Die Bezahl­kar­te – Kei­ne Anpas­sung an faschis­ti­sche Hetze?

Fra­gen an See­brü­cke Mannheim*

 

Über die immer wei­ter vor­an­ge­trie­be­nen Ein­schrän­kun­gen des Asyl­rechts dis­ku­tie­ren wir seit Jahr­zehn­ten. In den letz­ten Wochen wur­den noch­mals mas­si­ve Ver­schär­fun­gen beschlos­sen: die soge­nann­te GEAS-Reform der EU sowie die Ein­füh­rung der Bezahl­kar­te in Deutsch­land. Die See­brü­cke Mann­heim erklärt uns die­se Maß­nah­men und ihre Kri­tik daran.

Seebrücke-Demo in Mannheim, 14. Juli 2018. (Foto: Avanti².)

See­brü­cke-Demo in Mann­heim, 14. Juli 2018. (Foto: Avanti².)

Die Orga­ni­sa­ti­on Pro Asyl bezeich­net die „GEAS-Reform“ als einen his­to­ri­schen Tief­punkt für den Flücht­lings­schutz in Euro­pa. Könnt Ihr uns die Reform kurz erläu­tern und ihre Aus­wir­kun­gen auf Flüch­ten­de beschreiben?
Die Reform bestimmt ver­pflich­ten­de Grenz­ver­fah­ren unter Haft­be­din­gun­gen, sogar für Kin­der, und setzt nied­ri­ge­re Stan­dards für soge­nann­te „siche­re Dritt­staa­ten“. Außer­dem sieht sie zusätz­li­che Ver­schär­fun­gen im Fal­le von „Kri­sen“ vor und stellt somit eine mas­si­ve Ver­schlech­te­rung des bis­he­ri­gen EU-Asyl­rechts dar. Durch die­se Grenz­ver­fah­ren soll die Iden­ti­fi­ka­ti­on der Flüch­ten­den bereits an der EU-Außen­gren­ze erfol­gen, wobei sie in Lagern an der Gren­ze unter­ge­bracht wer­den. Die­se Lager sol­len sich auf EU-Ter­ri­to­ri­um befin­den, die Geflüch­te­ten gel­ten jedoch offi­zi­ell als „nicht ein­ge­reist“. Haupt­au­gen­merk des Ver­fah­rens liegt dar­auf, ob ein Asyl­an­trag als unzu­läs­sig abge­wie­sen wer­den kann, bei­spiels­wei­se, wenn die Per­son, die Schutz sucht, über einen ver­meint­lich „siche­ren“ Dritt­staat in die EU geflo­hen ist. So kann zum Bei­spiel ein Geflüch­te­ter aus Syri­en in die Tür­kei zurück­ge­schickt wer­den, wenn er sich dort wäh­rend sei­ner Flucht auf­ge­hal­ten hat.

Wen­den wir den Blick ein­mal nach Deutsch­land: Hier wird der­zeit die Bezahl­kar­te ein­ge­führt. Auf Eurer bun­des­wei­ten Web­site bezeich­net ihr die Bezahl­kar­te als staat­li­ches Dis­kri­mi­nie­rungs­in­stru­ment. Was meint ihr damit?
Die Bezahl­kar­te führt dazu, dass Geflüch­te­te nicht „nur“ dis­kri­mi­niert, son­dern auch ent­mün­digt wer­den, indem sie selbst nicht ent­schei­den kön­nen, wofür und wo sie ihr Geld aus­ge­ben. Wahr­schein­lich wird die Kar­te in Super­märk­ten akzep­tiert, aber was ist, wenn sie güns­ti­ge Waren auf dem Floh­markt oder Brief­mar­ken auf der Post kau­fen möch­ten? Wie sol­len sie Geld an ihre Rechts­an­wäl­te über­wei­sen kön­nen? Bestimm­te Bran­chen oder Geschäf­te kön­nen aus­ge­schlos­sen wer­den und der Aus­schluss bestimm­ter Waren kann pro­gram­miert wer­den. Tech­nisch sind auch wei­te­re indi­vi­du­el­le Beschrän­kun­gen oder Sank­tio­nen mög­lich. Bei der Nut­zung einer Bezahl­kar­te wird außer­dem der Sozi­al­leis­tungs­be­zug sicht­bar, was zu einer wei­te­ren Stig­ma­ti­sie­rung füh­ren kann.

Wie hän­gen die ver­schärf­te Abschot­tung auf EU-Ebe­ne und die Ein­füh­rung der Bezahl­kar­te in Deutsch­land zusammen?
Die Ein­füh­rung der Bezahl­kar­te dient der Abschre­ckung. Sie soll den soge­nann­ten „Pull-Fak­tor“ ver­hin­dern, also das Anlo­cken von Schutz­su­chen­den, für den es jedoch kei­ne Bewei­se gibt. Die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen wol­len zei­gen, dass sie Maß­nah­men gegen die Ein­rei­se geflüch­te­ter Men­schen ergrei­fen. Die Bezahl­kar­te ist Teil einer poli­ti­schen Stra­te­gie, um in einer ange­spann­ten Gesell­schaft Stim­mun­gen zu erzeu­gen, indem sie zwei­fel­haf­te Signa­le an Tei­le der Bevöl­ke­rung sen­det. Die Umset­zung wird vor­aus­sicht­lich zu Unmut und Frus­tra­ti­on im All­tag der geflüch­te­ten Men­schen füh­ren und ihre Inte­gra­ti­on lang­fris­tig behin­dern. Das ist kei­ne ratio­na­le, kon­struk­ti­ve Asylpolitik.

Was braucht es Eurer Mei­nung nach jetzt von­sei­ten der Zivilbevölkerung?
Wir brau­chen Soli­da­ri­tät und Druck auf die Kom­mu­nen und Län­der. Denn es ist noch unklar, wie die­se die Ver­wen­dung der Kar­te hand­ha­ben wer­den, und wel­che Ent­schei­dun­gen sie den Kom­mu­nen über­las­sen. Sie könn­ten libe­ra­le Rege­lun­gen tref­fen, zum Bei­spiel die Kom­mu­nen per Erlass ver­pflich­ten, die Aus­zah­lung des gesam­ten Betrags in Geld­form zu ermög­li­chen. Unser Ziel ist es, dass kei­ne Bezahl­kar­ten ein­ge­setzt oder, wo sie bereits in Ver­wen­dung sind, abge­schafft werden.

* [Die Fra­gen stell­te N. B.]

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Mai 2024
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