Ein „gescheiterter Putschversuch“ der Bolschewiki?
Manuel Kellner
Eine große Demonstration am 18. Juni 1917 in Petrograd hatte den inzwischen überwältigenden Einfluss der Bolschewiki unter den Arbeiterinnen und Arbeitern der Hauptstadt gezeigt. Mehr war durch Straßenproteste allein nicht zu erreichen. Doch für einen Aufstand war es zu früh, weil im großen Russland insgesamt noch keine Mehrheit zu sehen war, die einen solchen Umsturz unterstützt hätte. Darum bemühten sich die Bolschewiki seitdem, die siedenden Gemüter zu kühlen. Sie waren bestrebt, die Massen der Hauptstadt von unnötigen Konfrontationen abzuhalten.
Postfaktisches über die Juli-Tage
In der Süddeutschen Zeitung vom 8. März 2017 heißt es: „Die linksradikalen Bolschewisten versuchen im Juli 1917 einen Staatsstreich und werden von regierungstreuen Truppen zusammengeschossen“.
Das ist die Mutter aller fake-news, die bürgerliche Journalisten immer noch einer vom andern abschreiben. Das Ziel ist es, die Bolschewiki als Putschisten zu verleumden. Mit der historischen Wahrheit, also mit den damaligen Ereignissen, hat diese an den Haaren herbeigezogene Behauptung nichts zu tun.
Der Generalstreik und die bewaffneten Massendemonstrationen am 3. und 4. Juli (alten Stils) entsprachen der explosiven Stimmung der ArbeiterInnen und der meisten Soldaten der Hauptstadt. Die Bolschewiki hatten unbewaffnete Demonstrationen vorgeschlagen. Sie nahmen an der Aktion Teil, um sie in friedliche Bahnen zu lenken. Die Parteiorganisation der Bolschewiki von Petrograd rief am 6. Juli in Übereinstimmung mit dem Zentralkomitee ihrer Partei zum Abbruch der militanten Aktionen und zur Wiederaufnahme der Arbeit auf.
„Deutsche Agenten“?
Ab dem 5. Juli musste sich Lenin vier Monate lang versteckt halten. Grund hierfür war die absurde Beschuldigung, ein bezahlter Agent des Deutschen Reichs und der Hohenzollern zu sein. Den Bolschewiki wurde von der russischen Regierung vorgeworfen, einen bewaffneten Aufstand zu planen und im Sold der Deutschen zu stehen. In der Folge ließ sie viele Bolschewiki verhaften und ihre Zeitung Prawda (Wahrheit) verbieten.
Die Provisorische Regierung erteilte sich selbst Sondervollmachten. Das wurde nicht nur mit der Gefahr von links, sondern auch mit der Gefahr eines reaktionären Militärputschs begründet. Die Reaktion erhob nun ihr Haupt. Die von den russischen Mehrheitssozialdemokraten beherrschten Räte schienen ihre revolutionäre Rolle ausgespielt zu haben. Die Bolschewiki stützten sich in dieser Zeit zunehmend auf die basisnahen Fabrikdelegierten und -komitees. Dort verfügten sie bereits über eine eindeutige Mehrheit.
Das ungeduldige Drängen der großen Mehrheit der ArbeiterInnen Petrograds hatte im Juli 1917 zu einem halben Aufstand geführt. Dessen Niederschlagung drängte die Bolschewiki fast in die Illegalität. Die Regierung Kerenski bemühte sich mit teilweisem Erfolg um die Entwaffnung der revolutionären ArbeiterInnen. Die besitzenden Klassen und die äußerste Reaktion wurden zunehmend unruhig. Musste man nicht mit diesem ganzen Spuk der Räte und überhaupt mit der Revolution gründlich aufräumen? Die Gefahr eines Militärputschs lag in der Luft.