Fünf Jahr­zehn­te neo­li­be­ra­le Gegen­of­fen­si­ve des Kapitals

(Teil I)

U. D.

In die­ser und den kom­men­den Avan­ti² ver­öf­fent­li­chen wir das Ein­lei­tungs­re­fe­rat unse­res dies­jäh­ri­gen Früh­jahr-Semi­nars zur Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit.

Das Kapi­tal unter Druck
Vor rund 50 Jah­ren war die Welt für die Kapitalist*innen in bedroh­li­cher Unordnung.

Die rus­si­sche Revo­lu­ti­on 1917, das Ent­ste­hen des sowje­ti­schen „Blocks“ in Ost­eu­ro­pa nach 1945 und die chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on 1949 hat­ten die kapi­ta­lis­ti­sche Welt deut­lich ver­klei­nert. Hin­zu kam nach dem Zwei­ten Welt­krieg die Bedro­hung durch die sich aus­brei­ten­de Kolo­ni­al­re­vo­lu­ti­on. 1959 war die kuba­ni­sche Revo­lu­ti­on im direk­ten Ein­fluss­ge­biet der USA sieg­reich. Die geheim­dienst­li­chen und mili­tä­ri­schen Ver­su­che, die­se Ent­wick­lung zu stop­pen, hat­ten (noch) kei­ne wesent­li­chen Erfolge.

In den kapi­ta­lis­ti­schen Indus­trie­staa­ten kam es zu mas­si­ven Klas­sen­kämp­fen: In Bel­gi­en gab es 1960/61 einen äußerst mili­tant geführ­ten Gene­ral­streik. Im Mai 68 brach­ten in Frank­reich die Jugend­re­vol­te in Ver­bin­dung mit einer mäch­ti­gen Gene­ral­streik­be­we­gung das Sys­tem ins Wan­ken. In Ita­li­en mün­de­ten im Ver­lauf der 1960er Jah­re mili­tant geführ­te Streiks in den hei­ßen Herbst 1969. In Deutsch­land gab es 1969 aus­ge­hend von den Ver­trau­ens­leu­ten des Hoesch-Stahl­werks spon­ta­ne Streiks.

Ende der 1960er Jah­re ent­stand eine welt­wei­te Bewe­gung gegen den Viet­nam­krieg. Die nicht nur stu­den­tisch gepräg­te Jugend­re­vol­te ori­en­tier­te sich an anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Ideen und Theo­rien und beein­fluss­te die poli­ti­sche Debatte.

Auch im sowje­ti­schen Ein­fluss­ge­biet fan­den Klas­sen­kämp­fe statt. Zum Bei­spiel in der DDR 1953 und in Ungarn 1956. In der CSSR wur­de 1968 der „Pra­ger Früh­ling“ von rus­si­schen Pan­zern nie­der­ge­rollt. Die Wie­der­ein­füh­rung des Kapi­ta­lis­mus hat­ten all die­se Bewe­gun­gen nicht zum Ziel.

Zugleich hat­te die kapi­ta­lis­ti­sche Welt­wirt­schaft ihre Nach­kriegs­dy­na­mik ver­lo­ren und trat ab Mit­te der 1970er Jah­re in einen Zyklus nied­ri­ge­rer Wachs­tums­ra­ten ein.

Kurz­um: Der Kapi­ta­lis­mus hat­te allen Grund, sich bedroht zu fühlen.

Neo­li­be­ra­le Ant­wor­ten auf die Krise
Vor die­sem Hin­ter­grund stell­ten sich den Herr­schen­den drän­gen­de Fra­gen: Wie kann der Kapi­ta­lis­mus sta­bi­li­siert und der „kom­mu­nis­ti­sche Block“ desta­bi­li­siert wer­den? Wie kön­nen die Revol­ten der Jugend und der Arbeiter*innenklasse zurück­ge­drängt wer­den? Wie kön­nen die Pro­fit­be­din­gun­gen ver­bes­sert wer­den? Wie kann eine erfolg­rei­che ideo­lo­gi­sche Gegen­of­fen­si­ve aussehen?

Was fehl­te, war eine aner­kann­te kapi­ta­lis­ti­sche Gegen­stra­te­gie. Die­se Situa­ti­on konn­ten die neo­li­be­ra­len Vor­den­ker nut­zen, um ihre markt­ra­di­ka­len Ideen zur vor­herr­schen­den öko­no­mi­schen und poli­ti­schen Denk­rich­tung des kapi­ta­lis­ti­schen Bür­ger­tums zu machen. Ihre Ant­wor­ten lau­te­ten: Ent­bü­ro­kra­ti­sie­rung und Dere­gu­lie­rung, Frei­han­del, Pri­va­ti­sie­rung, Sen­kung der Unter­neh­mens­steu­ern, Sen­kung der Staats­aus­ga­ben (d. h. Abbau sozia­ler Für­sor­ge und sozia­ler Infra­struk­tur). Der Staat soll­te im Kern nur den „frei­en Markt“ sichern. Die Orga­ni­sa­tio­nen der Arbeiter*innenklasse waren dabei schäd­lich, da sie die­sen „frei­en Markt“ einschränkten.

Dies war der offen pro­pa­gier­te kapi­ta­lis­ti­sche Gene­ral­an­griff auf die Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen der welt­wei­ten Arbeiter*innenklasse.

Chi­le 1973
In Chi­le war 1970 mit Sal­va­dor Allen­de ein Sozia­list zum Prä­si­den­ten gewählt wor­den. Weder der US-Impe­ria­lis­mus noch die besit­zen­den Klas­sen in Chi­le woll­ten dies hin­neh­men. Sie berei­te­ten einen mili­tä­ri­schen Gegen­schlag vor.

Chile Solidarität Nr. 1, Heidelberg o. J. (1974 [Abb.:www.mao-projekt.de)

Chi­le Soli­da­ri­tät Nr. 1, Hei­del­berg o. J. (1974 [Abb.:www.mao-projekt.de)

1973 putsch­te das chi­le­ni­sche Mili­tär unter Gene­ral Pino­chet. Die neo­li­be­ra­len „Chi­ca­go Boys“ dien­ten in der Fol­ge als wirt­schafts- und sozi­al­po­li­ti­sche Takt­ge­ber. Zum ers­ten Mal konn­ten die Neo­li­be­ra­len ihre Ideen in einem gan­zen Land kon­kret umset­zen. Sie taten dies ohne Skru­pel, wäh­rend gleich­zei­tig die Gewerk­schaf­ten und die poli­ti­sche Lin­ke mit Repres­si­on, Fol­ter und Mord bru­tal unter­drückt wurden.

Der „Erfolg“ die­ser neo­li­be­ral-auto­ri­tä­ren Ope­ra­ti­on über­zeug­te die herr­schen­den Klas­sen in vie­len Län­dern, nicht zuletzt auch in den west­li­chen Indus­trie­staa­ten. So begann ab Ende der 1970er / Anfang der 1980er Jah­re die welt­wei­te neo­li­be­ra­le Gegen­of­fen­si­ve des Kapitals.

Aus Avan­ti² Rhein-Neckar Mai 2021
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