto: Avanti².)

In der Tur­bi­nen­schau­fel­fa­brik Bex­bach, 2. Novem­ber 2016. (Foto: Avanti².)

Zurück­drän­gen von Betriebsräten
Nach den uns bekann­ten Zah­len arbei­ten in West­deutsch­land nur noch 42 Pro­zent der Beschäf­tig­ten in einer Fir­ma mit Betriebs­rat, im Osten sogar ledig­lich 35 Pro­zent. Noch Mit­te der 1990er Jah­re waren es 51 Pro­zent im Wes­ten und 43 Pro­zent im Osten. Beson­ders stark ist der Rück­gang in mit­tel­gro­ßen Betrie­ben mit 51 bis 500 Beschäftigten.

Die­se Ent­wick­lung ist Resul­tat des zuneh­mend aggres­si­ve­ren Klas­sen­kampfs von oben. Hin­zu kommt eine wei­te­re Fol­ge der kapi­ta­lis­ti­schen Glo­ba­li­sie­rung: „Weni­ge Rie­sen domi­nie­ren welt­weit ihre Bran­chen. Die Kon­zen­tra­ti­on von Geld und Macht ver­än­dert die Wirt­schaft.“ (FR vom 28.10.2017.)

Das bestä­tigt die gro­ße Stu­die der ETH Zürich von 2011. 147 von ins­ge­samt 43.060 Kon­zer­nen kon­trol­lier­ten damals rund 40 Pro­zent der am Umsatz gemes­se­nen Weltwirtschaft.

Beherr­scher der Konzerne
Die­se nie gekann­te Bal­lung wirt­schaft­li­cher Kraft bedeu­tet, dass sich das „Recht des Stär­ke­ren“ durch­set­zen kann.

Trotz oder wegen der Coro­na­pan­de­mie brach die von For­bes am 21. Mai 2021 ver­öf­fent­lich­te Lis­te der Mil­li­ar­dä­re alle bis­he­ri­gen Rekor­de. Deren Zahl stieg gegen­über 2020 um 660 auf 2.755, und ihr Ver­mö­gen wuchs um fünf Bil­lio­nen US-Dol­lar auf ins­ge­samt 13,1 Bil­lio­nen US-Dollar.

Glei­ches gilt für Deutsch­land. 138 Mil­li­ar­dä­re im Jahr 2021 bedeu­ten im Ver­gleich zu 2020 einen Anstieg um 35,2 %.

Neo­li­be­ra­ler Umbau
Am 11. Sep­tem­ber 1973 fand ein von den USA unter­stütz­ter Mili­tär­putsch gegen den demo­kra­tisch gewähl­ten lin­ken Prä­si­den­ten Chi­les, Allen­de, statt. Seit­dem trei­ben die Herr­schen­den den neo­li­be­ra­len Umbau des Kapi­ta­lis­mus unter dem Mot­to „Dere­gu­lie­rung, Pri­va­ti­sie­rung und Fle­xi­bi­li­sie­rung“ in allen Berei­chen voran.

Mitt­ler­wei­le spre­chen sie von einer „Trans­for­ma­ti­on“, die durch „Digi­ta­li­sie­rung“, „Diver­si­tät“, „Elek­tro­mo­bi­li­tät“ und „Nach­hal­tig­keit“ gekenn­zeich­net sei.

Ein wesent­li­ches Resul­tat der Neo­li­be­ra­lis­mus ist die zuneh­mend tie­fer wer­den­de sozia­le Kluft zwi­schen den super­rei­chen 0,1 % und der gro­ßen Mehr­heit. Die wei­te­re Spal­tung und poli­ti­sche Schwä­chung der arbei­ten­den Klas­se und nicht zuletzt die unge­brems­te Fahrt in die öko­lo­gi­sche Kata­stro­phe sind damit untrenn­bar verknüpft.

Dik­ta­tur der Zahlen“
In Unter­neh­men wird die „Dik­ta­tur der Zah­len“ mit immer grö­ße­rer Rück­sichts­lo­sig­keit durch­ge­setzt. Um Nr. 1 in einem Geschäfts­be­reich zu wer­den, fin­det fol­gen­de Stra­te­gie Anwen­dung: Auf­kau­fen (bevor­zugt von Kon­kur­ren­ten), Aus­schlach­ten, Auf­spal­ten, Ver­la­gern, Ver­kau­fen oder Schließen.

Betriebs­rä­te, Gewerk­schaf­ten, Geset­ze, Tarif­ver­trä­ge und Betriebs­ver­ein­ba­run­gen gel­ten dann vor allem als Pro­fit-Brem­sen, die aus Sicht von Kon­zern­spit­zen zu bekämp­fen sind.

Die­se rau­en Metho­den ver­ur­sa­chen einen enor­men Druck auf Beschäf­tig­te und ihre Inter­es­sen­ver­tre­tun­gen. Um die­sem Druck stand­hal­ten zu kön­nen, ist eine bes­se­re und bewuss­te­re Orga­ni­sa­ti­on der Gegen­macht der arbei­ten­den Klas­se erfor­der­lich − im Betrieb, in der Gewerk­schaft und in der Gesellschaft.

Was tun?
Dem Klas­sen­kampf von oben ist also Wider­stand von unten ent­ge­gen­zu­set­zen. Das ist schnell for­mu­liert, aber nur mit einem lan­gen Atem und einem kla­ren Den­ken zu erreichen.

Akti­ven Betriebs­rä­ten kommt dabei trotz aller gesetz­li­chen Beschrän­kun­gen eine beson­de­re Rol­le zu. Erfah­rungs­ge­mäß stärkt sie die Umset­zung fol­gen­der Punkte:

• Sys­te­ma­ti­sche gewerk­schafts­po­li­ti­sche Qualifizierung

• Auf­bau eines „har­ten Kerns“ im Betriebsrat

• Akti­vie­ren­de Vertrauensleutearbeit

• Plan­mä­ßi­ge gewerk­schaft­li­che Orga­ni­sie­rung der Belegschaft

• Bewuss­te För­de­rung der betrieb­li­chen Aktionsfähigkeit

• Gedul­di­ge Stär­kung soli­da­ri­scher und kämp­fe­ri­scher Netzwerke.

Die Ergeb­nis­se der Betriebs­rats­wah­len 2022 wer­den zei­gen, wie stark die Basis betrieb­li­cher Gegen­macht ist.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar März 2022
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