R. G.
Am 18. Dezember 2020 fand der zehnte Online-Info-Abend der ISO-Gruppe Rhein-Neckar mit dem Thema „Frauenrechte erstreiten – Das Beispiel Polen“ statt. Anlass für dieses Thema waren die Massenproteste, die Ende Oktober 2020 in Polen durch die Abtreibungs-Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts ausgelöst worden waren.
Eingeleitet wurde der Abend mit einem Referat über die Entwicklung der polnischen Massenbewegung. Dabei ging die Referentin nicht nur auf die Ereignisse ein, sondern gab auch Anstoß zu einer Diskussion über Frauenrechte und Abtreibung.
Gegen PIS-Partei und Amtskirche
Am 22._Oktober 2020 verkündete das polnische Verfassungsgericht, dass ein Schwangerschaftsabbruch verfassungswidrig sei. Das gelte selbst dann, wenn „medizinische Sachverhalte eine hohe Wahrscheinlichkeit einer schweren und irreversiblen Schädigung des Embryos oder einer unheilbaren lebensbedrohlichen Krankheit nahelegen“.
Noch am selben Abend begannen die Massenproteste. Frauen und die jüngere Generation – Schüler*innen und Studierende zwischen 14 und 25 Jahren – besetzten die Straßen. Sie brachten damit nicht nur ihre Ablehnung der Gerichtsentscheidung zum Ausdruck. Es war zugleich auch ein Protest gegen die katholisch-reaktionäre Politik der herrschenden PIS-Partei und der polnischen Amtskirche.
Bewegung im ganzen Land
In den folgenden Wochen setzten sich die Demos in mehr als 410 Städten und Dörfern fort. Ein Indiz dafür, wie dynamisch und mobilisierungsfähig diese Bewegung war und wie tief der gesellschaftliche Unmut gegen die herrschende Politik sitzt. Allein am 30._Oktober 2020 waren trotz Corona mehr als eine Million Menschen auf der Straße. Den politischen, kirchlichen und intellektuellen „Führern“, die den Frauen die Menschenrechte verweigern, riefen sie zu: „Verpisst Euch woanders hin!“
Entscheidungen über das Leben
Die Referentin wies darauf hin, dass ein wichtiger mobilisierender Faktor das Verbot der Abtreibung von Embryos mit Behinderung gewesen sei. Diesbezüglich hätte es so gut wie keine kritischen Artikel in der Presse gegeben.
Doch genau dieser Punkt sei problematisch. Denn hiermit werde direkt oder indirekt das Lebensrecht von Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Handicaps berührt. Schließlich treffe man eine Entscheidung, ob das noch ungeborene Leben lebenswert sei oder nicht und übernehme damit sehr wahrscheinlich Maßstäbe der neoliberal-kapitalistischen Gesellschaft.
Selbstbestimmung der Frauen
Ob eine Frau ein eigenes Kind austragen und gebären will, müsse sie selbst entscheiden können. Weder gesetzliche, noch politische, noch religiöse Hürden dürften dieser Entscheidung im Weg stehen.
Ebenso wenig dürfe diese Entscheidung von gesellschaftlichen und materiellen Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Doch genau dies sei heute der Fall. So könne es für Frauen aber keine wirklich freie Entscheidung geben.
Für Frauenrechte kämpfen
Eine freie Entscheidung darüber, ob eine Frau ein eigenes Kind gebärt, kann es nur in einer freien und solidarischen Gesellschaft geben. Im Kapitalismus, einer von Profit und Konkurrenz geprägten Gesellschaft, ist dies nicht möglich.
Im Gegenteil, es wird der sich stets „optimierende“ Mensch gefordert, der körperlich fit ist und sich an ändernde Lebens- und Arbeitsbedingungen anpassen kann. Eine stets arbeitswillige und ausbeutbare „Mensch-Maschine“. Menschen mit Handicaps entsprechen diesem „Menschenkonzept“ nicht.
Gelungener Abend
Die Teilnehmenden konnten an diesem Abend inhaltlich mehr mitnehmen als sie erwartet hatten. Dazu trugen das gelungene Referat und die daraus entstehende offene, solidarische Diskussion ganz wesentlich bei.
Erstens gab es Informationen über die polnischen Ereignisse. Zweitens gab es einen starken Impuls, sich mit Frauenrechten, dem Recht auf Abtreibung und den Rechten von Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Handicaps auseinanderzusetzen. Drittens wurde deutlich, dass wir auch heute noch für diese Rechte kämpfen müssen und deren endgültige Durchsetzung die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse notwendig macht.