Die Juli-Tage 1917 in Russland

Ein „geschei­ter­ter Putsch­ver­such“ der Bolschewiki?

 

Manu­el Kellner

4. Juli 1917, Petrograd, Newski-Prospekt: Regierungstruppen schießen Demonstranten mit Maschinengewehren nieder. Foto: Wikipedia, gemeinfrei.

4. Juli 1917, Petro­grad, New­s­ki-Pro­spekt: Regie­rungs­trup­pen schie­ßen Demons­tran­ten mit Maschi­nen­ge­weh­ren nie­der. Foto: Wiki­pe­dia, gemeinfrei.

Eine gro­ße Demons­tra­ti­on am 18. Juni 1917 in Petro­grad hat­te den inzwi­schen über­wäl­ti­gen­den Ein­fluss der Bol­sche­wi­ki unter den Arbei­te­rin­nen und Arbei­tern der Haupt­stadt gezeigt. Mehr war durch Stra­ßen­pro­tes­te allein nicht zu errei­chen. Doch für einen Auf­stand war es zu früh, weil im gro­ßen Russ­land ins­ge­samt noch kei­ne Mehr­heit zu sehen war, die einen sol­chen Umsturz unter­stützt hät­te. Dar­um bemüh­ten sich die Bol­sche­wi­ki seit­dem, die sie­den­den Gemü­ter zu küh­len. Sie waren bestrebt, die Mas­sen der Haupt­stadt von unnö­ti­gen Kon­fron­ta­tio­nen abzuhalten.

Post­fak­ti­sches über die Juli-Tage
In der Süd­deut­schen Zei­tung vom 8. März 2017 heißt es: „Die links­ra­di­ka­len Bol­sche­wis­ten ver­su­chen im Juli 1917 einen Staats­streich und wer­den von regie­rungs­treu­en Trup­pen zusammengeschossen“. 
Das ist die Mut­ter aller fake-news, die bür­ger­li­che Jour­na­lis­ten immer noch einer vom andern abschrei­ben. Das Ziel ist es, die Bol­sche­wi­ki als Put­schis­ten zu ver­leum­den. Mit der his­to­ri­schen Wahr­heit, also mit den dama­li­gen Ereig­nis­sen, hat die­se an den Haa­ren her­bei­ge­zo­ge­ne Behaup­tung nichts zu tun.

Der Gene­ral­streik und die bewaff­ne­ten Mas­sen­de­mons­tra­tio­nen am 3. und 4. Juli (alten Stils) ent­spra­chen der explo­si­ven Stim­mung der Arbei­te­rIn­nen und der meis­ten Sol­da­ten der Haupt­stadt. Die Bol­sche­wi­ki hat­ten unbe­waff­ne­te Demons­tra­tio­nen vor­ge­schla­gen. Sie nah­men an der Akti­on Teil, um sie in fried­li­che Bah­nen zu len­ken. Die Par­tei­or­ga­ni­sa­ti­on der Bol­sche­wi­ki von Petro­grad rief am 6. Juli in Über­ein­stim­mung mit dem Zen­tral­ko­mi­tee ihrer Par­tei zum Abbruch der mili­tan­ten Aktio­nen und zur Wie­der­auf­nah­me der Arbeit auf.

Deut­sche Agenten“?
Ab dem 5. Juli muss­te sich Lenin vier Mona­te lang ver­steckt hal­ten. Grund hier­für war die absur­de Beschul­di­gung, ein bezahl­ter Agent des Deut­schen Reichs und der Hohen­zol­lern zu sein. Den Bol­sche­wi­ki wur­de von der rus­si­schen Regie­rung vor­ge­wor­fen, einen bewaff­ne­ten Auf­stand zu pla­nen und im Sold der Deut­schen zu ste­hen. In der Fol­ge ließ sie vie­le Bol­sche­wi­ki ver­haf­ten und ihre Zei­tung Praw­da (Wahr­heit) verbieten.
Die Pro­vi­so­ri­sche Regie­rung erteil­te sich selbst Son­der­voll­mach­ten. Das wur­de nicht nur mit der Gefahr von links, son­dern auch mit der Gefahr eines reak­tio­nä­ren Mili­tär­putschs begrün­det. Die Reak­ti­on erhob nun ihr Haupt. Die von den rus­si­schen Mehr­heits­so­zi­al­de­mo­kra­ten beherrsch­ten Räte schie­nen ihre revo­lu­tio­nä­re Rol­le aus­ge­spielt zu haben. Die Bol­sche­wi­ki stütz­ten sich in die­ser Zeit zuneh­mend auf die basis­na­hen Fabrik­de­le­gier­ten und -komi­tees. Dort ver­füg­ten sie bereits über eine ein­deu­ti­ge Mehrheit.

Das unge­dul­di­ge Drän­gen der gro­ßen Mehr­heit der Arbei­te­rIn­nen Petro­grads hat­te im Juli 1917 zu einem hal­ben Auf­stand geführt. Des­sen Nie­der­schla­gung dräng­te die Bol­sche­wi­ki fast in die Ille­ga­li­tät. Die Regie­rung Ker­en­ski bemüh­te sich mit teil­wei­sem Erfolg um die Ent­waff­nung der revo­lu­tio­nä­ren Arbei­te­rIn­nen. Die besit­zen­den Klas­sen und die äußers­te Reak­ti­on wur­den zuneh­mend unru­hig. Muss­te man nicht mit die­sem gan­zen Spuk der Räte und über­haupt mit der Revo­lu­ti­on gründ­lich auf­räu­men? Die Gefahr eines Mili­tär­putschs lag in der Luft.

aus der Ober­hau­se­ner Bei­la­ge zur Avan­ti, Juni/Juli 2017.
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